2. Versuch
Frau Ministerin
Ute Erdsiek-Rave
Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur
Brunswiker Straße 16 – 22
24105 Kiel
Rechtschreibung
Ihr Antwortschreiben v. 18.2.2004
Sehr geehrte Frau Minister,
Sie haben freundlicherweise Frau Gerburg Böhrs beauftragt, mein Schreiben v. 1.2.2004 zu beantworten. Dafür danke ich Ihnen.
Diese Antwort ist nun leider völlig unzulänglich. Mit Verwunderung nehme ich zur Kenntnis, daß meine ablehnende Einstellung zur „Rechtschreibreform“ das Ministerium an einer sachgerechten Beantwortung meiner Einwände hindert.
Eine Unterstellung ist auch, daß mir „an einer sachlichen Auseinandersetzung nicht wirklich liegt“. Das trifft doch wohl eher auf das Ministerium zu. Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, möchte ich ein früheres Wort von Frau Böhrs abwandeln:
„Wer das Schamgefühl, aber auch die Hilflosigkeit sprachbewußter Schreiber angesichts der aufgezwungenen Reform erlebt hat, wird jede noch so kleine Verbesserung begrüßen.“
Meine Forderung ist, die traditionelle Rechtschreibung für unbegrenzte Zeit an den Schulen als korrekt anzuerkennen. Dazu haben Sie keinerlei Stellung bezogen – anders als Trutz Graf Kerssenbrock, der mir dazu am 10.2.04 übermittelte, er sei vollkommen meiner Meinung.
Es geht nicht an, daß Schüler, die am Kieler Hindenburgufer „Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord“ lesen und so schreiben, einen Fehler angerechnet bekommen.
Gerade dies dürfte doch zwischen uns unstrittig sein, nach Ihren Worten:
„Es gibt im neuen Regelwerk auch Rechtschreibung, die schwer nachvollziehbar ist – die dreifachen Konsonanten zum Beispiel.“ (LN v. 30.7.99)
Es geht auch nicht an, daß belesenen Schülern drei Fehler angestrichen werden, wenn sie etwa wie Günter Grass schreiben „…Homepages, in denen sogenannte Vorgestrige, aber auch frischgebackene Jungnazis ihren Stumpfsinn auf Haßseiten abließen“ (Im Krebsgang, S. 8).
Ihr Erlaß schreibt „Hass“ vor, „frisch gebacken“ und das holprige „so genannt“. Aber schon im Erstdruck 1774 von Goethes „Leiden des jungen Werthers“ ist auf Seite 13 „vom sogenannten Pöbel“ die Rede. Im Grimmschen Wörterbuch ist das Wort verzeichnet –
Sie haben es an Schleswig-Holsteins Schulen ohne einsichtigen Grund verboten.
Die neue „ß-Hass-Regel“ ist fehlerfördernd, leserunfreundlich, traditionszerstörend und unsystematisch. Sie suggeriert falsche Vokallängen etwa in „Haßstraße“, „Langeneß“, „Litfaßsäule“, „Mißfeldt“, stört in „Messerwartung“, „Esssucht“ und nutzlosen „dass“. Sie fördert die Verfälschung Literatur bis heute und zerstört die Kompatibilität mit älteren Frakturdrucken. Das „ß“ als einziger Buchstabe, der Vokale längt – ein Systemfehler!
Bisher hat nur Prof. Harald Marx (Leipzig) die neuen „ss“ methodisch untersucht:
„Ich stellte fest, dass die Kinder etwa bei der ß-Schreibung 2001 genauso gut oder schlecht waren wie 1996. Die Annahme, durch die Reform werde die ß-Schreibung vereinfacht, ist also infrage zu stellen. Bedenklich ist, dass bei Wörtern mit s-Laut, deren Schreibung nicht verändert wurde, jetzt häufiger als 1996 Fehler auftreten…“ Frage: Also hat die Reform ihr Ziel, das Schreiben zu erleichtern, verfehlt? „Ja…“ (Rheinischer Merkur 28.1. 04)
Ich erhebe Einspruch gegen die grammatische Verdummung meiner Kinder durch Wortartfälschung: „Wie recht er hat, es tut mir leid“ zu „Wie Recht er hat, es tut mir Leid“. Der baugleiche Ersatz der Wörter entlarvt den Unsinn: „Wie Glück er hat, es tut mir Weh“!
