Brandbrief der Schulbuchverleger
Den folgenden Brief erhielten alle Ministerpräsidenten. Die meisten sollen umgehend ihre Unterstützung zugesagt haben und werden im Oktober entsprechend entscheiden für die Schulbuchverleger, gegen die Sprache und gegen die Schüler und die Bevölkerungsmehrheit.
VdS Bildungsmedien e. V.
vormals Verband der Schulbuchverlage e. V.
An den Ministerpräsidenten des Landes ...
Frankfurt am Main, den 16. Juli 2004
Ba/hs 164/04
Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Medienberichten zufolge soll sich die Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung befassen, nachdem die Ständige Konferenz der Kultusminister im Juni dieses Jahres die bereits seit einem Jahrzehnt bekannte Reform unter Hinweis auf den vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für Rechtschreibung bestätigte, so dass die Neuregelung nunmehr zum 1. August 2005 insbesondere für die Schulen amtlich werden kann. Einige Ministerpräsidenten kritisierten in diesem Kontext in den Medien auch, die Reform sei gescheitert, sie führe zu einer Beliebigkeit der Schreibung, behindere Bildungschancen und müsse folglich durch Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz zurückgenommen werden.
Die Bildungsverlage allesamt Mitglieder unseres Verbandes sind ebenso wie Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler unmittelbar Betroffene der Neuregelung; sie setzen die Reform in Schulbüchern, Lehrwerken für die berufliche Bildung, Wörterbüchern und vielen anderen Unterrichtsmaterialien seit 1996 um und leisten damit einen zentralen Beitrag zur Vermittlung der Neuregelung in allen allgemein bildenden und beruflichen Schulen. In dieser Situation erlauben wir uns, auf die geäußerte Kritik einzugehen und ebenso wesentliche Erkenntnisse im Kontext der Umstellung auf die neue Orthographie da[r]zulegen:
Die in Mainz von der Kultusministerkonferenz verabschiedete Reform ist seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit wie von Experten erörtert worden; an dieser Debatte haben sich z.B. im Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission entgegen landläufiger veröffentlichter Meinungen auch die Schriftstellerorganisationen, die Lehrer- und Elternverbände, die Nachrichtenagenturen wie Journalisten u.a.m. beteiligt. Diese Gruppen haben in dem Beirat keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Neuregelung der Rechtschreibung geäußert, sie haben im Gegenteil am 4. Bericht der Kommission mitgewirkt und tragen die darin beschriebenen Modifikationen der Reform mit.
Die Umsetzung der Reform erfolgt in den Schulen bereits seit 1996, ohne dass es jemals zu einem Rechtschreibchaos gekommen ist oder dass dieses zu befürchten wäre. Die Kontakte unseres Verbandes und unserer Mitglieder zu den Lehrerinnen und Lehrer[n] und dies sind einige Tausend im Jahr haben weder eine Protestwelle noch eine generelle Unzufriedenheit mit den neuen Regeln erkennen lassen, sondern eher eine sachliche Akzeptanz der Reform. Ebenso wenig wurde von den Lehrer- und Elternorganisationen deren Mitglieder das neue Regelwerk nun hautnah erfahren oder von den Schulverwaltungen in den letzten Jahren über Unverträglichkeiten oder wesentlichen [sic] Problemen bei der Anwendung der neuen Schreibweisen berichtet. Insgesamt lässt sich heute das Fazit ziehen, dass die Reform in den Schulen angekommen ist, dort selbstverständlich unterrichtet und praktiziert wird.
Wir halten aus diesen wie auch aus weiteren Gründen eine Rückkehr zu einer alten Rechtschreibung welche Form der Rechtschreibung hiermit gemeint ist, bleibt unklar für nicht sinnvoll und für nicht realisierbar. Zum einen würde eine derartige Entscheidung die Schulen und den Unterricht gravierend belasten.
Zum anderen würde die Rücknahme der Reform für die Schulbuchverlage Kosten in Millionenhöhe bedeuten: So müssten in kürzester Zeit rund 60 Millionen Euro für die erneute Umstellung der Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien zusätzlich investiert werden; mit den Makulierungen der dann unverkäuflich gewordenen Lagerbestände würden sich die Gesamtkosten auf gut 250 Millionen Euro belaufen ohne dass damit alle lieferbaren Titel wieder umgestellt wären und ohne dass die Verlage diesen massiven Zusatzaufwand amortisieren könnten. Dadurch würden die Schulbuchverlage in ihrer Existenz bedroht.
Zum anderen würden die erheblichen Investitionen, die Länder und Bund bei der Einführung der Neuregelung erbrachten, schlagartig vernichtet. Wir weisen darauf hin, dass seit 1996 von der öffentlichen Hand Schulbücher mit neuer Rechtschreibung im Wert von ca. 2 Mrd. EUR angeschafft wurden. Ob der Verlängerung der Ausleihzeiten auf im Bundesdurchschnitt ca. 9 Jahre (dies stellte der 1. Nationale Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz 2003 fest) wird [werden] mindestens zwei Drittel dieser Bücher noch aktuell in den Schulen genutzt. Durch einen Beschluss der Rückkehr zur alten Rechtschreibung würden also Lernmittel im Wert von ca. 1,4 Mrd. EUR pädagogisch wertlos bzw. stark entwertet.
