GI Budapest
Am 1. 9. 2000 erschien auf der Internetseite des GI Budapest folgendes:
Betrifft:
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6) Ungarische Anfrage zur Diskussion um die Rechtschreibreform
7) Die Meinung des Goethe-Instituts (Zentralverwaltung) zur Recht- schreibreform- Diskussion
8) Kontoversen zur Rechtschreibreform
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6) Ungarische Anfrage zur Diskussion um die Rechtschreibreform
Im August schrieb unser Mitglied Glo'ner Csaba an das IDV-Netz:
Soviel ich weiss, ist bei uns in Ungarn ab September dieses Jahres
verbindlich, die neue Rechtschreibung zu unterrichten. Mein Problem
ist, dass ich nicht wissen kann, ob in ein paar Jahren nicht die alte
Schreibweise wiederkommt, und dann werden meine Schueler es schwer
haben; sie muessen ja dann eine neue (d.h. die alte) Rechtschreibung
erlernen. Ich selbst wuerde auch weiterhin die alte Rechtschreibung
unterrichten, aber ich wuerde gern auch eure Meinungen darueber hoeren.
Darauf antwortete am 14. August Dr. Fritz Neubauer aus Bielefeld (ein
von uns schon oefter erwaehnter Kritiker der Rechtschreibreform):
Hier ist meine Meinung dazu, zusammen mit einigen neuen Informationen
zu diesem Thema:
Seit dem 27. Juli 2000 hat sich die Diskussion ueber die in der 'Gemein-
samen Absichtserklaerung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung'
(GA) vom 1. Juli 1996 vorgeschlagenen Veraenderungen intensiviert. An
diesem Tag kuendigte die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' (FAZ) an, zum
1. Jahrestag der Uebernahme einer eingeschraenkten Variante der SA-Vor-
schlaege zur allgemein gebraeuchlichen Orthographie aus dem Jahre 1991
zurueckzukehren.
Einige Verlage, darunter der Verlag des Deutschen Hochschullehrerverban-
des, folgten diesem Schritt auch in ihren Publikationen. Als Begruendung
schreibt Thomas Steinfeld in der FAZ vom 26.7. im Artikel 'Bankrott!
Gemeingefaehrlich: Der Skandal der neuen Rechtschreibung' u.a.: 'Tat-
saechlich ist die Reform der deutschen Rechtschreibung, an der diese
Kommission ueber zwanzig Jahre lang gearbeitet hatte und die am Ende von
den Kultusministern in einem Gewaltstreich gegen eigene Experten ver-
haengt wurde, ein einziges Fiasko. Munitioniert von angeblichen Fach-
leuten, dekretiert von ebenso hilflosen wie machtbewussten Politikern,
hat die Reform in Wirklichkeit nur eines erreicht: Es gibt keine ein-
heitliche deutsche Orthographie mehr...
(Die Reform) war das duemmste und ueberfluessigste Unternehmen in der
deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefaehr-
licher Akt.'
Damit gibt es z.Z. wieder zwei deutschsprachige Tageszeitungen, die in
der in der Bevoelkerung allgemein ueblichen Orthographie erscheinen: Die
in Wien erscheinende 'Presse', die nie den 'geistigen Pickelhaubentrae-
gern' folgen wollte, und nunmehr die FAZ. Es ist zu vermuten, daB wei-
tere Verlage und Zeitungen folgen werden.
Gerade in elf Tagen, am 25. August 2000, erscheint die neue (22.) Auf-
lage des Duden, dessen eigentliche offizielle Aufgabe es sein sollte,
5000 neue Woerter aufzunehmen, dessen Aufgabe nach dem 2. Bericht der
Zwischenstaatlichen Kommission vom Fruehjahr 2000 es aber sein muBte,
'offensichtliche Fehleintraege' wie z.B. die Wiedererweckung von
'wiedersehen' zu korrigieren. [...]
