Zwei der zehn Todsünden
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, von 2004 bis 2017 Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes
Festvortrag „Die 10 Todsünden der Bildungspolitik“
Daraus:
Todsünde Nr. 3: Die Ideologisierung der Bildungspolitik
Todsünde Nr. 3 ist eine Bildungspolitik, die sich nicht an der Alltagsrealität, den Sachproblemen und der Erfahrungswelt vor Ort orientiert, sondern an Ideologien und Bildungsutopien. Nichts hat in der modernen Geschichte mehr Schaden angerichtet als Ideologien, für die Bildungspolitik gilt das leider auch. Kernpunkt ideologischer Bildungspolitik ist dabei die Vorstellung, dass Schulpolitik in erster Linie Mittel zum Zweck ist, d.h. ein Instrument, um eine bessere neue Gesellschaft durchzusetzen. Im Nachkriegsdeutschland, vor allem ab den 70-er Jahren verbindet sich das mit der Einführung von Gesamtschulen. Die egalitäre Einheitsschule als ein Weg, um eine egalitäre, letztendlich klassenlose, gerechte Gesellschaft herbeizuführen. Gemessen am eigenen Anspruch ist in Deutschland kaum ein Schulmodell so umfassend und klar gescheitert wie die Gesamt- oder Gemeinschaftsschule. Sie hat weder zu besseren Leistungen, noch zu mehr Bildungsgerechtigkeit noch zu den erhofften höheren sozialen Kompetenzen geführt. Gerade auch in Schleswig-Holstein hat es bildungspolitische Phasen gegeben, in denen Ideologie statt Vernunft die Schulpolitik maßgeblich bestimmt hat. Aktuelles Musterbeispiel ist allerdings Baden-Württemberg. Die vor allem ideologisch motivierte Abschaffung von Haupt- und Realschulen, die umfassende Etablierung von Gemeinschaftsschulen, die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und die massive Ressourcenverschiebung weg von den traditionellen Schularten hin zu den so genannten Reformschulen haben zu einem bespiellosen Absturz Baden-Württembergs bei den Lernerfolgen im Rahmen von Schulleistungsvergleichen geführt. Zwar versucht die jetzige Kultusministerin wieder gegenzusteuern, der Weg zurück an die Spitze wird aber mühsam sein. Gerade in der Schulpolitik würde ich mir – orientiert an der Klassifikation von Max Weber – mehr Verantwortungsethik und weniger Gesinnungsethik wünschen.
Todsünde Nr. 4: Schulreformitis
Ein Ärgernis ersten Ranges in der Bildungspolitik ist die schnelle Abfolge immer neuer Schulreformen, welche Kinder als Versuchskaninchen missbraucht und Lehrkräften eine kontinuierliche Bildungs- und Erziehungsarbeit unmöglich macht. Es handelt sich um die Todsünde Schulreformitis, die unselige Tendenz der Bildungspolitik, immer neue Reformsäue durch die Schullandschaft zu treiben. Es gibt mehrere Ursachen, aus denen sich diese Praxis speist. Die Zuständigkeit für Bildung ist eine der letzten Kernkompetenzen der Länder, weshalb hier der parteipolitische Kampf zuweilen mit besonderer Härte ausgefochten wird. Zudem führt der verkürzende politische Zeithorizont der Legislaturperioden bei den Beteiligten zu der Neigung, „Action“ statt langfristige Perspektivpolitik zu machen. Die Folge ist ein bildungspolitischer Zickzack-Kurs bei jedem Regierungs- oder Koalitionswechsel. Beispiele für gescheiterte Bildungsreformen fallen uns genug ein, eigentlich ist Bildungspolitik geradezu die Geschichte mehrheitlich gescheiterter und nicht überwiegend geglückter Reformen, angefangen bei der Mengenlehre, über die Einführung von Gesamtschulen bis hin zur Umstellung auf G8, der Rechtschreibreform und dem Schreiben nach Gehör. Gemeinsam ist all diesen Reformen, dass sie in der Regel weitgehend ohne vorherige Erprobung, ohne Modellversuche und Evaluationsphasen eingeführt wurden. Bei der Methode „Schreiben nach Gehör“ dauerte es fast 30 Jahre, bevor in einer Studie in NRW das Desaster offenkundig wurde, das mit dieser Methode an Schulen angerichtet wurde. Umgekehrt gingen anerkannte Bildungsforscher wie beispielsweise Olaf Köller der Frage nach, was bei Vergleichsuntersuchungen erfolgreiche Bundesländer wie Sachsen und Bayern in der Bildungspolitik anders machen als die Rankingschlusslichter. Es ist die Kontinuität in der Schulpolitik, Verlässlichkeit und Beständigkeit als feste Koordinaten. In der Tat sehnen sich in vielen Ländern die Lehrkräfte nach einem ruhigen, sicheren Rahmen für ihr pädagogisches Handeln. Sie haben die Nase voll vom ständigen Wechsel zwischen rein in die Kartoffeln und raus aus den Kartoffeln. Oder um es mit den Worten meines Amtsvorgängers Josef Kraus zu sagen: „Die beste Schulreform wäre es, mal eine Legislaturperiode lang keine Schulreform zumachen!“
https://phv-sh.de/wp-content/uploads/2020/03/2020_03_09-Gymnasium-heute.pdf
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