Du, du, Sie und diverse Motive
Herr Wagner:
... Personal- und gleichlautenden Anredepronomina. Wie ist es damit aber genau: Kann man generell sagen, daß letztere zur Unterscheidung von ersteren groß geschrieben werden?
-> Nein; es gibt mehrere Motive der Großschreibung, und Anrede allein genügt als Motiv nicht. Bei sie/Sie ist die Unterscheidungsschreibung wichtig und schon ein hinreichender Grund für Großschreibung. Weil bei dem brieflichen, das heißt vor allem: beim schriftlichen Du aber schon das Bedürfnis ausgeprägt ist, aus Höflichkeit (oder Respekt oder ähnliches) groß zu schreiben (obwohl beim Duzen ja auch Vertrautheit vorhanden ist), wird dasselbe Motiv erst recht bei Sie wirksam sein! Mit dem Höflichkeitsaspekt wird die an sich schon vollkommen ausreichende Motivierung der Großschreibung von Sie durch die Unterscheidungsfunktion sozusagen vollends betoniert. Als vorrangig wird bei Sie jedenfalls die Unterscheidungsschreibung angesehen. Professor Ickler spricht sogar von reiner Unterscheidungsschreibung bei Sie; dem stimme ich nicht zu. Ich meine: Bei Sie addieren sich die Motive Unterscheidungsschreibung und Höflichkeitsschreibung; ich gestehe gerne zu, daß die Unterscheidungsschreibung weniger vom Geschmacksempfinden der Gesellschaft abhängt als die Höflichkeitsschreibung und deshalb der wichtigere Grund der Großschreibung sein dürfte, abgesehen von der großen Nützlichkeit der Unterscheidung von sie und Sie für den Leser; wie gesagt: schon ein hinreichendes Motiv. Zugunsten von Professor Icklers Standpunkt ist anzumerken, daß die Großschreibung von Sie ausnahmslos praktiziert wurde und wird, nämlich auch in mündlichen Fällen; eine durch Großschreibung zum Ausdruck gebrachte Höflichkeit ist ja nur dann wahrnehmbar, wenn diese Schreibung den Adressaten als Leser erreicht, vgl. du/Du (Du nur in Briefen!).
Herr Wagner:
Wird speziell im Fall der 2. Person das Personalpronomen du gerade dadurch erst zum Anredepronomen Du, daß ich es groß schreibe?
-> Nein; sondern dadurch, daß ich es zur Anrede verwende. Ich halte diese Unterscheidung aber nur bei sie (Personalpronomen) und Sie (Anredepronomen) für sinnvoll, denn das Personalpronomen du wird sowieso immer zur Anrede verwendet, ist also immer ein Anredepronomen und steht nicht etwa im Gegensatz zu einem Anredepronomen du. Die Schreibung richtet sich jedenfalls nach der Funktion, nicht die Funktion nach der Schreibung.
Außerdem gibt es auch ein klein geschriebenes Anrede-du: vor allem in allen Fällen, wo nicht geschrieben wird, sondern nur gesprochen oder nur gedacht wird: (gesprochen oder gedacht) Meinst du das wirklich? Man denke auch an Selbstgespräche: Das hast du gut gemacht[, dachte er über sich]. Aber selbst bei geschriebenem Anrede-du war nicht immer Großschreibung angebracht und üblich, nämlich wenn keine spezielle Person angeschrieben wurde, etwa in Schulbüchern: Was ist dir in diesem Text aufgefallen? Oder in der Werbung. Beachte auch die durchgängige Kleinschreibung von du in der Bibel, auch in den Briefen! Hier spielt der kulturelle Kontext eine Rolle. Schließlich konnte man vor der Reform durch den Verzicht auf die Großschreibung in persönlichen Mitteilungen besondere Vertrautheit ausdrücken oder auch Coolness, Ablehnung von Konventionen usw.
Den meisten Schreibern war allerdings diese sinnvolle Unterscheidung zwischen schriftlich und nichtschriftlich sowie zwischen verschiedenen Anredesituationen bei schriftlicher Kommunikation nicht bewußt, Faustregel: In Briefen und ähnlichen Texten Du, sonst du. Das große Du war inflationär verbreitet, wobei das stets groß geschriebene Anrede-Sie als Vorbild mit eingewirkt haben kann, aber vor allem war die Differenzierung wohl zu kompliziert für die meisten.
Durchgängig kleines du ist vielleicht der einzige Punkt der Neuregelung, der von der Sache her eine Erleichterung bringen könnte (vorausgesetzt, die Du-Großschreibung wird hinreichend ausgerottet, was noch mehrere Jahrzehnte dauern wird). Dann hätten wir: Siezen groß, duzen klein eine Vereinfachung. Der Haken bei der Sache ist nur, daß es im Bereich von Konvention und Höflichkeit (in der persönlichen, ja vertrauten Du-Beziehung!) dem Staat noch viel weniger zusteht als in der sonstigen Rechtschreibung, den Schülern oder den Bürgern einzutrichtern, was neuerdings zu gelten habe. Aus DIESEM Grund ist eine staatliche Regelung oder Neuregelung der Schreibung von du strikt abzulehnen.
Herr Willms:
Ich sehe die Großschreibung von „Du“ und „Sie“ eigentlich nicht als Form der Ehrerbietung oder Ausdruck von Wertschätzung. Die würde ja eher durch die Höflichkeitsform „Sie“ anstatt „Du“ ausgedrückt.
-> Eine persönliche Beurteilung (Ich sehe ... als ...) kann man an sich nicht widerlegen. Aber soweit es um allgemeine Bräuche geht, wird man schon feststellen können, daß die Großschreibung von Du etwas mit Höflichkeit (oder ähnlichen Motiven) zu tun hat. Wieso denn sonst kam man auf die Großschreibung? Eine gewisse Analogie zu Sie ist nicht ausreichend. Die vielen persönlichen Kommentare von Leuten, die zur Neuschreibung gezwungen werden und gegen das kleine du eine besonders heftige Abneigung empfinden, sprechen dafür, daß das große Du sehr viel mit Höflichkeit zu tun hat und der Wechsel zum du jedenfalls anfänglich als Unverschämtheit empfunden wird.
Allenfalls kann man sagen, daß eine allgemein befolgte Regel in Gefahr ist, ihr Motiv zu verdecken: Wenn alle sowieso Du schreiben, weil man es einfach so macht, wenn also die Unterscheidungsmöglichkeit zum du fehlt, dann kann man auch nicht mehr herauslesen, ob mit der Großschreibung im Einzelfall überhaupt etwas gesagt werden sollte. Denn jeder, ob motiviert oder nicht, wendet einfach das Übliche an, also erkennt man nicht, wer motiviert ist und wer nicht. Anders gesagt, aussagekräftig ist bei einer umfassend angewandten Regel oder Konvention eigentlich nur die Abweichung, also (früher) das kleine du. Jetzt, wo wir wieder beides haben, je nach Rechtschreibung, kann man auch wieder Motive erkennen und zuordnen, und sei es auch nur, ob die Neuregelung befolgt wird oder abgelehnt wird.
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