Artenschutz
Lieber Herr Professor Ickler!
Mit den Methoden der Verniedlichung, Übertreibung und Verzerrung habe ich einen neuen Leitfaden eröffnet und eine Auseinandersetzung provoziert. Meine Unart, entstammt der Schulpraxis. Ich will dies erklären und mich für Unsachlichkeit entschuldigen:
Seit rund 25 Jahren wird uns Lehrern die Motivation als das Maß aller Dinge gepredigt. Zugleich werden Wissen und Übung vernachlässigt. Das ist an Sprachbüchern und Lesebüchern, die in den zurückliegenden 25 Jahren geliefert wurden, direkt abzulesen. Fehlt noch nachzutragen, daß Motivation zwischenzeitlich die scharfe Form der Provokation angenommen hat. Schüler lernen und antworten fast nur noch bei persönlicher Betroffenheit.
Ich warf Ihnen vor, daß Ihr deskriptiver Ansatz Alternativen bis ins Unermeßliche schaffe. Unermeßlichkeit ist sicherlich ein Affront. In dieser Form nehme ich dies zurück, doch gebe ich zu bedenken, daß Ihr Ansatz einen wesentlich größeren Fundus an geschriebenenen Varianten in sich birgt, als ihn die Rechtschreibreformkommission zulassen möchte.
Es ist doch so, daß Sie Fakultativschreibung fordern: vor allem dort, wo Schreibalternativen nachweisbar sind; und vor allem deshalb, um der Rechtschreibreformkommission ihre bestußten Lizenzvergaben abzuringen. Im Ergebnis werden, wenn Ihre Überlegungen in die Tat umgesetzt werden sollten, mehr Varianten zu unterschiedlichsten Einzelworten und Begriffen entstehen, als je in der deutschen Rechtschreiblandschaft gleichzeitig gesichtet und zudem als gleichermaßen zulässig befunden wurden bzw. gesichtet worden sein werden.
Sie rennen bei mir offene Türen ein, aber als Vertreter meines Berufsstandes muß ich daran appellieren, daß uns die Wissenschaft bitte den Weg ebnen möge.
Es ist doch so und das habe ich dargestellt daß zwischen dem ehemaligen Prinzip der Ausschließlichkeit und dem Prinzip echter Liberalität ein himmelweiter Unterschied besteht.
Und, damit wir diesen Weg meistern können, habe ich oft genug um Krücken, um Geländer, um Brücken, um Marschverpflegung u.dgl. gebeten. Einen Wegweiser habe ich nie eingefordert, genausowenig wie jenen faulen Kompromiß, den die Rechtschreibreformer boten, als sie hier Liberalität einlösten und gleichzeitig dort Gängelung verteilten.
Zum Thema Etymologien und Artenschutz
Klar: Aufgrund meiner Beschäftigung mit Etymologien könnte ich die Schüler sowohl im geschichtlichen als auch im sprachkundlichen Unterricht infizieren mit Ehrfurcht und Respekt, doch weiß ich, daß für all die vielen wenn auch wichtigen Details gar keine Zeit bliebe. Wir Lehrer müssen pragmatisch denken, schon jetzt den Fächerkanon mit all seinem zugeordneten Lehrstoff und dazugehörenden Lehrinhalten durchforsten, und auf Inselstunden (sprich: Angerissen-Komprimiertes) zurechtstutzen.
Oft fehlen bei der Behandlung beliebigen Lehrstoffs gehaltvolle, vorgefertigte Informationstexte, die sowohl dem Sprachlichen als auch dem Sachlichen dienen, und ich sehe auf diesem Gebiet eine äußerst wichtige Bastion für die Wissenschaft. Sie sollte sich schon zum Zwecke der Multiplikation ihrer Gedanken verstärkt der Schulbucherstellung annehmen.
Es geht um den Weg, wie man von der einen Methode zur anderen gelangen kann.
Es geht aber auch darum, das Ziel attraktiv zu umschreiben, und herauszufinden, ob Schreibberufler und Lehrberufler aller Couleur und Güteklassen (?!) mit diesem Ziel übereinstimmen können und wollen. Hier scheint noch viel Überzeugungsarbeit nötig.
Doch auch der Weg ist wichtig was die Schöpfer der Rechtschreibreform bewiesen haben.
Die haben ganz einfach etwas faktisch gemacht in Ignoranz sämtlicher Widerstände.
Ich denke, daß Sie, als Vertreter echter Liberalität, so nicht denken möchten!
[Geändert durch Norbert Schäbler am 02.03.2001, 06:19]
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