Von den Reizen der neuen Rechtschreibung
Lieber Sigmar Salzburg,
Ich sehe es nur durch Zufall, mit tiefer Rührung und von Herzen amüsiert, welch tiefsinnige Gedanken Sie sich am 29.8.2003 über mich gemacht haben, und all das auch noch, ohne zu wissen, ob ich das jemals lesen würde:
Vermissen werde ich die Beiträge der Anglistin und streitbaren Katholikin Frau Dr. Margret Popp, die für die „neue Rechtschreibung mit einem kreuzritterähnlichen Glaubenseifer eintrat. Erst neulich fand ich in einem ihrer Beiträge einen Hinweis, in welchem Umfeld das entscheidende Bekehrungserlebnis eingetreten sein könnte:
Dr Margret Popp 11:42am Aug 18, 2003 CEST (#13082)
Not only is Galatians autobiographical and undoctored, it has the ring of authentic history (Eisenman).
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Gal 6:11 ... Paulus sagt da:
Also, solange wir Zeit haben, wollen wir Gutes tun, allen, insonderheit aber den Glaubensgenossen.* Seht, mit welch [schönen] großen (pelikois) Buchstaben ich euch [zB] hier mit meiner Hand geschrieben habe.
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*Dies zitierte uns auf dem Anglistentag 1996 in Dresden der sächsische Kultusminister Meyer, der ja ebenfalls Anglist ist.
Es handelt sich dabei um den sächsischen Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer [CDU], zeitweise auch Vorsitzender des ZK der Katholiken, der [sich nicht durchweg negativ zur heutigen Rechtschreibung geäußert hat],
und den ich daher wohl aus Glaubensgründen, wie Sie meinen, hierin unterstützen zu müssen meine, weil ich doch, wie er, katholisch sei. Hohohahahahihihi.
Ich lerne nun zwar aus Ihrem Zitat mit Freuden, dass auch der Staatsminister Meyer genug gesunden Menschenverstand hat, über die paar reformierten Schreibungen im Deutschen in keine Ohnmacht zu verfallen; aber mit unserm Katholischsein hat diese (mir bisher unbekannte) Übereinstimmung sicher nix zu tun. Eher hat sie wohl damit zu tun, dass Herr Meyer und ich zufällig beide Anglisten sind.
Übereinstimmend ist daher wohl, dass wir
(a) über orthografische Mangelerscheinungen sowieso nicht in Ohnmacht fallen können, sonst hätten wir das Lesen der englischen Texte in unserm Studium nie durchgestanden,
(b) uns vor Augen halten, die englische Sprache ist an ihrer (mit Verlaub) Murx-Orthografie nie gescheitert, sondern munter zur Weltsprache avanciert, ein historisches Beispiel, was das ganze Schauer-Getöse um die deutsche Rechtschreibung, die angeblich die deutsche Sprache beeinträchtige, allein schon ad absurdum führt. Rechtschreibung hat mit Sprache prinzipiell nichts zu tun; sie ist nur eine Kulturtechnik, die der Fixierung sprachlicher Aussagen dient, hierin akustischen Aufzeichungsmethoden nicht unähnlich. (Man könnte auch Rumänisch wieder in kyrillischen Buchstaben schreiben, wie es bis ins 19. Jh geschah, oder Hebräisch in phonetischen Buchstaben, ohne dass sich an diesen Sprachen selber etwas änderte.)
Daher hat auch die Aussage, dass die Sprache dem Volk gehört (der ich natürlich zustimme), mit der Regulierung der Rechtschreibung nichts zu tun.
Sicher ist an der heutigen deutschen Rechtschreibung nicht alles Gold, was glänzt; erst recht aber war auch die alte Rechtschreibung nicht in allen Punkten zweckmäßig (es gibt gar kein Stadium der deutschen Rechtschreibung, das rundum ideal gewesen wäre), und ich schwankte auch erst, ob ich die seit 1996 erlassene Form gut finden sollte oder nicht (von Kreuzritter-Elan pro RR hab ich an mir nix gemerkt).
Die sprachwissenschaftlichen Torheiten jedoch, die zur Kritik der Reform vorgebracht worden sind (konzentriert zB in Icklers Büchlein über den Schildbürgerstreich) erschienen mir derart unprofessionell, dass ich mich mit solchen Schmähern nicht gemein machen wollte sondern seither auf Gegenkurs gegen diese gegangen bin und die neue Schreibung, statt mich drüber aufzuregen, daraufhin selber übernommen habe. Die Begegnung mit den konzentrierten Torheiten der Schmäher also sollten Sie als mein Bekehrungserlebnis verbuchen, falls Sie eins verzeichnen wollen, wobei mich Ihr Interesse natürlich sehr ehrt.
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