Re: Nochmal: Die ck-Katastrophe
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert
Herr Wagner, das Büchlein von 1997 war damals sicher eine wertvolle Hilfe. Aber jetzt ist nicht nur das Büchlein, sondern das ganze Thema nicht mehr so ganz aktuell.
Somit komme ich um die Nachfrage nicht herum, warum denn das Thema nicht mehr aktuell sein sollte? Die Rechtschreibkommission hat via der sogenannten großen Wörterbücher (Duden, Bertelsmann) einiges an der Reform zurückgenommen, was man an der (leider nicht ganz zuverlässigen) Aufstellung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ablesen kann, die kürzlich erschienen ist. Die Akademie zumindest hält also das Thema nach wie vor für aktuell. Offiziell hat sich aber nichts an der Reform geändert, und also wird das Thema mit der Zeit immer interessanter, weil die Abweichungen von der 1996er Reform bzw. die Neuerungs- oder Nachbesserungsvorschläge zunehmen. Ab dem Herbst 2005 gilt nach der bisherigen Planung die herkömmliche Rechtschreibung an den Schulen als falsch (bislang als überholt, aber nicht falsch). Das Büchlein von Ickler ist also auch deshalb interessant und aktuell, was die Schüler ab diesem Datum alles sprachlich falsch machen müssen (lassen Sie uns diesen Aspekt gesondert diskutieren; ich leite mit meien Bemerkungen am Ende dieses Beitrages dazu über), wenn sich an der Reform nichts mehr ändert. Das wird unter anderem vom 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission abhängen, der gerade im Entstehen sein dürfte. Sie sehen, sehr geehrter Herr Schubert, das Thema ist durchaus aktuell man darf sich bei dieser Einschätzung nicht dadurch täuschen lassen, daß es in der Öffentlichkeit so gut wie garnicht thematisiert wird!
Zitat: Das mit den Katastrophentrennungen haben Sie nicht verstanden. Wenn die Zeilen zu kurz sind, gab es nicht erst seit 1998, sondern schon immer Katastrophentrennungen. Mit der Reform hat das nichts zu tun. Wer einen Rechner mit der automatischen Trennung beim Spaltensatz beauftragt, muss vor und nach der Reform genau Korrektur lesen, wenn er ein sorgfältiges Schriftstück herstellen will. Die automatischen Silbentrennungsprogramme bauen sowohl bei alter als auch bei neuer Rechtschreibung groteske Trennungen. Woher sollen sie wissen, dass man zwar bei der Trennung von Zucker das ck in zwei k auflöst, bei Rapacki aber nicht? Sie wissen es nicht.
Ich sehe, daß Sie noch etwas anderes gemeint haben, als was ich in meiner Antwort thematisiert habe. Das ändert aber nichts an meiner Aussage: Regeln, die »Katastrophen-Trennungen« zulassen, taugen nichts. Damit kritisiere ich nicht nur die Nichttrennung von ck, sondern auch andere Aspekte der reformierten Trennregeln (z. B. die Abtrennbarkeit einzelner Vokalbuchstaben am Wortanfang).
Was die automatischen Silbentrennungsprogramme betrifft, so sind nicht alle von diesem Manko betroffen: Bei der Verwendung des professionellen Satzprogrammes TEX (oder etwas benutzerfreundlicher: LYX; der Unterschied zwischen TEX und MS Word ist etwa wie der zwischen einer Setzerei und einer elektronischen Schreibmaschine sowohl von der Herangehensweise der Textbearbeitung her als auch bei der Qualität des Ergebnisses) kann man auf ganz einfache Weise beim Tippen des Textes dafür sorgen, daß eine solche falsche Trennung unterbleibt. Die Antwort ist also: Wenn das Programm es nicht weiß, muß man es ihm konkret sagen was voraussetzt, daß das Programm es sich sagen läßt.
Zitat: In Ihrem folgenden Text gehen Sie mit einer vielleicht den Naturwissenschaften angemessenen Logik an ein Phänomen die Rechtschreibung heran, das sich über Jahrhunderte, mal mehr und mal weniger geordnet, mal mehr, meistens weniger logisch, jedenfalls historisch, entwickelt hat. Diese Denkweise wird dem Gegenstand nicht gerecht.
Das halte ich für einen schwerwiegenden Irrtum: Ich unterscheide klar zwischen dem Gegenstand, den ich beschreiben will der Rechtschreibung (mit ihrer langen Entwicklung, wie Sie sie beschrieben haben) und der Beschreibung, die ich dazu abgebe. Letztere bildet eine Meta-Ebene der Rechtschreibung, es soll eine wissenschaftliche Theorie sein, und an eine solche sind gewisse Anforderungen zu stellen, was die innere Logik betrifft. Aber lassen Sie uns an anderer Stelle im Detail darauf zurückkommen.
Zitat: Die Silbengelenktheorie, die Sie jetzt, obwohl Sie das Wort längere Zeit nicht gebraucht haben, doch wieder für sehr nützlich halten, mag ja manches erklären, zum Beispiel den Unterschied der Silbengrenze bei Palast und Pallas. Nun gibt es Menschen, vielleicht sogar die Mehrheit der Deutschsprachigen, die das Wort Ballast auf der zweiten Silbe betonen, und das im Einklang mit den mir zugänglichen Wörterbüchern. Palast und Ballast unterscheiden sich dann nur durch den Anfangskonsonanten. Aus historischen Gründen schreibt sich das eine Wort mit einem l, das andere mit zweien. Dabei soll es sicher bleiben. Aber die ganze Silbengelenktheorie bricht dann zusammen.
