Herbsttagung der DASD
Aus Anlaß der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom 23. bis 25. Oktober 2003 in Darmstadt ist den Mitgliedern folgendes Schreiben der FDS zugegangen :
Sehr geehrter Herr . . . / Sehr geehrte Frau . . .,
bei der diesjährigen Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wird es unter anderem abermals um den im Frühjahr vorgelegten Kompromißvorschlag zur Rechtschreibreform gehen. Aus diesem Anlaß möchten wir Ihnen unsere Überlegungen dazu kurz vorstellen.
Die Diskussionen um die neue Rechtschreibung dringen nur noch sporadisch in die Öffentlichkeit. Der Kompromißvorschlag hätte kaum Beachtung gefunden, wenn nicht aus Kreisen der Kritiker der Reform auf ihn geantwortet worden wäre (s. Anlagen). Der fünfte Jahrestag der offiziellen Einführung der neuen Rechtschreibung wurde von der Presse schon breiter gewürdigt; daß die neue Rechtschreibung allerdings eine wäre, die noch einmal zu reformieren ist, scheint keine sehr verbreitete Auffassung zu sein. Wenn überhaupt, dann wird als positiv empfunden, daß man den amtlichen Vorgaben nur ungefähr folgen muß. Eine Vielzahl von Haus- und Privatorthographien wird in ihrer Gesamtheit als »neue Rechtschreibung« aufgefaßt; als Vorstellung von einer anderen, alternativen Orthographie ist nach wie vor nur die »alte« präsent.
In jedem Fall kann keine Rede davon sein, daß die »neue Rechtschreibung« nach anfänglichen Irritationen nunmehr weitestgehend und zur allseitigen Befriedigung eingeführt sei. Wer deutsche Zeitungen und in reformierter Orthographie
gedruckte Bücher, insbesondere Kinder- und Schulbücher liest oder, noch schlimmer: Manuskripte! , wird unweigerlich feststellen, daß weiterhin Unsicherheit und Verwirrung vorherrschen, selbst bei professionellen
Schreibern. Es werden in jeder Hinsicht mehr Fehler gemacht denn je. Meinungsumfragen (u. a. des Allensbach-Instituts) bestätigen, daß es um die Akzeptanz der reformierten Rechtschreibung heute kaum besser steht als zum Zeitpunkt ihrer Einführung.
Weder die Rechtschreibkommission noch ihre politischen Auftraggeber scheinen bereit, diese Situation vorurteilsfrei zu betrachten und aus ihr die naheliegenden Schlüsse zu ziehen. Deshalb meinte die DASD, als sie
ihren Kompromißvorschlag 1999 erstmals vorstellte, »angesichts der Machtverhältnisse« sei mehr als eine Beschneidung der »schlimmsten Auswüchse« der
Neuregelung nicht möglich. Diese Einschätzung erwies sich jedoch bald als falsch. Über die in den Hausorthographien der »Zeit«, der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen oder der NZZ zum Ausdruck kommenden Bedenken waren die
Kultusminister und ihre Reformer noch achselzuckend hinweggegangen. Die klare Entscheidung der FAZ aber, ohne Abstriche zur bewährten Orthographie zurückzukehren, machte die Krise der Neuschreibung wieder wirklich augenfällig.
Leider ist es damals nicht gelungen, weitere einflußreiche Medien zur konsequenten Opposition gegen die Neuregelung zu bewegen. Dennoch sollte gerade die DASD als Versammlung von Schriftstellern und Geisteswissenschaftlern nicht übersehen, daß der Boykott weithin fortgesetzt wird. Von den 21 auf deutsch verfaßten belletristischen Titeln, die in der jüngsten »Zeit«-Buchmessenbeilage rezensiert wurden, ist lediglich einer in neuer Rechtschreibung erschienen. Auf der »Spiegel«-Bestsellerliste vom 1. August 2003, dem fünften Jahrestag der Reform, fand sich der erste Titel in
reformierter Rechtschreibung auf Platz sechs. 18 Schriftsteller aus neun europäischen Ländern, unter ihnen auch Mitglieder der DASD, haben zum Auftakt der diesjährigen Buchmesse an ihre Kollegen in aller Welt appelliert, bei Übersetzungen ihrer Werke ins Deutsche auf der herkömmlichen Orthographie zu bestehen.