Unser DaF-Kollege Prof. Ickler weist in seiner in der FAZ vom 11. August
2000 unter dem Titel 'Ein Fiasko: Lektuere, Deutung, Analyse der in zwei
Wochen erscheinenden zweiundzwanzigsten Auflage des Duden' erschienenen
Rezension nach: 'Die orthographische Substanz ist im Vergleich mit der
vorigen Auflage, aber auch gegenueber der amtlichen Neuregelung (d.h.
die GA, F.N.) tiefgreifend veraendert.' Das heiBt, daB nicht einmal mehr
der Duden, aber auch nicht die entsprechende Bertelsmann-Ausgabe den
Vorschlaegen der GA folgen. Die einzigen, die offiziell noch der GA-Ver-
sion von 1996 folgen sollen, sind die Lehrer in den Schulen und die
Schul- und DaF-Lehrbuecher.
Damit ist klar, daB die Vorschlaege niemals in dieser Form Wirklichkeit
werden. Nach der neuesten Duden-Auflage und nach dem 2. Bericht der
Zwischenstaatlichen Kommission ist auch klar, dass alle seit 1996 er-
schienenen Handbuecher, Uebungsbuecher usw. zur 'neuen Rechtschreibung'
offensichtliche Fehleintraege enthalten. Andererseits versucht die neue
Duden-Auflage Vorschlaege aus dem ersten 70seitigen Bericht der Zwi-
schenstaatlichen Kommission, die von den Kultusministern nicht akzep-
tiert worden waren, bei der Zusammen- und Getrenntschreibung, z.B. durch
'wohlriechend', 'wohltemperiert', aber nur 'wohl versorgt', 'hochaufloe-
send', aber 'hoch empfindlich', 'hocherfreut' usw. zu uebernehmen. Neu
im Duden sind auch Alternativen zu den dreifachen Konsonanten in der
Form von 'Brenn-Nessel' und 'Still-Legung'.
Angesichts dieser Fuelle von laufenden Veraenderungen ist z.B. der Hue-
ber-Verlag dazu uebergegangen, die Jahreszahl bei der Angabe der Ortho-
graphieversion hinzuzufuegen: 'Dieses Werk folgt der Rechtschreibreform
1996 ...'.
Vor diesem Hintergrund kann nicht vorausgesagt werden, welche Orthogra-
phieversion nach der Uebergangszeit im Jahre 2005 bestehen wird. DaF-
Lernende im Jahre 2000 die Version von 1996 zu lehren, erscheint mir
unverantwortlich. Ich wuensche Ihnen viel Erfolg dabei, dies Ihren Kol-
leginnen und Kollegen zu erklaeren.
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7) Die Meinung des Goethe-Instituts (Zentralverwaltung) zur Recht-
schreibreform-Diskussion
In der ZV-Info Nr. 14/2000 vom 28. Juli 2000, die an alle Mitarbeiter
und Gremien des Goethe-Instituts ging, ist (gekuerzt) zu lesen:
Neue Rechtschreibung
Artikel in diversen deutschen Tageszeitungen diskutieren zum Teil
polemisch das Thema Neue Rechtschreibung bzw. Reform der Recht-
schreibreform. Die FAZ hat nach einem Probelauf entschieden, zur alten
Rechtschreibung zurueckzukehren. Die ZEIT wendet seit der Umstellung am
10.6.1999 eine adaptierte Fassung an. All dies ist in der Uebergangs-
phase bis 2005 moeglich und kein Grund, immer wieder in Grundsatzdebat-
ten zu verfallen.
Aus Sicht des Goethe-Instituts spielen Orthographie und Interpunktion
fuer den Spracherwerb und demzufolge auch für Pruefungen keine zentrale
Rolle. Um Verunsicherungen zu vermeiden und um eine sachliche Diskussion
zu ermoeglichen, uebermitteln wir Ihnen einige Sach- und Hintergrundin-
formationen [...].
