Microsoft und die Rechtschreibung
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Viele von uns haben doch Angst. Und zwar weil die Selbstheilungskräfte des Sprachvolks durch eine sehr rigide Fremdbestimmung, nämlich die Herrschaft der Rechtschreibprogramme unterlaufen werden. Die Texte werden schon jetzt immer einheitlicher einheitlich im Falschen, Dummen. Das macht Bill Gates. Die Reformer weisen dann befriedigt auf diesen Erfolg hin, den sie sich selbst zugute halten. Auch als Gewöhnung und Umlernen des Schreibvolks interpretieren sie es gegen besseres Wissen.
Hieß es bis vor kurzem: Wir können nicht umkehren, denn die Schülern lernen schon die neue Schreibweise so wird es künftig heißen: Wir können nicht mehr zurück, denn Microsoft will keine zusätzlichen Kosten tragen.
Grundsätzlich Zustimmung. Denn die meisten wissen nicht, daß die Rechtschreibung nur an den Schulen verbindlich ist (wobei man das auch noch relativieren müßte) und daß im Prinzip sonst jeder schreiben kann, wie er will. Ist ja auch ein bißchen schwer zu begreifen, daß jetzt jeder unter Rechtschreibung etwas anderes versteht. Die meisten denken also, zumindest an ihrem Arbeitsplatz: Jetzt gilt die neue Rechtschreibung, und deshalb wehren sie sich auch gar nicht dagegen, daß diese bei Microsoft voreingestellt ist. Richtig ist auch, daß dieser Effekt von den Reformern mißbräuchlich als bewußte Zustimmung der Schreiber zur Neuregelung ausgegeben wird, ähnlich wie die Schreibungen in den umgestellten Zeitungen (obwohl, unter anderem, diese Rechtschreibungen erheblich von der Neuregelung abweichen).
Zwei Einschränkungen: Erstens hat das auch sein Gutes. Denn nur so bekommen diese uninformierten, ängstlichen Nutzer ständig das Feedback: Falsch! Falsch! Falsch! Dadurch haben dann diese Kommentatoren in den Zeitungen nicht so leichtes Spiel, die absurderweise behaupten, man könne jetzt dank der Reform eine ungeahnte Freiheit des Schreibens genießen. Diese Botschaften der Microsoft-Programme Falsch! Falsch! Falsch! sind eine wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Verdruß an der neuen Rechtschreibung. Die schafsgeduldigen Deutschen brauchen vielleicht noch ein paar Jahre, aber irgendwann wird ihnen das Gemecker der Rechtschreibprüfung und das tausendfache Korrigieren der eigenen Texte zum Hals heraushängen.
Zweitens glaube ich nicht, daß die alte Rechtschreibung so bald als Option aus den Programmen herausfliegt. Denn die ungebrochene Tendenz dieser Programme ist es doch, jeden denkbaren Wunsch der Nutzer als Option zu berücksichtigen. Somit kann bzw. müßte Microsoft ggf. nur die Voreinstellung zwischen neu und alt ändern, und es gibt kein Argument, daß eine Rückkehr zur bewährten Einheitsschreibung für Microsoft geschäftsschädigend wäre. Im Gegenteil: Wenn die neue Rechtschreibung wieder in sich geändert wird, wie jetzt vorgesehen, dann muß Microsoft sein Wörterbuch für die neue Rechtschreibung überarbeiten. Dem stehen aber erhöhte Nachfragechancen gegenüber, weil die Leute die aktuelle Rechtschreibung im Programm haben wollen. Somit ergibt sich für Microsoft zwar tatsächlich ein gewisser Vorteil aus möglichst vielen neuen Reformen der Rechtschreibreform, aber jedenfalls kein Nachteil aus einer Vereinheitlichung der Rechtschreibungen auf der Basis der sogenannten alten Rechtschreibung.
Unter dem Strich sehe ich eine starke Beeinflussung der Schreiber durch Microsoft in Richtung reformierte Rechtschreibung, die aber auch deren allgemeine Verachtung zur Folge hat. Sobald dann wieder geändert wird, vervollkommnet sich diese Verachtung. Ein Argument der Geschäftsschädigung bei Microsoft auf die eine oder andere Weise kann ich nicht nachvollziehen.
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