Eine kostenneutrale Umstellung auf die alte Rechtschreibung, dass also Bücher in alter und neuer Rechtschreibung nebeneinander im Unterricht existieren können, ist heute genauso wenig möglich wie in den 90ger [sic] Jahren: So muss eine Umstellung der Lernmittel in den rechtschreibsensiblen Fächern erfolgen, sonst würde wirklich ein Rechtschreibchaos in den Schülern entstehen. Hierzu zählen in jedem Fall alle Titel für die Grundschule, wo das Schreibenlernen zentraler Lerninhalt ist, und in den weiterführenden Schulen zumindest jene für das Fach Deutsch. Diese rechtschreibsensiblen Lernmittel machen ca. ein Viertel des gesamten Lernmittelbestandes aus: Es wären also sofort Lernmittel im Wert von ca. 350 Mio. EUR zu erneuern. Die öffentlichen Schulbuchausgaben lagen 2003 aber nach einer zehnjährigen Kürzungsstrecke bei bundesweit nur noch 250 Mio. EUR. Selbst wenn die Schulen nur noch Lernmittel für die rechtschreibsensiblen Fächer kaufen würden, könnten sie eine Erneuerung mit den vorhandenen Geldern nicht erreichen. Angesichts der Finanzlage der Kommunen, die meistens für die Lernmittelfinanzierung zuständig sind, ist mit einer drastischen Aufstockung des Etats notwendig wäre mehr als eine Verdopplung in keinem Fall zu rechnen. Wenn die Ministerpräsidentenkonferenz eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung beschließen sollte, müsste sie gleichzeitig auch ein Finanzierungsmodell vorlegen. Alles andere wäre unseriös.
Hinzu kommt, dass in einer ganzen Reihe von Bundesländern die Lernmittelfreiheit erheblich eingeschränkt oder wie in Niedersachsen sogar aufgehoben wurde. In vielen Bundesländern, in denen es bislang noch keine Elternbeteiligung an der Lernmittelbeschaffung gibt, befindet sich die politische Willensbildung zur Einführung gerade im Entscheidungsprozess (z.B. in Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg). Die Eltern haben bereits 2003 bundesweit Lernmittel im Wert von ca. 200 Mio. EUR gekauft. Wegen der anstehenden politischen Entscheidungen wird der Elternkauf bereits ab 2005 weiter drastisch ansteigen. Durch einen Rückkehrbeschluss zur alten Rechtschreibung würden auch diese Lernmittel von heute auf morgen entwertet. Die Bücher können dann nicht mehr an Geschwister weiter gegeben oder auf Schulbuchflohmärkten verkauft werden. Die erhebliche Zeche für das politische Hin und Her in Sachen Rechtschreibung würden so auch die Eltern zahlen müssen und zwar genau diejenigen Eltern, die mit eigenem Geld Bildungsengagement zeigen. Dies wäre politisch und sachlich kaum zu vermitteln.
Ferner kann nicht davon ausgegangen werden, dass Österreich und die Schweiz einem einsamen Rückkehrbeschluss einfach folgen würden allein wegen der auch dort sehr hohen Folgekosten für Schulen und Verwaltungen. Dies könnte dazu führen, dass in den deutschsprachigen Ländern unterschiedliche Orthographien vorherrschen würden ein nicht begründbarer und ebenso wenig darstellbarer Zustand.
Wesentlich ist zudem, dass für alle unmittelbar Betroffenen also die Schulen, die Schüler wie die Bildungsverlage eine anhaltende Rechts- und Planungssicherheit gewährt wird. Die Vorstellung, die Schulen könnten permanente, grundlegende Änderungen ebenso laufend und problemlos umsetzen[,] ist ebenso unzutreffend wie die Annahme, die Schulbuchverlage könnten ihre Programme ständig komplett umarbeiten.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass nach unserer Überzeugung ein Ende der Debatte um die Rechtschreibung angebracht ist: Die Schulen haben aktuell wie künftig wesentlich wichtigere und tatsächlich problematische Aufgaben zu lösen, die sich aus den laufenden inhaltlichen und strukturellen Bildungsreformen in den Ländern ergeben. Die Umsetzung der neuen Kernlehrpläne, die Reorganisation des Unterrichts mit dem Blick auf die neuen Bildungsstandards, die neuen Formen der Schulentwicklung und Qualitätskontrolle, die Neuordnung der Lehreraus- und -fortbildung, um nur einige Beispiele zu nennen, sind die elementaren Aufgaben, die jetzt konzentriert angegangen werden müssen, um die nachgewiesenen eklatanten Defizite in den Bildungssystemen zu beheben. Diese grundlegenden und umfassenden Veränderungen im Bildungswesen erfordern die ungeteilte und volle Aufmerksamkeit sowie das Engagement der Politik, sowohl der Kultusminister als auch der Ministerpräsidenten, der Schulverwaltungen, der Lehrerinnen und Lehrer und der Bildungsmedien- und Schulbuchverlage. Hierauf sollten alle Kräfte konzentriert werden.
Mit freundlichen Grüßen
VdS Bildungsmedien e.V.
(Unterschrift)
Andreas Baer
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Th. Ickler
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