Der Kompromißvorschlag der DASD ist von ihr selbst als »zweitbeste Lösung« bezeichnet worden, da die beste und übrigens auch kostengünstigste (die Rückkehr zur vor der Reform üblichen und auch heute noch von so gut wie
jedermann beherrschten Orthographie) nicht mehr zu bekommen sei. Aber kann denn die deutsche Orthographie und damit die deutsche Sprache Gegenstand von Verhandlungen sein zwischen Mächtigeren, die von ihr herzlich wenig verstehen, und weniger Mächtigen, die per Selbstdefinition ihre Anwälte sein müssen? Wird die DASD ihrer Verantwortung gerecht, wenn sie sich in dieser für sie zentralen Frage so wenig selbstbewußt verhält? Für die Institution, die alljährlich den Büchnerpreis verleiht, kann ein derartiges Angebot eigentlich nicht in Frage kommen, wenn sie sich einmal auf die Unbeugsamkeit dessen besinnt, dem zu Ehren sie diesen Preis vergibt.
Auf die linguistischen Mängel des Kompromißvorschlags einzugehen ist hier nicht der Ort. Es sei nur erwähnt, daß er in erster Linie die Beibehaltung der »neuen«
ss-Schreibung vorsieht, die sich schon während eines Intermezzos im 19. Jahrhundert nicht bewährt hat und auch jetzt wieder als Fehlerquelle ersten Ranges erweist. »Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung
nicht grundsätzlich bekämpft.« So ist es wohl, aber es ist sachlich überhaupt nicht zu rechtfertigen. Paradoxerweise gehörte die ss-Schreibung auch gar nicht zum Programm der Reformer, sondern trat erst in den Vordergrund, als deren
Herzenswunsch, die »gemäßigte Kleinschreibung«, endgültig abgewiesen worden war.
In einer Glosse der FAZ hieß es vor einiger Zeit: »Es gehört zum ganz kleinen Verhandlungseinmaleins, dem Partner vor Beginn der Gespräche keine Zugeständnisse zu machen. Dieser Grundsatz gilt erst recht, wenn der Partner
Nordkorea heißt.« Er gilt auch, wenn der Partner KMK heißt. Zumal diese nicht einmal Gespräche angeboten hat und sich im Gegenteil bemüht, den Standpunkt der DASD zu ignorieren! Seit mehr als fünf Jahren wird den Schulkindern in Deutschland, Österreich und der Schweiz beigebracht, daß die Orthographie, in der die allermeisten Mitglieder der DASD schreiben und veröffentlichen, »überholt« sei. Auf gar keinen Fall und auch nicht nachträglich sollte die
Akademie sich damit einverstanden erklären. Und wenn sie schon eine Minimalforderung zu erheben gedenkt, dann doch wohl eher die, daß die bewährte und auch weiterhin praktizierte Orthographie nicht nur befristet bis zum 31.
Juli 2005, sondern unbefristet darüber hinaus als richtig anerkannt werden muß.
Wir wünschen Ihnen eine anregende und fruchtbare Tagung und viel Erfolg bei Ihren Bemühungen, unsere Sprache aus den Verstrickungen, in die sie durch die Rechtschreibreform geraten ist, wieder zu befreien.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Markner
Als Anlagen wurden beigefügt die Rezensionen des Kompromißvorschlags von Theodor Ickler (SZ vom 28. 3. 2003) und Reinhard Markner (Berliner Zeitung vom 7. 4. 2003).
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