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Rechtschreibung = Artenschutz??
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Stephanus Peil
28.02.2001 22.02
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Bitte etwas mehr Farbe in die Bögelchen!

Schon oft wurde von Rechtschreibreformgegnern, die dem Icklerschen Wörterbuch wohlgesonnenen gegenüberstehen, gefordert, Herr Prof. Ickler möge bei der GZS klarere Aussagen machen und sich nicht hinter seinem Bögelchen verstecken.

Es ist zwar vom Ansatz her richtig, daß da keine klaren Vorschriften erteilt werden können, wo es Grenzbereiche in der GZS gibt, die wohl dadurch entstehen, daß das Sprachgefühl der Menschen unterschiedlich ist und dasselbe sich im Gebrauch ständig verändert, deshalb haben die Icklerschen Verbindungsbögen sicher ihre Berechtigung.

Auf der anderen Seite aber bin ich wie Norbert Schäbler und andere der Meinung, daß der Rechtschreibunsichere von einem Wörterbuch (egal ob von Duden, Bertelsmann, Wahrig oder Ickler) Hilfsangebote erwartet, wie er sich denn entscheiden solle. Um mit Herrn Schäbler einen gangbaren Weg zwischen „dem ehemaligen Prinzip der Ausschließlichkeit und dem Prinzip echter Liberalität“ zu finden, schlage ich deshalb Herrn Ickler folgenden laienhaften Kompromiß vor:

Wenn ein Wort in der Schreibgemeinschaft zu 75 oder mehr Prozent zusammengeschrieben wird, sollte Herr Ickler den Bogen einfach (guten Gewissens) weglassen. Bei einem so klaren Bild der Mehrheitsverhältnisse stünde für mich die bevorzugte Zusammenschreibung fest. Das Bestehenlassen des Bogens hätte für mich nur dort seine Berechtigung, wo das Vorkommen von Getrennt- und Zusammenschreibung im Gebrauch des Schreibvolkes sich etwa die Waage hält (also bei einem Verhältnis von 40:60 oder gar 50:50).
Eine weitere Differenzierung ergäbe sich durch eine farbliche Unterscheidung des Bogens: Ein grüner Bogen könnte bedeuten: mehr als 60 Prozent der Schreibenden bevorzugen die Zusammenschreibung, also deutliche Tendenz zur Zusammenschreibung. Ein roter Bogen könnte bedeuten: weniger als 40 Prozent schreiben zusammen, also erkennbare Tendenz zur Getrenntschreibung.

Durch diesen Vorschlag würde der Ratsuchende im Icklerschen Wörterbuch einen deutlicheren, differenzierteren Hinweis als bisher erhalten, wie die Schreibwirklichkeit wirklich aussieht; er könnte seine Entscheidung dann sicherer als bisher treffen. Herr Ickler hat zwar im alten Gästebuch den (für mich entscheidenden) Hinweis, wie mit dem Bogen umzugehen sei, bereits gegeben: im Zweifelsfall den Bogen weglassen. Aber vielleicht könnte er zusätzlich durch stärkere Gewichtung die Schreibwirklichkeit noch transparenter darstellen.

Ich bin mir darüber im klaren, mit welch großem Zeitaufwand ein derartiges Vorhaben verbunden wäre. Aber es wäre Herrn Ickler hoch anzurechnen, wenn er Krücken, Geländer, Brücken u. dgl. für diejenigen bauen könnte, denen die Liberalität in seinem Wörterbuch zu weit geht.

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Norbert Schäbler
28.02.2001 15.04
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Artenschutz

Lieber Herr Professor Ickler!

Mit den Methoden der Verniedlichung, Übertreibung und Verzerrung habe ich einen neuen Leitfaden eröffnet und eine Auseinandersetzung provoziert. Meine Unart, entstammt der Schulpraxis. Ich will dies erklären und mich für Unsachlichkeit entschuldigen:
Seit rund 25 Jahren wird uns Lehrern die Motivation als das Maß aller Dinge gepredigt. Zugleich werden Wissen und Übung vernachlässigt. Das ist an Sprachbüchern und Lesebüchern, die in den zurückliegenden 25 Jahren geliefert wurden, direkt abzulesen. Fehlt noch nachzutragen, daß Motivation zwischenzeitlich die scharfe Form der Provokation angenommen hat. Schüler lernen und antworten fast nur noch bei persönlicher Betroffenheit.

