Re: Trauerfall
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
Bestattungsunternehmen haben sich zunehmend mit „reformierten Spruchvorlagen ausgestattet, die dem Reformgeist folgen, nach dem gegenüber Personen, die man duzt (geduzt hat?), eine besondere „Ehrerbietung durch Großschreibung nicht notwendig ist. Wird aber doch einmal eine Hervorhebung gewünscht, fallen den Bewahrern der Bestattungskultur nur noch fette Buchstaben ein:
Unsere gemeinsame Zeit ist vorbei,
aber in der Erinnerung
wirst du immer bei uns sein.
(Kieler Nachrichten v. 6.6.2003)
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Herrn Salzburgs Beobachtung, daß in der Traueranzeige bei der Hervorhebung von du wegen des angeblichen Großschreibungsverbots die Anfettung der beiden Buchstaben gewählt wurde, ist wirklich bemerkenswert. Deutlicher kann man die absurden gedanklichen und handwerklichen Kapriolen, die sich die Sprachgemeinschaft aufzwingen läßt, kaum auf den Punkt bringen.
Nur der Vollständigkeit halber: Man sollte aber als Kritiker der Rechtschreibreform nicht vergessen, daß die neue Regel bei aller Unzuständigkeit der Obrigkeit, vor allem im vorliegenden Fall der brieflichen, also privaten Du-Anrede, immerhin einfacher ist als der bisherige Gebrauch. Vielleicht sogar die einzige Vereinfachung unter allen vorgenommenen Änderungen. Die meisten hatten Schwierigkeiten, zwischen Brief-Du und normalem du zu unterscheiden; viele schrieben das du einfach immer groß. So bezweifle ich, daß es eine Vereinbarung der Zeitungsverlage gibt, durchgängig groß zu schreiben. Ich vermute, es handelt sich um die Fortsetzung des schon bisher verbreiteten Irrtums bzw. der Unfähigkeit, die Bedingungen zu erkennen, unter denen ein großes Du angemessen in Frage kommt. So auch in dem Zitat: Handelt es sich bei einer lyrischen Anrede des Verstorbenen um eine briefliche bzw. um eine gleichwertige Anrede? Der Angesprochene kann ja den Text nicht mehr lesen; damit rückt der Nachruf ein Stück in den Bereich des Mündlichen oder des Gedanklichen, bei dem die Großschreibung fehl am Platz wäre. Ein echter Zweifelsfall: Brief oder Lyrik?
Zur Orientierung: In der Bibel wimmelt es von du. Alle diese du sind natürlich klein geschrieben, wo Menschen einander mündlich anreden. Erst recht natürlich, wenn das du gewissermaßen reflexiv auf den Sprecher bezogen bzw. auf keinen spezifischen Adressaten gerichtet ist: "... der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen (Psalm 103). Aber auch dann klein, wenn Gott angerufen wird: Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende. Die Söhne deiner Knechte bleiben wohnen, und ihr Geschlecht wird vor dir gedeihen (Psalm 102). Und sogar dann klein, wenn Paulus einen Brief an einen einzelnen Adressaten schreibt: Derhalben ließ ich dich in Kreta, daß du solltest vollends ausrichten ... wie ich dir befohlen habe ... (Brief an Titus). Oder gibt es Bibel-Ausgaben, die in einem der beiden letzten Fälle die Großschreibung gewählt haben? Jedenfalls ist es vielen kaum noch gegenwärtig, daß es dieses kleine du für verschiedene Zwecke überhaupt gab. Ähnlich geht es wohl den Redakteuren, die immer zur Großschreibung greifen, nur weil es heißt, sie sollten die reformierte Kleinschreibung von du nicht anwenden.
Daß letztlich die vereinfachte durchgängige Kleinschreibung der Sprachgemeinschaft keine Erleichtung bringt, weil viele sich nicht danach richten werden, nicht zuletzt auch viele Zeitungen, so daß wir wiederum keine durchgängige Kleinschreibung haben werden, sondern teils klein, teils gemischt klein und groß und teils irrtümlich immer groß das darf man andererseits auch nicht übersehen. Somit steht die Vereinfachung nur auf dem Papier, und gegen die fundamentale Unzuständigkeit der Kultusministerkonferenz gibt es kein ebenbürtiges Argument. Die Sprachgemeinschaft kann sich für ein durchgängig kleines du entscheiden, aber sie muß es selbst tun, mit oder ohne oder trotz der staatlichen Bevormundung. Bevor sie sich so entschieden hat, im Lauf von Jahrzehnten, wird es keine Vereinfachung geben; und wenn sich die Sprachgemeinschaft dafür entscheiden möchte, ist das ebenso gut und besser ohne den Staat möglich.
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