Das verstehe ich nicht: Soweit ich es verstanden habe, bezeichnet man als Silbengelenk den Fall, daß ein Konsonant ambisyllabisch auftritt. Was hat das mit der Betontheit oder Unbetontheit des vorangehenden Vokals zu tun? Es gibt auch eine Verdoppelung des Konsonantenbuchstabens nach unbetontem Vokal, etwa bei der Pluralbildung: Ärztinnen, Kenntnisse, Albatrosse etc. alles Silbengelenke, und alle dementsprechend geschrieben.
Zitat: Oder die Konsonantenverdopplung nach kurzem Vokal. Die findet manchmal statt (§ 2), manchmal nicht (§ 4), die Unterschiede sind nicht logisch bedingt. Bei den Lauten [x] und [ç] und beim sch-Laut finden sie nicht statt. Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, nach kurzem Vokal bei Lachche oder bei Laschsche ein Doppel-ch oder ein Doppel-sch zu schreiben, und das hier in diesem Kreis von Rechtschreib-Ästheten, die schon bei der Schreibung dass oder beim Zusammentreffen dreier gleicher Konsonanten Würge-Anfälle kriegen (obwohl das auch in der alten Rechtschreibung durchaus vorkam, Beispiele habe ich schon gebracht)?
Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen. Es ist durchaus üblich, Dinge, die es nicht gibt, aber theoretisch geben könnte, einfach mal so hinzuschreiben, wie sie aus der Überlegung folgen, und man kennzeichnet ihren Status als nicht echt, sondern spekulativ durch ein vorangestelltes Sternchen. Das habe ich gemacht, und ich habe erklärt, was das Sternchen bedeutet. Haben Sie das überlesen?
Dinge explizit vorzuführen, die ganz offenbar falsch sind, ist ein sinnvolles Mittel, um in einer Argumentation zu zeigen, was wäre, wenn man einem bestimmten Gedankengang folgt, um daraus Rückschlüsse auf den Gedankenganmg ziehen zu können. Das gibt es auch in der Mathematik, dort nennt man dieses Verfahren Beweis durch Widerspruch. Das ist genau das, was Sie zuvor als eine Denkweise bezeichnet haben, die dem Gegenstand nicht gerecht wird. Wie Sie sehen, ist diese Denkweise im Gegenteil in der Linguistik durchaus angebracht!
Linguistik hat viel mit messerscharfer Logik und haargenauer Beobachtung zu tun; vor ausgefuchsten Grammatikern habe ich einen hohen Respekt. Dabei muß man aufpassen, daß man die Ebenen nicht durcheinanderbringt: Ich habe doch zuvor ganz klar geschrieben, daß ich nicht davon ausgehe, daß die Sprache, die ich beschreiben will, so wie sie ist, logisch sei. Auch in der Physik ist vieles unlogisch, allem voran in der Quantenmechanik (von der Relativitätstheorie ganz zu schweigen; Stichwort: Zwillingsparadoxon): Wie kann ein Teilchen gleichzeitig durch beide Spalte eines Doppelspaltes gehen? Warum tut es das? Nun, wenn man einen Spalt zuhält, sieht man auf dem Schirm dahinter ein anderes Verteilungsmuster und das auch, wenn man die Intensität des Teilchenstrahles (z. B. von Elektronen), den man auf den Doppelspalt richtet, so weit herabsetzt, daß nur noch einzelne Teilchen anfliegen und auch einzelne Teilchen (in deutlichem zeitlichen Abstand) beim Aufschlag auf dem Schirm nachgewiesen werden. Wäre deswegen die theoretische Physik unlogisch, die gelernt hat, dieses Phänomen mathematisch sauber zu beschreiben? Die Anforderung, logisch zu sein, muß für die Meta-Ebene gelten. Wenn meine Aussagen in sich unlogisch sind, sind sie wertlos. Das gilt für jeden Wissenschaftsbereich, also auch für die Linguistik.
Zitat: Sehr geehrter Herr Wagner, unsere Diskussion ist ja für uns und für die Leser ganz interessant gewesen, und sie kann durchaus fortgesetzt werden. Aber zur ck-Trennung werde ich mich nicht mehr äußern.
Konsens wenn Sie meinen Argumenten zur ck-Trennung inhaltlich nichts entgegenzusetzen haben, erübrigt es sich auch für mich, noch etwas dazu zu schreiben. Ich hatte zudem schon vorher den Eindruck, daß wir das Thema bereits (bis auf den Widerspruch zwischen § 109 und § 107 in Verbindung mit §§ 2, 3) sehr ausgiebig diskutiert haben. Ich habe auch schon einen Text parat, der eine interessante Fortsetzung dieser Diskussion gestattet. Zur Einstimmung möchte ich ein paar Fragen stellen, die nur auf der ersten Blick rhetorisch sind, in Wirklichkeit aber mit philosopischer Tiefe zu bedenken sind: - Was ist ein Substantiv, wonach richtet sich das bzw. wie definiert man das allgemein? Auf welcher Ebene der Sprache liegen die dabei zu bemühenden Kriterien?
- Was ist Wissenschaft ganz allgemein formuliert, und zwar so, daß man nicht sagen kann, in diesem Bereich sei darunter etwas ganz anderes zu verstehen als in jenem?
- Was ist der empirische Inhalt der Mathematik? Gibt es so etwas wie einen (mathematischen) Kreis in der Natur?
- Was ist ein Naturgesetz? Welche Rolle spielt die Mathematik, welche die Empirie dabei, und wie stehen diese zueinander?
Ich bin gerade noch dabei, einen anderen Beitrag (zur Kommasetzung) zu schreiben, deshalb beschränke ich mich hier zunächst auf diese einleitenden Gedankenanregungen.
(Änderung: kleine Ergänzungen und Rechtschreibkorrekturen)
– geändert durch J.-M. Wagner am 11.06.2003, 09.36 –
__________________
Jan-Martin Wagner
|