Ich warf Ihnen vor, daß Ihr deskriptiver Ansatz Alternativen bis ins Unermeßliche schaffe. „Unermeßlichkeit“ ist sicherlich ein Affront. In dieser Form nehme ich dies zurück, doch gebe ich zu bedenken, daß Ihr Ansatz einen wesentlich größeren Fundus an geschriebenenen Varianten in sich birgt, als ihn die Rechtschreibreformkommission zulassen möchte.
Es ist doch so, daß Sie Fakultativschreibung fordern: vor allem dort, wo Schreibalternativen nachweisbar sind; und vor allem deshalb, um der Rechtschreibreformkommission ihre bestußten Lizenzvergaben abzuringen. Im Ergebnis werden, wenn Ihre Überlegungen in die Tat umgesetzt werden sollten, mehr Varianten zu unterschiedlichsten Einzelworten und Begriffen entstehen, als je in der deutschen Rechtschreiblandschaft gleichzeitig gesichtet und zudem als gleichermaßen zulässig befunden wurden bzw. gesichtet worden sein werden.

Sie rennen bei mir offene Türen ein, aber als Vertreter meines Berufsstandes muß ich daran appellieren, daß uns die Wissenschaft bitte den Weg ebnen möge.
Es ist doch so – und das habe ich dargestellt – daß zwischen dem ehemaligen Prinzip der Ausschließlichkeit und dem Prinzip echter Liberalität ein himmelweiter Unterschied besteht.
Und, damit wir diesen Weg meistern können, habe ich oft genug um Krücken, um Geländer, um Brücken, um Marschverpflegung u.dgl. gebeten. Einen Wegweiser habe ich nie eingefordert, genausowenig wie jenen faulen Kompromiß, den die Rechtschreibreformer boten, als sie hier Liberalität einlösten und gleichzeitig dort Gängelung verteilten.

Zum Thema Etymologien und „Artenschutz“
Klar: Aufgrund meiner Beschäftigung mit Etymologien könnte ich die Schüler sowohl im geschichtlichen als auch im sprachkundlichen Unterricht „infizieren“ mit Ehrfurcht und Respekt, doch weiß ich, daß für all die vielen – wenn auch wichtigen – Details gar keine Zeit bliebe. Wir Lehrer müssen pragmatisch denken, schon jetzt den Fächerkanon mit all seinem zugeordneten Lehrstoff und dazugehörenden Lehrinhalten durchforsten, und auf Inselstunden (sprich: Angerissen-Komprimiertes) zurechtstutzen.
Oft fehlen bei der Behandlung beliebigen Lehrstoffs gehaltvolle, vorgefertigte Informationstexte, die sowohl dem Sprachlichen als auch dem Sachlichen dienen, und ich sehe auf diesem Gebiet eine äußerst wichtige Bastion für die Wissenschaft. Sie sollte sich schon zum Zwecke der Multiplikation ihrer Gedanken verstärkt der Schulbucherstellung annehmen.

Es geht um den Weg, wie man von der einen Methode zur anderen gelangen kann.
Es geht aber auch darum, das Ziel attraktiv zu umschreiben, und herauszufinden, ob Schreibberufler und Lehrberufler aller Couleur und Güteklassen (?!) mit diesem Ziel übereinstimmen können und wollen. Hier scheint noch viel Überzeugungsarbeit nötig.
Doch auch der Weg ist wichtig – was die Schöpfer der Rechtschreibreform bewiesen haben.
Die haben ganz einfach etwas faktisch gemacht in Ignoranz sämtlicher Widerstände.
Ich denke, daß Sie, als Vertreter echter Liberalität, so nicht denken möchten!


