Satire von D. Schwanitz
Die Satire, die am 15.6.2004 in der Welt erwähnt wird:
Jahre unbeschwerter Arbeit für die Ministerien
Also doch: Die Rechtschreibreform ist nur ein Ablenkungsmanöver, realsatirisch
betrachtet / Von DIETRICH SCHWANITZ
(Die Welt vom 9.8.1997)
Vor allem die Kultusminister profitieren vom Streit um die Rechtschreibreform. Sie
bescherte ihnen, was kein noch so wohlklingendes Projekt wie etwa die
Hochschulstrukturreform erreicht hätte: Publizität. Unser Autor, Anglistikprofessor in
Hamburg, entlarvte in seinem Roman Der Campus die Universität als eine
Veranstaltung zur wechsel seitigen Behinderung aller. Und weil nichts der Wahrheit so
nahekommt wie die Satire, entdeckt er jetzt die wahren Hintergründe der
Rechtschreibreform.
Die Kellner hatten längst abgeräumt und den Cognac gebracht, als Staatssekretär Steinbach aus dem
Hessischen Kultusministerium wie beiläufig sagte: Mein Minister hat eine Idee.
Um Gottes willen! Nichts konnte seinen Kollegen Schöller aus Nordrhein-Westfalen mehr erschrecken,
als wenn einer der 16 Kultusminister eine Idee hatte. Es kostete Monate harter Arbeit vieler Beamter, sie
zu verhindern und alle ihre Spuren zu beseitigen.
Ich hoffe, nichts Ernstes?
Ich fürchte doch. Steinbach prüfte versonnen seinen Cognac. Er will eine Studie über die Leistungen
deutscher Schüler in Auftrag geben. International und im Bundesländervergleich.
Na und? Schöller war unbeeindruckt. Dann zünden wir eben die 3-Stufen-Rakete der Diskreditierung.
Er zählte sie an den Fingern auf. Stufe 1: Die Faktenbasis war unvollständig. Stufe 2: Die Fakten sind
widersprüchlich und können verschieden interpretiert werden. Stufe 3: Die Wissenschaftler, die die
Untersuchung durchgeführt haben, stehen der CDU nahe. Das funktioniert immer.
Steinbachs Gesichtszüge nahmen den starren Ausdruck eines Reptils an. Darum geht es nicht. Er
wandte den Kopf langsam Richtung Schöller und blickte ihn aus trüben Augen an. Wenn er solch eine
Studie in Auftrag gibt, findet er heraus, daß es die Untersuchung längst gibt.
Schöller setzte sich kerzengerade auf. Sie meinen, Sie haben sie unterdrückt? Er hatte die Frage
geflüstert. Steinbach nickte unmerklich.
Und? Wie ist das Ergebnis?
Erschütternd.
Die Gesamtschulen sind schlechter als die Gymnasien?
Schlimmer.
Deutsche Schüler sind schlechter als japanische?
Schlimmer.
Als algerische?
Schlimmer.
Bevor er die nächste Frage wisperte, drehte sich Schöller vorsichtig um, um zu prüfen, ob auch niemand
lauschte. Die SPD-Länder sind in allen Fächern schlechter als die CDU-Länder?
Steinbach nickte verhalten. Wenn es herauskommt, daß wir die Studie unterdrückt haben, können wir sie
nicht mehr diskreditieren.
Schöller hatte verstanden. Eine Katastrophe. Da gibt's nur eins, sagte er. Steinbach hatte das erwartet. Er
verlieh seinem Reptiliengesicht den Ausdruck schicksalsergebener Resignation. Sie meinen, die
Falklandmethode? So nannten sie im Ministerialjargon die Technik, von eigenen Problemen durch die
Anzettelung eines ganz anderen Konflikts abzulenken. Zu diesem Mittel griff man nur im äußersten
Notfall.
Beide Staatssekretäre versanken in tiefes Nachdenken. Vergeblich. Es fiel ihnen nichts ein.
Drei Wochen später erhielt Steinbach in seinem Wiesbadener Büro einen Anruf aus Düsseldorf.
Ich hab's, sagte die Stimme im Hörer. Meine Sekretärin, Frau Wendt, Sie kennen sie ja, also sie ist in
Urlaub, und da habe ich eine Vertretung, so ein junges Ding, sehr hübsch und temperamentvoll doch
darum geht's jetzt nicht , also die macht ständig orthographische Fehler, und wenn ich sie korrigiere,
behauptet sie, das sei unlogisch, und wissen Sie was? In den meisten Fällen hat sie recht, und wir
verwickeln uns in endlose Streitereien über die deutsche Orthographie, ich bin schon ganz ausgelaugt.
Langsam begriff Steinbach, daß es die enthusiastische Stimme von Schöller war, der er da lauschte. Und sie
war nicht zu bremsen.
