Kurzgeschichte von Janusz Oseka
Der Vorschlag zur Variantenrechnung hat mich an diese Kurzgeschichte erinnert:
Zitat: Janusz Oseka
Wieviel ist zwei mal zwei?
In einer Schule sagte einmal der Lehrer zu den Schülern: „Merkt es euch, liebe Kinder, zwei mal zwei ist neun.“ Es war eine seiner letzten Unterrichtsstunden. Kurz danach hat man ihn wegen vorgeschrittenen Alters pensioniert.
Nach Ausscheiden des Lehrers sah sich das Lehrerkollegium vor eine schwierige Frage gestellt: wie soll man den Mathematikunterricht fortsetzen, wenn die Kinder in der irrigen Überzeugung beharren, daß zwei mal zwei neun ist? Wie soll man ihre entstellte Auffassung über das Einmaleins korrigieren?
Nach dem Meinungsaustausch, der im Schoße des Lehrkörpers stattgefunden hat, kam jemand zu dem Schluß, daß es ein Unsinn wäre, den Kindern das absolut umgekehrte Ergebnis der Aufgabe, zwei mal zwei sei vier, zu offenbaren. Ein so krasser Unterschied in der Berechnung könnte, wie behauptet wurde, das Kinderhirn zu stark erschüttern. Man empfahl demnach dem neuen Lehrer, seinen Schülern ein der Wahrheit näher liegendes Ergebnis bekanntzugeben, nämlich: zwei mal zwei gleich sieben.
„Mögen die Kinder etappenweise die richtige Lösung kennenlernen“, sagte der Schulleiter in der Lehrkörperversammlung.
In Übereinstimmung mit diesem Beschluß hielt man es für angebracht, in der folgenden Stunde ein der Wahrheit schon näher liegendes Ergebnis zu wagen: zwei mal zwei gleich sechs.
Es zeigte sich aber, daß diese Lehrmethode kaum voraussehbare Folgen hatte. Denn nicht alle Schüler reagierten auf gleiche Weise auf das derart entstandene Zahlendurcheinander.
Es gab welche, die das jeweils angegebene Ergebnis gleichgültig ins Heft schrieben, ohne sich intellektuell zu engagieren.
Manche lehnten sich innerlich auf, ohne öffentlich zu protestieren.
Es gab auch eine Gruppe von Kindern, die nach dem Unterricht zum Lehrer ging und um Aufklärung bat, doch dieser schickte sie fort unter irgendeinem Vorwand.
Ein großer Teil der Schüler bestand hartnäckig auf der ersten Variante „2 × 2 = 9“, denn er hatte keine Lust, immer wieder die gleiche Aufgabe umzuschreiben.
Artige Kinder schrieben die immer wieder neuen Ergebnisse mit Freude und Begeisterung ab.
Die unartigen verschmierten die Wände in den Toiletten mit scheußlichen Aufschriften: „2 × 2 = 4“.
Die weitsichtigen Karrieristen riefen öffentlich in den Pausen (so, daß es der Schulleiter hörte) aus, zwei mal zwei sei drei oder sogar eins.
Aber niemand in der Klasse zweifelte im geringsten daran, daß zwei mal zwei vier war, denn jedes Kind konnte es sich auf seinen zehn Fingerchen abzählen.
(Aus: „Polnische Pointen, Satiren und kleine Prosa des 20. Jahrhunderts“, Carl Hanser Verlag, München)
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Klaus Eicheler
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