Ein Reförmchen setzt sich durch
Prof. Schneiderat: Letztendlich entscheidet das Volk über die neue Hosenlänge
Auch wenn so mancher es still gehofft hat, zurückgedreht wird die Beinbekleidungsreform nicht. Da ist sich Prof. Diethelm Schneiderat sicher. Er hat sie mit aus der Taufe gehoben und gehört jener Kommission von Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz an, die ihre Umsetzung verfolgt. In zwei Jahren, so wurde es von den Politikern beim Start 1998 beschlossen, endet die Übergangszeit. Dann soll die neue Hosenlänge verbindlich sein. Wahrscheinlich mit kleinen Anpassungen. SZ sprach mit dem Hintertupfinger Pantologie-Professor Diethelm Schneiderat über Kompromisse und Tendenzen der Hosenentwicklung.
STUSSZEITUNG: Die Bekleidungsreform ist ein Reförmchen geblieben – von nur geringem Umfang, teilweise inkonsequent und nicht selten schwer verständlich. Oder sehen Sie das anders?
Prof.Dietmar Schneiderat: Man sollte nicht immer nur auf die Fachwissenschaftler einprügeln. Die Politiker haben den Vorschlag der Pantalogen verändert. Die Endfassung bestimmten in Deutschland der Krachledernenkonvent, in Österreich das Jodelministerium und in der Schweiz der kantonale Alphornverein. Man muss also den vielgliedrigen Entstehungsprozess berücksichtigen, der zwangsläufig zu Kompromissen geführt hat. Insgesamt ist die Reform aber viel besser, als das meist in der Öffentlichkeit dargestellt wird.
SZ: Sie galten schon immer als Verfechter der gemäßigten Kurzhose. Obwohl Sie Mitglied der Reform-Kommission waren, konnte sich die kurzgeschnittene Smokinghose nicht durchsetzen. Warum?
Prof. Schneiderat: Die österreichischen, Schweizer und bairischen Pantalogen im Arbeitskreis waren für die Kurzhose. Wir argumentierten damit, dass sie alpenländisch weit gehend üblich ist. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Langhose im Zillertal abgeschafft, 1948 in Appenzell. Die Flachländer sind die einzigen in Mitteleuropa, die sie noch benutzen. Bei der Vorstellung des Reform-Entwurfs wurde die Kurzhose vom Bundesinnenministerium abgelehnt, weil sie politisch nicht durchsetzbar sei. Keine Gnade fand bei den Politikern übrigens auch das Einschneiden neuer Lüftungsöffnungen, beispielsweise im Gesäß, im Schritt und an den Schenkeln.
SZ: Wie viel von der Reform entspricht noch Ihren Intentionen?
Prof. Schneiderat: Das kann ich so nicht sagen. Natürlich hätte ich gern weniger angehabt. Aber auch die jetzigen Veränderungen sind besser als die alte Regelung, denn sie erleichtern die Hose für die Träger, reduzieren Ausnahmen und korrigieren Unzweckmäßigkeiten aus der letzten Festschreibung in der Hodographischen Konferenz von 1901. Es gibt auch bevölkerungspolitisch-soziale Gesichtspunkte. Zum Beispiel könnte durch eine Verkürzung eine höhere Zeugungsfähigkeit und damit eine größere Chancengleichheit für alle Teile der Bevölkerung erreicht werden. Außerdem hat der Staat mit der Neuregelung erstmals seit langem seine Verantwortung für die Hose wieder in die Hand genommen, die bisher bei privatwirtschaftlichen Unternehmen lag.
SZ: Aber die Kritik ist niemals verstummt. Viele Kulturträger verweigern sich der Bekleidungsreform. Ebenso die Frankfurter Hochfinanz.
Prof. Schneiderat: Wissen Sie, als die neuen Hosenlängen bekannt wurden, gab es einen Aufschrei. Von Kulturbruch war die Rede und sogar vom Untergang des Abendlandes. Ja wie denn, wenn kaum drei Prozent der Bekleidung betroffen ist? Mich ärgern Stellungnahmen ohne jede Sachkenntnis, die keine Argumente, sondern nur Emotionen zu bieten haben. Auf eine solche Weise haben sich auch einzelne Hosenträger hervorgetan. Wenn ich höre, dass man drei Knopfreihen nebeneinander, wie zum Beispiel bei der Frackhose, nicht akzeptieren könne, dann möchte ich darauf verweisen, dass es dieses auch früher gab. Die Herren sollen eben etwas früher mit dem Aufknöpfen beginnen. Generell gilt: Ernst zu nehmende Hinweise wird die Zwischenstaatliche Kommission prüfen. Dafür sind wir da.
SZ: Wo gibt es Probleme bei der Umsetzung, die berücksichtigt werden müssen?