Also kurz und gut, ich weiß, wie wir unsere Minister ablenken können. Wir lassen sie eine
Rechtschreibreform durchführen. Das ist mit endlosen Konferenzen verbunden. Komitees müssen
gegründet werden, Koordinationsausschüsse, Fachausschüsse, Unterausschüsse, Befragungen müssen
durchgeführt werden, Anhörungen, Revisionen, Korrekturen, Widerlegungen und Widerlegungen der
Widerlegungen, Jahre fruchtbarer Arbeit, die die Minister restlos absorbiert. Sie kommen dann gar nicht
mehr dazu, durch politisch motivierte Aktivitätsanfälle ihre Beamten zu stören. Was halten Sie davon?
Steinbach rechnete nach. Wenn ihre Chefs auf Kultusministerkonferenzen weilten, konnten sie keine
unangenehmen Untersuchungen veranlassen. Eine Woche Abwesenheit plus Vorbereitung plus Nacharbeit
der liegengebliebenen Entscheidungen bedeutete, daß der Minister für mindestens einen Monat
unschädlich gemacht worden war. Und dann erst die Beschäftigung mit der Rechtschreibreform selbst!
Das bedeutete endlose Debatten unter den Fachleuten, Aufarbeitung der Widersprüche, Koordination
unter den Ministerien, Verhandlungen mit den Schulbuchverlagen, den Lexika-Herstellern, den
Schriftstellern, den Lehrern und Philologenverbänden, den Expertenkommissionen der Linguisten,
Widerlegung der Einsprüche, die Minister würden zu gar nichts anderem mehr kommen. Kein Mensch
würde mehr nach dem Ländervergleich der schulischen Leistungen fragen.
Die Idee ist nicht übel, sagte er vorsichtig. Schließlich war es Schöllers Idee.
Nicht übel? Die Idee ist brillant, erwiderte Schöller. Rechtschreibung ist etwas für Pedanten,
Rechthaber und Zwangsneurotiker. Da springt ganz Deutschland drauf an. Die ganze Nation wird sich
plötzlich mit der Arbeit der Kultusminister beschäftigen. Sie kriegen einen kollektiven Ego-Trip. Und die
Sache selbst ist völlig harmlos. Es hängt nichts davon ab. Total irrelevant. Jahre unbeschwerter Arbeit für
die Ministerien. Wunderbar.
Schöller war wirklich begeistert. Und denken Sie an die Konferenzen mit unseren Kollegen in Österreich
und der Schweiz. In landschaftlich reizvoller Lage! Mit Sekretärinnen. Die nicht schreiben können,
dachte Steinbach, aber laut sagte er: Und wie wollen Sie die CDU-Minister dazu kriegen, dabei
mitzumachen?
Ich? Mein lieber Steinbach, da werden Sie sich etwas ausdenken müssen, schließlich sind Sie es, der die
Untersuchung unterdrückt hat. Aber ich bin sicher, Sie werden einen Weg finden.
Und Schöller hatte recht. Eine Woche später wurde Kultusminister Zettelmann aus Baden-Württemberg in
seinem vollklimatisierten Dienst-Mercedes von einer Routinekonferenz in Bonn nach Stuttgart chauffiert.
Er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis, hatten er und sein bayerischer Kollege doch durch einen
Alleingang die SPD-Länder dazu gezwungen, ihre Universitäten weiter zu ruinieren, nur um nicht dasselbe
zu tun wie die Unions-Länder. Das würde den Ministerpräsidenten freuen. Und am Ende der Konferenz
hatte er das sogar noch in Form von wohldosierten Vorwürfen gegen die SPD in die Kameras mehrerer
Fernsehanstalten gesprochen. So genehmigte sich der Minister einen Whisky aus der Minibar und lehnte
sich zufrieden ins Polster zurück. Zeit zur Entspannung. Und zu einem kleinen Schwätzchen mit Werner,
dem Fahrer.
Wie fanden Sie mein Interview? Der Minister wußte, daß Werner sich alle Auftritte seines Chefs im
Fernsehen anschaute, und an Werner konnte er ablesen, wie der Mann auf der Straße reagierte. Jetzt
werden Ihre Genossen aber Ärger kriegen, was? setzte er flapsig hinzu, denn Werner war ein treuer
SPD-Anhänger, und er hatte schon manche bildungspolitische Debatte mit ihm geführt. Deshalb war
Minister Zettelmann leicht irritiert, als Werner nur fragte: Glauben Sie, Herr Minister? Warum sollte
Werner das bezweifeln? Wußte er etwas, das er selbst nicht wußte? Die stets sprungbereite Paranoia
reckte ihr häßliches Haupt. Und Werner lächelte immer noch. Nein, er grinste höhnisch. Zettelmann
konnte es im Rückspiegel sehen.
Warum grinsen Sie, Werner?
Ich grinse doch gar nicht.
Raus damit, was finden Sie so komisch?
Nichts.
Das überzeugte den Minister. Werner wußte etwas.
Mit wem haben Sie die Fernsehübertragung gesehen?
Mit den Fahrern des KM aus Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Und?