1. Rundschreiben AIZ 689/96
Das Rundschreiben zur Rechtschreibreform AIZ 689/96 vom 3.12.96 behaelt
weiterhin seine Gueltigkeit.
2. DUDEN 2000
Ende August wird der DUDEN 2000 erscheinen. Die wesentlichen Neuerungen
bestehen in der Aufnahme von rund 5000 neuen Woertern von Altersteil-
zeit ueber Global Player zu zumuellen und nicht etwa in einer
Reform der Rechtschreibreform.
In seiner Pressemitteilung vom 26.7. teilt der Dudenverlag Mannheim mit:
Tatsache ist: Die 22. Auflage der Duden-Rechtschreibung gruendet sich
ohne Wenn und Aber auf die 1996 beschlossene Neuregelung der deutschen
Rechtschreibung. Der Duden vertritt keinerlei Abweichungen von dieser
Regelung, die voellig unveraendert gueltig ist. Es kann keine Rede davon
sein, dass eine 'Reform der Reform' zu erwarten sei. In schwierigen Ein-
zelfaellen stuetzt sich der Duden auf Hinweise und Empfehlungen der
Zwischenstaatlichen Kommission fuer Rechtschreibung. Die neuen Regeln
wurden im neuen Duden nicht geaendert, sondern nur noch benutzerfreund-
licher umgesetzt.
3. ZWISCHENSTAATLICHE KOMMISSION FUER DEUTSCHE RECHTSCHREIBUNG
Die Geschaeftsstelle dieser Kommission hat ihren Sitz am Institut fuer
Deutsche Sprache in Mannheim. Die Empfehlungen fuer die Aenderung der
deutschen Rechtschreibung sind von hier ausgegangen und wurden den
Erziehungsbehoerden der deutschsprachigen Laender vorgelegt. Die Kom-
mission hat von den beteiligten Laendern 1998 den Auftrag erhalten, Loe-
sungsvorschlaege fuer jetzt noch bestehende Zweifelsfaelle (solche gibt
es in der Tat) bis zum Jahr 2003 vorzulegen.
4. SITUATION IN ANDEREN LAENDERN
Rechtschreibreformen werden auch anderswo durchgefuehrt, so zum Beispiel
fuer das Niederlaendische (Flaemisch inklusive) und Daenische; in Norwe-
gen hat es in diesem Jahrhundert bereits sechs Reformen gegeben. Zumin-
dest sind Deutschlehrer und Deutschlehrinnen in diesen Laendern an der-
artige Umstellungen gewoehnt und sehen darin keine Katastrophe fuer ihre
Sprache.
5. HISTORISCHER RUECKBLICK
Es gab immer verschiedene Schreibweisen nebeneinander, ohne dass Sprache
oder Kultur darunter litten. Bis in die zweite Haelfte des 19. Jahrhun-
derts gab es im deutschen Sprachraum keine einheitliche Rechtschreibung,
jede/r Schreibende schrieb, wie es ihr/ihm beliebte. Dazu Goethe selbst
zu K. v. Holtei: Mir, der ich selten selbst geschrieben, was ich zum
Druck befoerderte, und, weil ich diktierte, mich dazu verschiedener
Haende bedienen musste, war die konsequente Rechtschreibung immer ziem-
lich gleichgueltig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf
kommt es doch eigentlich nicht an; sondern darauf, dass die Leser ver-
stehen, was man damit sagen wollte.
Erst nach 1871, mit der Gruendung des Deutschen Reichs, wurden Voraus-
setzungen fuer die Einfuehrung einer einheitlichen Rechtschreibung ge-
schaffen, die 1901 beschlossen und 1902 verordnet wurde. Aber auch seit-
dem liefen verschiedene Schreibweisen parallel nebeneinander, eine alte
wie die neue, die uebrigens auch stets nachgebessert wurde. Dazu kamen
individuelle Schreibweisen verschiedener Dichter und Autoren, Experi-
mente mit der Kleinschreibung, u.a.
