Gegenbewegung
Um zu erkennen, daß die vorliegende Reform ein Schmafu ist, braucht man gar kein Germanist sein. Auch als Laie, der ich bin, erkennt man das schnell, einfach indem man versucht sie anzuwenden. Und viele Leute erkennen das. Einzig: es fehlt an Alternativen, und zwar in zweierlei Hinsicht:
1) Das maßgebliche Regelwerk der deutschen Sprache ist nun einmal der Duden. Und wer einen Geschäftsbrief, ein amtliches Dokument oder eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben hat, sieht bei Unsicherheiten eben genau dort nach. Eine Alternative gibt es nicht. Natürlich kann ich den alten Duden verwenden. Nur: nicht jeder hat den noch, und wo bekommt man den her? Außerdem verändert sich die Sprache mit oder ohne Reform, wodurch auch eine Neuauflage fällig wird. Natürlich gibt es dann noch den Ickler. Aber, wie schon an anderer Stelle diskutiert wurde, ist dieser wohl kein Volkswörterbuch. Außerdem reicht eine Wortliste nicht aus. Man benötigt gelegentlich auch ein Regelwerk über Grammatik.
2) Es gibt auch keine Alternative zur Reform. Daß sich die Schreibung mit der Zeit der sich verändernden Sprache anpassen muß, ist, glaube ich, selbstverständlich. Sonst würden wir heute noch kuanige für König und hrengaz für Ring schreiben, wie ein Freund von mir anmerkte (siehe englisch!).
Meine Vorschläge wären nun folgende:
ad 1)
Wenn ich in einer duftenden Blumenwiese liege, in den blauen Himmel hinaufsehe -- ich befinde mich dzt. in der Bretagne, also ist das gar nicht so abwegig --, und meinen Gedanken freien Lauf lasse, dann träume ich von einer besseren Welt -- und von einem Wörterbuch der deutschen Sprache, das nicht nur umfassend sondern auch frei und für jedermann zugänglich ist. Dieses Wörterbuch würde sich dem Wesen nach an den Open-Source-Prinzipien, wie sie aus der Software-Welt bekannt sind richten. D.h., es wäre ein Gemeinschaftsprodukt, an dem sich jeder beteiligen kann und das jeder als Basis für weitere Produkte nutzen kann. Es wäre kostenlos für jeden z.B. im Web einsehbar. Verlage könnten es in Buchform bringen, ohne dafür Lizenzkosten zahlen zu müssen, wodurch das Endprodukt dann auch deutlich billiger wäre, als der kommerzielle Duden. Ein entscheidender Marktvorteil, wie ich meine, der auch zu einer weiten Verbreitung beitragen würde. So hätte das Sprachvolk eine Alternative zum Duden, von Gottes Gnaden unfehlbarer Verteidiger der einzig wahren Sprachenlehre. Denn man muß bedenken, daß die Masse zwar vielleicht gegen etwas ist und auch viel raunzt, aber doch auch bequem ist. Und wenn es keine einfachen, vielleicht sogar einfacheren und besseren Alternativen gibt, wird zwar weitergeraunzt, aber man greift halt doch zum Duden, den es in der Buchhandlung um die Ecke gibt und den jeder verwendet.
Mir ist natürlich bewußt, daß hier noch viele Punkte zu diskutieren wären. Z.B. müßte es ein Gremium von Fachleuten geben, das darüber entscheidet, was aufgenommen wird, was zur Regel gemacht wird, was verändert wird. Wer sollte, wer müßte in diesem Gremium sitzen? Wie fällt dieses Gremium Entscheidungen? Genau darüber zu diskutieren, möchte ich hier anregen.
ad 2)
Ich hätte hier schon einige Vorschläge, wie z.B. die Abschaffung der Substantivgroßschreibung. Ich weiß schon, es wurde in diesem Forum bereits darüber diskutiert, und viele sind wohl Verfechter der Großschreibung. Ich halte sie nicht für unbedingt notwendig. Auch in vielen anderen Sprachen kann man sich schriftlich verständigen, ohne jedem dritten Wort einen Großuchstaben voranzustellen. Welche Sprachen, außer dem Deutschen, gibt es eigentlich noch, die Substantive großschreiben?
Weiters sollte die Etymologie nicht das oberste Prinzip für die Orthographie sein. Es mag ja wissenschaftlich ganz interessant sein, wie sich ein Wort entwickelt hat. Nur, wenn ich wissen will, wie man ein Wort schreibt, will ich nicht unbedingt im Grimm, den ich natürlich immer griffbereit habe, nachschlagen.
Außerdem frage ich mich, ob man tatsächlich so viele Varianten benötigt, um die Länge eines Vokals zu bezeichnen. Wo liegt denn der Unterschied zwischen kahl, Saal und Schal?
Das sind jetzt natürlich nur so Gedanken und es würde mich interessieren, was die hier vertretenen Germanisten -- und natürlich auch alle anderen -- dazu zu sagen haben. Auch, welche weiteren Vorschläge es für Änderungen der Orthographie es gibt.
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Alexej Davidov
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