Die haben gelacht.
Zettelmanns Alarmglocken schrillten. Die Fahrer hörten alle Telefonate der Minister mit ihren Beamten.
Und wenn sie während der endlosen Konferenzen auf ihre Minister warten mußten, tauschten sie sehr
freimütig Informationen aus. Auf diese Weise waren die Fahrer in der Regel besser informiert als ihre
Chefs, und schon so mancher Minister hatte den entscheidenden Hinweis von seinem Fahrer bekommen.
Ja, fuhr Werner fort, als Sie über die Reformunfähigkeit der SPD in der Bildungspolitik sprachen, da
haben die beiden richtig gewiehert.
Und? Was hat das zu bedeuten?
Sie sind der Minister, Sie kennen doch die Hintergründe, oder nicht?
Minister Zettelmann hatte das Gefühl, in ein Minengelände vorzudringen. Er durfte sich jetzt keine Blöße
geben.
Ja, selbstverständlich, sagte er gepreßt, ich möchte nur gerne wissen, was Sie darüber denken.
Ich bin bloß der Fahrer.
Wieder konnte Minister Zettelmann im Rückspiegel sehen, wie Werner grinste. Er versuchte es auf die
schelmische Weise. Sie haben aber einen feinen Instinkt, Werner, das meine ich ehrlich.
Ach, das hätte ich beinahe vergessen, sagte Werner plötzlich in munterem Ton. Ich wollte Sie fragen,
ob ich nächstes Wochenende freibekommen kann. Zettelmann fuhr der Schrecken in die Glieder. Ein
ganzes Wochenende! Dann mußte Werner wirklich etwas Grauenhaftes erfahren haben.
Jaja, meinetwegen nehmen Sie auch noch den Montag dazu, aber sagen Sie mir, was Sie gehört haben.
Werner schwieg. Der Minister wartete. Bis er es nicht mehr aushielt. Die SPD-Länder haben einen Plan,
stimmt's?
Werner nickte.
Sie wollen uns die Schau stehlen, stimmt's?
Wieder nickte Werner.
Durch irgendeine populistische Maßnahme, nehme ich an?
Werner wiegte den Kopf. Eine Maßnahme würde ich das nicht nennen. Eher schon eine Reform.
Der Minister war verblüfft. Die SPD und eine Reform?
Was wollen die denn schon reformieren? fragte er ungläubig.
Werner wartete, bis er an einer Ampel halten mußte und drehte sich dann um. Die deutsche
Rechtschreibung, sagte er.
Minister Zettelmann fuhr zusammen. Eine Reform von nationaler Bedeutung? Die deutsche Sprache, und
eine SPD-Domäne? Das heiligste Gut der Nation den Roten ausliefern. Das würde ihm der
Ministerpräsident niemals verzeihen. Das mußte er unter allen Umständen verhindern. Jetzt galt es,
Initiative zu zeigen! Und wann wollen die das auf der Kultusministerkonferenz beantragen? In sechs
Monaten, dann sind sie mit den Vorbereitungen fertig.
Werner, wenn Sie über unsere kleine Unterhaltung Stillschweigen bewahren, können Sie die nächsten 13
Wochenenden freinehmen.
Wiederum mußte Werner lachen. Sie meinen, in drei Monaten sind Sie soweit? Jetzt mußte auch der
Minister lächeln. Ausnahmsweise werden wir uns mit Ihren Genossen mal einig sein, und Sie können
stolz darauf sein, zu einem großen Reformwerk beigetragen zu haben. Mit dem Unterschied, daß die
Initiative von uns ausgeht.
Drei Monate und zwei Tage später saßen Steinbach und Schöller wieder in ihrem Lieblingsrestaurant.
Zufrieden setzte Steinbach seinen Cognac ab.
Auf zwei Dinge ist doch immer Verlaß. Auf die Paranoia der Minister und auf das Info-Netzwerk der
Fahrer. Dann griff er in seine Ledermappe, holte ein Blatt Papier hervor und reichte es Schöller. Das ist
die Liste mit allen Institutionen, die mit den Argumenten gegen die Rechtschreibreform beliefert werden.
Aber doch nicht offiziell, nehme ich an? Mein lieber Schöller, das wäre nun wirklich ein
Dienstvergehen. Also wieder über die Gesellschaft für demokratische Öffentlichkeit?
Selbstverständlich. Und wir bilden eine Untersuchungskommission, die nach der undichten Stelle sucht.
Beide Herren mußten herzlich lachen. Die Untersuchung über die Leistungsstandards an deutschen
Schulen würde niemand mehr interessieren. Und solange die Reform an den Schulen eingeführt wurde,
konnte man auch keine neue Erhebung machen. Und wenn doch, ließ sie sich um so leichter diskreditieren.
Steinbach hob das Glas. Treffer, sagte er.
Volltreffer, antwortete Schöller. Dann tranken sie auf die Rechtschreibreform.
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Th. Ickler
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