Mit der indoktrinierenden Kleinduzerei in Briefen lernen die Schüler etwas Lebensfremdes.
Es erinnert an Orwell, wenn sogar die Vergangenheit verfälscht wird, damit niemand erfährt, was immer noch höflich ist. (Beispiel: Bruchfeld, Levine, „Erzählt es euren Kindern“).
Schwindel erregen die neuen Trennungen wie „Nusse-cke“, „hi-naus“, „vol-lenden“, „res-taurieren“, „die Zwölf- und 13-Jährigen“. Sinnvolle Strukturen, auch in Fremdsprachen, sind nicht mehr in ihrer Funktion kenntlich und lernbar. Nebenbei: Ihr Erlaß von 1999 hat als erstes meiner Tochter einen „Tipp“-Fehler in ihrer Englischarbeit beschert.
Da die Medien die neuen Kommaregeln negieren, „um die Lesbarkeit der Texte zu gewährleisten“, bleibt den meisten Bürgern die Kommakatastrophe in der reformverstümmelten Schullektüre verborgen: Ich finde in Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe, Reihe „EINFACH DEUTSCH (Schöningh 1999):
„Ich habe mich aber bedankt das verwilderte Wesen für einen andern herzustellen ... allein wir würden uns hüten dieselbe zu hoch hinaufzutreiben ...
Frau Boehrs empfiehlt mir, meinen Kindern den Gebrauch von Lexika nahezubringen, um herauszufinden, wie die bisher als „bahnbrechend“ und „grauenerregend“ bekannten Wörter jetzt geschrieben werden sollen. Ich habe nun das „Schulwörterbuch Deutsche Rechtschreibung“ (2003 Trautwein) angeschafft und finde „Grauen Erregendes“ – „aber: äußerst grauenerregend“, ein Glanzstück verkomplizierender Erleichterungsakrobatik. Die Reform ‚bricht Bahn’ dem Abwegigen – naheliegend wäre eher „Bahn brechend“ als „bahnbrechend“. Verzeichnet ist beides nicht. Ich fordere die bisherigen Schreibungen.
Den berühmten Satz von Rosa Luxemburg können meine Kinder nicht mehr schreiben, weil es das entscheidende Wort laut Reform und Wörterbuch nicht mehr gibt:
Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.
Dagegen belästigt uns ein „gräuliches“ Reformmonster: der nie dagewesene „Spinnefeind“.
Geradezu gesundheitsgefährdend wird die Reformschreibung in einer Gebrauchsanweisung:
„Tue eine Hand voll ins Feuer“ – weil das schlichte Wort „Handvoll“ liquidiert worden ist.
Alle genannten Reform-Mängel und Absurditäten sind abzuschaffen. Tatsächlich folgen die Erinnerungen von Helmut Kohl und die Süddeutsche Zeitung/Bibliothek bei Milan Kundera, und Umberto Eco nur noch der „neuen“ ss-Regel. Aus diesem Wirrwarr folgt notwendig:
Die bewährte Rechtschreibung muß weiterhin Gültigkeit haben – auch an den Schulen, und zwar für unbegrenzte Dauer.
Darum bitte ich Sie, auch im Namen aller Freunde der traditionellen Schriftsprache.
Die Regierung muß endlich das bisherige Vorgehen aufgeben, das sich in Reformschreibung so schön doppeldeutig ausdrücken läßt:
„Wir können auch anders Denkende von der Reform überzeugen.“
Mit freundlichem Gruß
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Sigmar Salzburg
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