[Geändert durch Norbert Schäbler am 02.03.2001, 06:19]
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Theodor Ickler
28.02.2001 10.21
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Daß ich die Varianten ins Unermeßliche steigere, ist – mit Verlaub – absoluter Quatsch. Dieser Eindruck kann nur bei jemandem aufkommen, der anstelle der Sprache, wie sie wirklich ist, immer nur den Duden anstarrt.
Ich habe auch nicht „zugegeben“, daß „Zeitlang“ ungrammatisch ist, sondern daß die Schulgrammatik des gegenwärtigen Deutsch so etwas nicht zu konstruieren erlaubt. Die Sprache ist ein System aus jeweils produktiven Regeln (Analogien) und überlieferten Formen, die früheren Regeln gehorchen oder auch singulär sind; das ist das geschichtliche Wesen der Sprache. Wollen wir den antiken Streit der Analogisten und Anomalisten aufs neue beginnen?

Zusammenrückungen wie „Zeitlang“ oder „Armvoll“ sind natürlich sehr leicht zu erklären, und dabei wird auch die Eigentümlichkeit verständlich, daß die Reihenfolge von Bestimmungswort und Grundwort hier umgekehrt ist. Es sind aber historische Vorgänge, daher der Vorbehalt mit der Schulgrammatik.

Ich bin nicht begeistert vom zwanghaften Hervorkehren der angeblich unterstellten Zweitrangigkeit des Schullehrers; Minderwertigkeitskomplexe stören jede Diskussion. Ich bin aber noch weniger bereit, die wirklichen oder vermeintlichen Bedürfnisse (oder sind es nur Gewohnheiten?) der Lehrer zur Richtschnur einer angemessenen Darstellung der deutschen Orthographie machen zu lassen. – Weiteres auf dem Nachrichtenbrett.

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Norbert Schäbler
28.02.2001 09.16
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Vielleicht fehlt uns Lehrberuflern der Güteklasse B die letzte Einsicht in das Wesen und den Sinn der Rechtschreibung, haben wir doch immer nach dem Prinzip der Ausschließlichkeit unterrichtet und uns das Lizenzverfahren des Duden überstülpen lassen. Für Liberalisierung war da wenig Platz.
Nun aber ist sie da, diese Liberalisierung. Als Wolf im Schafspelz – unter dem Decknamen RSR – hat sie sich eingeschlichen. Sie hat Herrn Professor Icklers deskriptiven Ansatz ins Leben gerufen, der zum einen die RSR als Gängelung entlarvte, zum anderen aber die Freiheiten ins Unermeßliche steigerte. Es werden plötzlich Alternativen und Schreibvarianten ins Leben gerufen, die nebeneinander existieren sollen, was dem bisherigen Ausschließlichkeitsprinzip völlig entgegengelagert ist.
Da haben wir Lehrberufler absolute Schwierigkeiten zu folgen. Es ist schwer, von einem in das nächste Extrem zu verfallen.
Wir suchen in dieser Übergangszeit nach Krücken, nach einem Geländer, an dem wir uns festhalten können, möglicherweise nach einem Kompromiß.

Zwei Beispiele: Auf dieser Netzseite und auf http://www.rechtschreibreform.com wurden Fragen gestellt bzgl. der Wortdarstellung von „eine Viertelstunde“ und „eine Zeitlang“.
Alternative Schreibmöglichkeiten erspare ich mir an dieser Stelle, habe auch keine Einwände gegen den Sprachusus.
Eine sprachwissenschaftliche Beurteilung von Prof. Ickler zum Wort „Zeitlang“ hat mich allerdings verunsichert. Er gibt zu, daß dieses Wort im Grunde ungrammatisch ist, da der Wortteil „lang“ niemals Bestimmungswort sein kann, während der Wortteil „Zeit“, der in dieser Zusammensetzung die Rolle des Grundwortes übernimmt, den Artikel bestimmt und regiert.
Die Existenz dieses Wortes sei allerdings gerechtfertigt aufgrund der Etymologie und nicht zuletzt des regionalen Bezuges.

Meine abschließende provokative Frage: Sollen wir Lehrer künftig Artenschutz betreiben?


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