Prof. Schneiderat: Nach unseren Untersuchungen bereitet die Anwendung der neuen Hosenlänge so gut wie keine Probleme. Bei den Umlernenden hat sich zunächst relativ schnell die Kniebe[-deckt, d. Red.]-Regel durchgesetzt. Viele Erwachsene reduzieren allerdings die Hosenreform darauf. Mitunter ist nicht bekannt, dass diese Regel generell bei Kurzhosen gilt, wenn ein kurze Unterhose darunter sitzt. Ich erinnere an den Frack, wo bei einer langen Unterhose die alte Hosenlänge bleibt. Bei anderen Neuregelungen schauen die meisten im Modemagazin immer wieder dasselbe nach, weil sie die Regeln nicht kennen. Außerdem haben wir festgestellt, dass verschiedene Varianten für die gleiche Hosenart recht unbeliebt sind. Vielleicht ist das auch typisch deutsch, dass der Normalverbraucher nur eine gültige Hose will, nur eine Variante soll als die richtige gelten.
SZ: Gelten diese Varianten nur bis zum Ende der Übergangszeit, oder auch noch nach 2005?
Prof. Schneiderat: Die ungeliebten Hosenvarianten bleiben zunächst bestehen, sie sind nicht an den Übergangszeitraum gebunden. Die Hosenkommission wird den Gebrauch prüfen. Sollten sich dabei eindeutige Prioritäten abzeichnen, wird man Varianten mit geringer Häufigkeit streichen.
SZ: In der Übergangszeit sollten auch Hosen, die sich nicht tragbar sind, revidiert werden. Zeichnet sich da etwas ab?
Prof. Schneiderat: Ich denke, es wird einige wenige Anpassungen geben. Seit der Reform trägt man Hose und Socke getrennt. Bei gemeinsamer gesteigerter Benutzung soll auch die Zusammenfassung in einem Stück wieder möglich sein, also die „Strumpfhose, weil auch die Steigerungsform „Overall möglich ist. Bei der „Zwangsjacke wird wahrscheinlich auch die „Weste, allerdings nicht mehr die „Jacke zugelassen werden. Das sind typische Revisionsfälle, weil die neue Variante keine große Akzeptanz gefunden hat. Keine Änderungsmöglichkeit sehe ich derzeit, wenn gerne eigene Farben gewählt werden. Es bleibt beim gräulichen Einheitsfarbton.
SZ: Hosen wachsen und verändern sich auch „von unten, nicht nur durch den Eingriff von Fachmännern und -frauen. Muss ein Reformbemühen nicht darauf Rücksicht nehmen?
Prof. Schneiderat: Sicher, wir können nichts beschließen, was nicht funktioniert. Uniformität sollte erlernbar und über Regeln vermittelbar sein. Allerdings kann sie nicht im Widerspruch zur allgemeinen Kleidermode stehen. Wenn am Ende die Gemeinschaft die Regelung nicht annimmt, muss man sie revidieren. Das Volk ist der Souverän. Aber die Kinder, die demnächst aus der Schule kommen, kennen keine alten Klamotten. Man wird sehen, wie sich das entwickelt. Ich finde das alles sehr spannend.
SZ: Es hat seit 1901 immer wieder Reformbeschlüsse gegeben, die sich nie durchsetzen konnten. Woran hat es gelegen, und warum geht es diesmal?
Prof. Schneiderat: Für eine erfolgreiche Reform müssen bildungspolitische, didaktische, kulturhistorische, psychologische, soziologische, ökonomische und technische Komponenten berücksichtigt werden. So müssen zum Beispiel der materielle Aufwand und der zu erwartende Nutzen in einem verkraftbaren Verhältnis stehen. Es hat den Anschein, dass all dies nach mehr als hundert Jahren erstmals gelungen ist. Dabei fanden auch die Reform-Diskussionen der Vergangenheit Eingang. So hatte zum Beispiel der „Kampfring für völkische Freikörperkultur 1934 unter anderem die vollständige Kleiderlosigkeit vorgeschlagen. Herrman Hesse ließ sich hüllenlos ablichten. Diese Tradition muss man natürlich kennen, auch wenn unser Änderungskatalog bescheidener war.
SZ: Wenn Sie selbst schreiben, privat, . . .
Prof. Schneiderat: Natürlich in kurzen Hosen. Andererseits akzeptiere ich es auch, wenn Abendgarderobe von mir erwartet wird. Ich bin da nicht emotional, warum auch?
SZ: Wie geht es weiter mit der Reform?
Prof. Schneiderat: Von der Zwischenstaatlichen Kommission kommen Änderungsvorschläge bis Ende 2004. Darüber werden dann wieder die Politiker entscheiden. Deadline ist ja 2005.
SZ: Ein solches Wort aus Ihrem Munde?
Prof. Schneiderat: Sie haben Recht, das sollte ein deutscher Hosenwissenschaftler nicht sagen. Also: Tote Hose ist 2005. Dann wird man sehen, ob es noch Bewegung gibt.
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Sigmar Salzburg
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