Nicht so aufgeregt!
Wenn die Freigabe der s-Schreibung zunächst zu einem mittelschweren Durcheinander führt, kann man es uns zumindest nicht anlasten. Wir haben das Tor ja nicht aufgestoßen... Mir ging es aber vor allem um eine Diskussion ganz unter uns. In diesem Sinne hatte ich den Vorschlag ernstgemeint. Mir wäre schon wohler, wenn wir unsere Argumente sorgfältig gewichten würden. Es kommt doch nicht auf deren Masse an! Natürlich gibt es einiges gegen das Heyse-ss einzuwenden. Nur sind das alles keine wirklich starken Argumente.
Diesen Worten von Hern Fleischhauer möchte ich nachdrücklich zustimmen. Meiner Ansicht nach sind manche Reaktionen auf seine und meine Gedanken (die ich bei aller Verschiedenheit mal zusammenfasse) überraschend heftig ausgefallen. Auch ich will noch mal sei es gesagt die Heysesche s-Schreibung nicht wiedereinführen. Sie ist aber nicht in derselben Hinsicht falsch und abzulehnen wie andere Teile der Neuregelung, und sie darf keinesfalls verbindlich vorgeschrieben werden. Sie ist immerhin, ich wiederhole mich, seriös. Manche Diskussionsteilnehmer scheinen vergessen zu haben, daß die gewohnte Adelungsche Schreibweise nicht am Berge Sinai verkündet wurde, sondern verhältnismäßig jung und ein bißchen zufällig ist. Und was die Schweizer Schreibweise betrifft, lieber Herr Lindenthal, so wird sie nie aufgegeben werden, so daß wir auf jeden Fall mit zwei Systemen der s-Schreibung rechnen müssen.
Der breite Widerstand gegen die Heysesche s-Schreibung ist eine Tatsache, aber er ist linguistisch nicht in derselben Weise begründet wie die Ablehnung der GZS und der GKS (die viel weniger Gemüter bewegt, uns Linguisten aber so richtig auf die Palme bringen kann).
Mir geht es darum (und darin bin ich mit Herrn Fleischhauer einig, dem wir alle und besonders ich viele wertvolle Überlegungen verdanken), daß wir unsere Position nicht durch haltlose Übertreibungen schwächen sollten. Natürlich sind diejenigen begründungspflichtig, die etwas ändern wollen, aber hier in diesem Kreise darf man offene und redliche Gedankenäußerungen erwarten. (In E-Mails ist mir sogar nahegelegt worden, in Herrn Fleischhauer einen Agenten der Reformer zu sehen ...) Wenn man Herrn Fleischhauers Gedanken genau verfolgt hat und sine ira et studio betrachtet, wird man finden, daß er lauter vernünftige Dinge gesagt hat. Die meisten von uns wollen die Heysesche Schreibung nicht, auch wenn wir noch eine Weile mit ihr leben müssen. Herr Fleischhauer könnte sich mit ihrer Wiedereinführung abfinden. Wir ziehen also aus einem komplizierten Geflecht von Argumenten verschiedene Folgerungen. Das ist aber doch kein Grund, übereinander herzufallen. Zumal Herr Fleischhauer selbst überhaupt kein Eiferer ist.
Ich erinnere mich an länger zurückliegende Debatten. Damals wurde mir mit furchtbarer Energie vorgehalten, daß ich in einigen Punkten von der Dudenrechtschreibung abweiche. Es half mir wenig, daß ich nachweisen konnte, wie wenig die Dudenrechtschreibung mit der Schreibwirklichkeit und auch mit der eigenen Schreibpraxis meiner Kritiker übereinstimmte. Ein paar Rundbögen brachten mir die Klage ein, ich wollte die Rechtschreibung der Beliebigkeit opfern usw. Die Vorwürfe waren so heftig, daß sie sich zum Teil hinter Pseudonymen versteckten. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, die Praxis in meinem Wörterbuch hat viele überzeugt, daß es so ganz gut geht. (Nur Herr Kürschner und wohl ein gewisser Herr Schoebe kreiden mir noch an, daß mein Wörterbuch keine genaue Abschrift des Duden ist.) Verständnis braucht eben seine Zeit. Jede s-Schreibung hat was Behelfsmäßiges, das habe ich schon in meinen allerersten Schriften gezeigt. Vor diesem Hintergrund könnte sich die Diskussion etwas beruhigen.
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Th. Ickler
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