Berliner Zeitung
Mittwoch, 25. August 2004
Außerhalb jeder rigiden Ahndung
In dieser Woche erscheint der neue Duden. Für mehr Klarheit wird er nicht sorgen
Reinhard Markner
Die neue Rechtschreibung endlich amtlich! Das verheißt die Banderole, die um den Duden 2004 geschlungen ist. Nun war die reformierte Rechtschreibung seit jeher amtlich, wie sich schon dem Titel des Regelwerks von 1996 entnehmen ließ. Amtlich man könnte auch sagen: aktenkundig wird nicht die Reform der deutschen Rechtschreibung, sondern die Reform dieser Reform, jedenfalls deren erste Stufe.
5 000 neue Wörter soll der wie stets knallgelbe Band enthalten. Gemeint sind neue deutsche Begriffe wie zum Beispiel Christopher Street Day, Payroll, Slowfood, Starterkit oder Workflow. Nicht gemeint sind die zahllosen altmodischeren Wörter, die nun, nach acht Jahren, von Staats wegen rehabilitiert sind. Man erkennt die meisten von ihnen an dem diskriminierenden Zusatz auch: hoch bezahlt, auch hochbezahlt, nichts sagend, auch nichtssagend.
Die viel geschmähte, auch vielgeschmähte neue Getrenntschreibung, ihr ambitioniertestes Projekt, ist den Reformern zerbröselt. Das zeigt der neue Duden deutlich, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz. So hat die Mannheimer Redaktion zwar dahinterkommen und davorschieben ersatzlos an die Stelle von dahinter kommen und davor schieben gesetzt, sie bleibt aber bei der Unterscheidung zwischen hier bleiben und dableiben. Das wäre nicht nötig gewesen. Denn die Liste der als Verbzusätze zugelassenen Partikeln ist Anfang Juni nicht nur um dahinter, davor und einige andere Adverbien ergänzt, sie ist darüber hinaus geöffnet worden. Die Folgen dieser Maßnahme für die endlich vorläufig endgültige neue deutsche Rechtschreibung sind schwer abzusehen, für den Duden kam sie offenbar zu spät. Hunderte von Wörtern könnten betroffen sein, hier sind sie indes noch nicht berücksichtigt.
Ein Ratschlag für Schüler
Eins ist immerhin klar: Alle Bemühungen, die Daseinsberechtigung des Wortes sogenannt zu leugnen, waren vergebens. In den letzten Jahren führte es eine klandestine Existenz unter der Abkürzung sog. Jetzt kommt es wieder zutage (auch zu Tage), und man soll die sogenannte neue Rechtschreibung auch offiziell wieder so nennen dürfen. Jedenfalls wahlweise.
Ist das ein Fortschritt? Viele halten die amtliche Rechtschreibung für progressiv, denn sie ist ja neu und reformiert. Aber die Zerschneidung unzähliger Schreibungen in zwei oder sogar drei Stücke (hier zu Lande) war von vornherein eine zutiefst reaktionäre Maßnahme. Die Reformer wollten nicht nur die Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung grundlegend verändern, sie wollten zugleich der Tendenz zur Wortverschmelzung begegnen. Das war gleichbedeutend mit der Absicht, die Sprachentwicklung auf diesem Gebiet nicht nur aufzuhalten, sondern sogar teilweise rückgängig zu machen. Inzwischen gibt man sich bescheidener. Die Getrennt- und Zusammenschreibung, so heißt es in der letzten Wortmeldung der vor ihrer Auflösung stehenden Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, sei "äußerst schwierig in Regeln zu fassen. Sie müsse in ganz besonderer Weise [. . .] sowohl offen als auch außerhalb jeder rigiden Ahndung im schulischen Bereich bleiben.
Darauf sollte sich jeder Schüler berufen, dem eines der offiziell immer noch verbotenen Verben wie zum Beispiel auseinandersetzen, fertigstellen oder kennenlernen angestrichen worden ist. Der neue Duden kennt nur die gespaltenen Schreibungen. Er schreibt ferner vor: wohl tönend, auch wohltönend, aber nur wohltuend, Rad fahrend oder jetzt auch wieder radfahrend, aber weiterhin nur Rad fahren und wie immer schon das Radfahren. Für die Schule ist das alles aus Sicht der Urheber dieser Bestimmungen letztlich irgendwie irrelevant: Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund seiner Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts bzw. schulischer Fehlerkorrektur sein. Eine grammatisch verrutschte, inhaltlich aber nicht unberechtigte Feststellung. Es dürfte allerdings schwierig sein, sie in didaktische Handlungsanweisungen zu überführen.
Komplex, kompliziert und offen das ist die amtliche deutsche Rechtschreibung und ihr Schicksal. Eine vergleichende Übersicht, die dem eigentlichen Wörterverzeichnis des neuen Dudens vorangeht, zeigt es. Nicht einmal hier ist es der Redaktion gelungen, alte und neue Rechtschreibung korrekt darzustellen. Als neue Schreibung gilt allein heiß geliebt, als alte allein Fußballänderspiel. Das ist falsch, aber vielleicht sollten diese durchaus bezeichnenden Versehen keine allzu rigide Ahndung erfahren. Sie wäre aufzusparen für jene Bereiche, in denen der Nonsens der Rechtschreibreform weiterhin ungebremst tobt, man denke nur an die Silbentrennung: Buche-cker, Fol-klore, Hemis-phäre, Jugos-lawe, Pä-diatrie oder Päd-iatrie oder Pädi-atrie oder Pädia-trie oder Pädiat-rie. Hier sah die Zwischenstaatliche Kommission keinen Änderungsbedarf, die von ihr gegängelte Duden-Redaktion auch nicht. Die Reform der Reform ist tief greifend, auch tiefgreifend, aber noch lange nicht abgeschlossen. Es bleibt beim Missstand und seiner möglichen Kaschierung als Miss-Stand, es bleibt beim Onestepp, dessen engl. Herkunft und Aussprache eine andere Schreibung fordert, es bleibt bei den grammatisch falschen Großschreibungen Pleite gehen und heute Morgen.
Tarnsprache
Die Duden-Redaktion schreibt zum letztgenannten Fall: Die Bezeichnungen von Tageszeiten nach Adverbien wie ‚gestern‘, ‚heute‘, ‚morgen‘ werden als Substantive angesehen und großgeschrieben. Das ist Tarnsprache. Gemeint ist: Die betreffenden Wörter sind, wie wir sehr wohl wissen, mitnichten Substantive, und es kommt ihnen daher auch keine Großschreibung zu. Aber eine im staatlichen Auftrag handelnde Kommission hat anders entschieden, und wir glauben uns deren Anordnungen nicht widersetzen zu können.
Es gelte nicht so sehr die Rechtschreibung zu reformieren, als vielmehr die Reformer zu kurieren, hat der langgediente, inzwischen verstorbene Duden-Chef Günther Drosdowski einmal geschrieben. Das allerdings war und ist aussichtslos; er selbst ist daran jedenfalls gescheitert. In der jetzigen Situation gilt es nicht so sehr die reformierte Rechtschreibung zu reformieren, als vielmehr die deutsche Sprache zu kurieren, die an diesem fehlgeschlagenen Experiment Schaden genommen hat. Der Heilungsverlauf wird schwierig sein und sich voraussichtlich längere Zeit hinziehen. Wem an einer raschen Besserung gelegen ist, wird nicht zum neuen Duden greifen.
Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Zürich, Wien 2004. Geb. 1152 S. 20 Euro.
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