An die Bildungsministerin
Frau Ministerin
Ute Erdsiek-Rave
Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur
Brunswiker Straße 16 22
24105 Kiel
Rechtschreibung
Sehr geehrte Frau Minister,
vor kurzem hat meine belesene Tochter in einem Übungsdiktat – in dem Bestreben, sich den neuen Schreibverrenkungen anzupassen – „Bahn brechend“ und „Grauen erregend“ geschrieben. Eine angekündigte Erklärung der Lehrerin, warum das eine neu falsch sein soll, steht bis heute aus. Hier wird kostbare Lernzeit mit der Verstümmelung unserer bewährten Schriftsprache verschwendet – zur Lösung von Problemen, die es vor der „Reform“ nicht gab. Meine jüngere Tochter schreibt neudenk-richtig „Weißheit“, „hiß“ und „Ergebniss“ – und wieder ist es falsch.
Sie lassen nun seit Jahren verbreiten, an den Schulen gäbe es keine Probleme mit der „neuen“ Rechtschreibung. Tatsächlich werden sie nur verschleppt, vertuscht und verschwiegen.
Die Spaltung vertrauter Adjektive führt zu Lesefallen und Zweideutigkeiten, zum Beispiel:
Nach Meinung des amerikanischen Präsidenten sollte Krieg führenden Staaten vorbehalten bleiben, ob sie sich an das Völkerrecht halten oder nicht.
Der Sinn wird nur eindeutig, wenn es – wie in der Sprache – auch in der Rechtschreibung die Adjektivbildung „kriegführend“ gibt.
In meiner alten Reclam-Schülerausgabe schreibt Goethes Werther auf der ersten Seite seines Briefromans – vermutlich schon seit Beginn der „Universalbibliothek“ 1867:
„Gewiß, Du hast recht, mein Bester …“ (UB 67/67a, 1956)
Seit 2001 lesen die Schüler bei Reclam nun nach den „neuen amtlichen Regeln“:
„Gewiss, du hast Recht, mein Bester …“
Die neuen „ss“ sind traditionszerstörend, lesefeindlich und pädagogisch wertlos – der Geßlerhut der flächendeckenden Zwangsmissionierung. Das Schrumpf-„du“ fälscht 200 Jahre Sittengeschichte und täuscht die Schüler über die (lt. KN v. 1.8.03 auch bei Reformfreunden) weiterhin übliche höfliche Anrede. Schließlich ist die formale Substantivierung von „recht“ Gift für die Entwicklung eines grammatischen Feingefühls. Konrad Duden wußte schon 1876, im Gegensatz zu unseren „Reformern“:
„Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not [erkennt man] die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt, er ... hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. "
Wie recht Duden hat, zeigt das Hantieren mit scheinbar baugleichen Sätzen „Du hast Glück, du hast nur Mumps“: Unmöglich ist „Wie Mumps du auch hast, du hast ganz Glück“.
Die Rechtschreibkommission will davon nichts wissen. Damit hat aber die sprachliche Falschmünzerei noch längst kein Ende; ein weiteres Beispiel:
Mein alter Reclam-Werther schrieb: „Was mir noch leid tut, ... “
Heute soll in der Schule jedoch falsch gelehrt werden: „Was mir noch Leid tut. ... “
(Diese „Korrektur“ fehlt noch bei Reclam – der übliche Pfusch in neuen Schulbüchern)
Wie man hört, wollen die Reform-Quacksalber jetzt nach vieler Kritik diesen Fehler entschärfen (nicht aber den vorhergenannten) und dazu – wohl nur, um weiterhin die einzig richtige Schreibung für falsch erklären zu können – zusätzlichen Unfug in Umlauf bringen:
„Was mir noch leidtut,... “
Diese Vorgehensweise übertrifft nun aber alle vorangegangenen Dreistigkeiten, ausgenommen die Annullierung des Volksentscheids.
Das „Tollpatsch“-System versagt ebenso wie das „Toll-Collect“-System. Es kostet aber die Bürger nicht nur Milliarden: es vergiftet auch die gesamte deutschsprachige Schreibkultur.
Marcel Reich-Ranicki hat anläßlich der begeistert begrüßten Rückkehr der FAZ zur bewährten Rechtschreibung gesagt: „Ich glaube aber keineswegs, daß jene, die die Verantwortung für diese Katastrophe tragen, fähig und befugt sind, das Ganze wieder in Ordnung zu bringen. Die Trottel und Missetäter haben ihre Unfähigkeit hinreichend bewiesen. “ ( 28.07.2000 „Kölner Express“)
Ich bitte daher, auch im Namen meiner Freunde von der Bürgerinitiative gegen die Rechtschreibreform:
Veranlassen Sie mit Ihren Ministerkollegen die sofortige Entlassung der Rechtschreibkommission und des Beratergremiums aus lauter Lobbyisten!
Außerdem geht es nicht an, daß belesene Schüler, die so schreiben, wie noch heute unsere besten Schriftsteller, dafür in der Schule durch rote Striche ihre Zukunft zerstört sehen. Daraus folgt:
Die alte Rechtschreibung muß auf Dauer weiterhin ihre Gültigkeit behalten und auch in den Schulen bekanntgemacht und anerkannt werden!
Die Beobachtung der reformbedingt verfallenden Schreibfähigkeit und Schreibkultur in den Medien, im Privaten und in den Schulen zeigt, daß das „leichtere Schreiben“ eine leichtfertige Illusion, wenn nicht bewußter Volksbetrug war:
Die „Rechtschreibreform“ ist das dümmste Ereignis der neueren deutschen Kulturgeschichte!
Die enteignete Schreibgemeinschaft und die Mehrheit des deutschen Volkes haben einen Anspruch auf Wiederherstellung ihrer mißachteten Rechte. Deshalb fordern wir:
Rücknahme der mißratenen Rechtschreibreform ohne Wenn und Aber!
In der Hoffnung auf Einsicht der Verantwortlichen,
mit freundlichen Grüßen
gez. Sigmar Salzburg
Dieser Brief wird auch anderen Bürgerinnen und Bürgern zu Kenntnis gebracht
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Sigmar Salzburg
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