Die jetzige Neuregelung entspricht eigentlich nur der Vorgabe von Konrad
Duden selbst, der 1901 nach der beschlossenen Rechtschreibreform fuer
eine Vereinfachung der Schreibweise eintrat, leider viel zu lange ohne
Erfolg. Viele halten deswegen das bisherige Provisorium fuer ein unver-
aenderbares Merkmal der deutschen Sprache.
Peter Wapnewski (Vizepraesident des Goethe-Instituts) hebt in einem Le-
serbrief (Sueddeutsche Zeitung v.3.12.97) hervor, dass die Orthographie
nun einmal nicht mehr als eine Magd im Haushalt der Sprache sei und
dass seit Otfried von Weissenburg das Buchstaebliche die Sprache nie
habe bewegen koennen.
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8) Kontroversen zur Rechtschreibreform
Nach diesen zurueckhaltenden Aeusserungen nun noch ein Beispiel fuer
Polemik, wie sie z.B. dier Aktion Fuer die Einheit der Orthographie!
Initiative gegen die Rechtschreibreform des VRS (Verein fuer deutsche
Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.), Vorsitzender: Manfred Riebe,
OStR, Dipl.-Kfm. in Schwaig bei Nuernberg, Netzpost (!)
, zu ueben pflegt (wir verwenden zur Klarheit
wie Dr. Neubauer ausnahmsweise B fuer das scharfe s):
Weiterer Rueckbau der Rechtschreibreform -
Deutscher Staedtetag: kuenftig keine SchlossstraBe
In: Nuernberger Zeitung 28.08.2000, S. 4
Auf StraBenschildern wird die Rechtschreibreform wohl nicht angewendet
werden. Der Deutsche Staedtetag lehnt einen Austausch der Schilder mit
der neuen Schreibweise ab. Steuergelder sollten sinnvoller eingesetzt
werden.
Bei dem Beispiel 'SchloBstraBe' etwa muessten in tausend Faellen die
Schilder ausgetauscht und mit 'SchlossstraBe' ersetzt werden. Allein
fuer die SchloBstraBe im Berliner Bezirk Steglitz wuerde der Austausch
12.000 Mark kosten.
Kommentar Riebe: Erstmals blitzt ein winzig kleines Zipfelchen Vernunft
durch. Haben die Haushalter des Bundes, der Laender und der Gemeinden
bisher ueberhaupt einmal ueber die Kosten der gesamten Rechtschreibre-
form in ihren weltweiten AusmaBen nachgedacht?
W.D.O. ;-) Weiteres in Richtung Polemik koennen Sie nachlesen auf fol-
genden URLs im Weltnetz (Ausdruck der Sprachpuristen fuer Internet):
http://www.raytec.de/rechtschreibreform/
http://www.rechtschreibreform.com
http://www.rechtschreibvolk.de
Und jede Mail von Riebe endet mit dem Spruch: Es ist nie zu spät,
Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption
und Steuerverschwendung zu stoppen! (VRS)
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Vom Schriftleiter der Wiener Sprachblaetter, herausgegeben vom Verein
Muttersprache, dem groessten Sprachpflegeverein Oesterreichs; siehe:
http://mailbox.univie.ac.at/~fischeg4/WienerSprachblaetter.htm, kommt
folgende Information:
Manche uninformierten deutschen Journalisten wissen nicht, dass es auch
in Oesterreich Widerstand gegen die Rechtschreibreform gibt. Tatsaech-
lich erscheinen z.B. etliche oesterreichische Tageszeitungen und viele
Zeitschriften weiterhin in traditioneller Rechtschreibung, allen voran
'Die Presse', Wien, und koennen als Vorbild fuer deutsche Zeitungen
dienen. 'Die Presse' wurde sogar in Deutschland mangels nicht umgestell-
ter deutscher Tageszeitungen abonniert. Auch die 'Wiener Sprachblaetter'
erscheinen unbeirrt in der konventionellen Rechtschreibung.
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Th. Ickler
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