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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.08.2004, Nr. 194 / Seite 35 Bildmaterial: dpa
Rechtschreibung
Auch ohne Reform: Österreich hat ganz eigene Sprachprobleme
Von Erna Lackner
20. August 2004 Wenn Rechtschreibung etwas zu essen wäre, wenn ein Wort bei orthographischer Veränderung anders schmeckte, dann hätte es in Österreich keine Rechtschreibreform geben können. Denn wenn es ums Kulinarische geht, sind Österreicher äußerst heikel, auf ihre Eigenarten bedacht und sprachbewußt.

Rechtschreibreform?
Halb so schlimm. Beim Essen sind die Österreicher heikel
Sogar eine von der Europäischen Union anerkannte Liste mit dreiundzwanzig spezifisch österreichischen Wörtern gibt es, die den Eßgenuß schon mal verbal absichern sollen: Beiried (Roastbeef), Fisolen (grüne Bohnen), Kren (Meerrettich), Lungenbraten (Filet), Paradeiser (Tomaten), Ribisel (Johannisbeeren), Topfen (Quark), Vogerlsalat (Feldsalat). Und als im Vorjahr eine EU-Regelung den gebräuchlichen Ausdruck Marmelade auf Supermarktwaren durch Konfitüre ersetzen wollte, rief die Kronen Zeitung zum Aufstand auf, und Österreichs Politiker hatten sich in Brüssel stark zu machen. Mit Erfolg: Österreich behielt seine Marmelade.
Rechtschreibregeln munden nicht richtig
Gemäß dem Satz, man ist, was man ißt, verteidigt Österreich sein kulinarisches Kapital bis aufs Messer. Hingegen wird die jetzt in Deutschland geführte Diskussion um die Rechtschreibreform in den österreichischen Medien grosso modo eher als eine typisch deutsche und wenig bedeutende Beckmesserei abgehandelt. Daß die Schwerpunkte der deutschen und der österreichischen Kultur unterschiedlich sind, sprach schon vor fünfzig Jahren Heimito von Doderer in den Dämonen an, als er den Bankdirektor Altschul sagen ließ: In Deutschland, besonders in Westdeutschland, woher ich stamme, wie Sie wissen, ist man sich weit mehr im klaren darüber, wie hier, daß Bücher, wenn ich so sagen darf, Lebensmittel sind.
Weil Rechtschreibregeln so oder so, also ohnehin nicht richtig munden, ging die Reform in Österreich von Anfang an geschmeidig und ohne größeres Aufbegehren über die Bühne. Und auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Schon im Herbst 1996, zwei Monate nach der Wiener Erklärung am 1. Juli 1996, bei der sich die Kulturpolitiker der deutschsprachigen Länder auf einen Zeitplan einigten und sich verpflichteten, die neue Orthographie von 1998 an einzuführen, wurde an Österreichs Schulen mit der neuen Rechtschreibung begonnen: wenn schon, denn schon.
Was liegt, das pickt
Österreichs Lehrer gingen also wie Musterschüler voran so daß unsere Schüler heute, wie ministerielle Obrigkeiten in diesen Tagen gern betonen, schon acht Jahre problemlos nach den neuen Regeln schreiben. Soll heißen: Umkehr ausgeschlossen. In dem konservativen Land, das gleichwohl oder gerade deswegen punktuelle Modernitätsschübe braucht, um jung und zeitgemäß dazustehen, waren die anfangs gegen die Reform protestierenden Schriftsteller und altmodischen Bildungsbürger rasch auf verlorenem Posten. Auch die Zeitungen stellten, mit Ausnahme der bis vor einem Jahr widerständigen, aber dann doch umschwenkenden Presse, ihre Korrektorate und Rechtschreibprogramme rasch um, um nicht alt auszusehen.
Inzwischen ist zwar auch vielen Meinungsmachern ein Licht aufgegangen, daß es doch um mehr geht als um die Wahl zwischen ss und "ß", daß man sich von ehrgeizigen Ministerialbürokraten und im Grunde desinteressierten Politikern hat über den Tisch ziehen lassen. Aber nun müssen die armen Schüler als Hauptargument herhalten, damit man auf dem einmal eingeschlagenen, nun also bequemeren Weg bleiben kann und die Reform, ob recht oder schlecht, nicht zurücknehmen muß ganz nach der Kartenspielregel: Was liegt, das pickt!
Auf dem diffamierenden, unsachlichen Niveau angekommen
Mit ihrem blitzschnellen Hinweis auf die drohenden Kosten bei einer Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zeigten sich die Schulbuchverleger als Pragmatiker, womit sie den theoretisch argumentierenden Reformgegnern den letzten praktischen Mut abgraben, für ihre Sache einzustehen. In Deutschland nimmt man die Reform wichtiger, als es sein müßte, und macht eine Frage der Nation daraus. Zum Glück herrscht in Österreich in dieser Angelegenheit die Vernunft, sagte einer der Schulbuchverleger, die mit Gratisschulbüchern (seit drei Jahrzehnten trägt der Staat die Kosten) ihr Geschäft machen.
Und fast alle Zeitungen, bis auf die Kronen Zeitung, die letzte Woche entsprechend der Mehrheit der Österreicher Schluß mit neuer Rechtschreibung forderte, aber selbst vorläufig nicht zur Tat zu schreiten scheint, lassen in ihren Meinungsbeiträgen hoch die neuen Fahnen wehen, bespötteln die deutsche Debatte als Sommerlochgeschichte oder als das Anliegen älterer Herren, die nicht mehr umlernen möchten womit man auf jenem persönlich diffamierenden, unsachlichen und emotionalen Niveau angekommen ist, das österreichischen Politikern stets als Unkultur vorgeworfen wird.
Er hat offenbar nicht vor, wichtige Autoren ernstzunehmen
Zwar gibt es einige Meinungsumfragen, deren Zahlen alle auf eine mehr oder weniger große Mehrheit von Befürwortern der alten Rechtschreibung hinweisen, doch die Medien des Landes wissen nur zu gut, daß Rechtschreibung kein angstbesetztes Thema ist, mit dem sich eine Anti-Atom- oder eine Anti-Gentechnik-Bewegung starten ließe. Sie wissen auch, daß ihr Einfluß auf die Politiker nicht groß genug ist, um eine Umkehr durchzusetzen, zumal der wirklich entscheidende Medienfaktor Österreichs, die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ORF, naturgemäß kein Interesse an dem Thema hat.
Das Wochenmagazin profil machte den Krieg um die Rechtschraibung zum Titel und tat darunter mit der Frage Zurück zu den schlechten alten Regeln? deutlich seine Meinung kund. Im Heftinnern erklärt Karl Blüml, der österreichische Vorsitzende der sogenannten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, daß die sachlich veranlagten Wissenschaftler nicht mit den Emotionen zum Thema konkurrieren könnten und wollten, um die emotionalen Reaktionen dann doch psychologisch auszuführen: Niemand läßt sich gern etwas wegnehmen, was er mühsam erworben hat. Irgendwie ist das so, als hätte man bis jetzt in seinem Leben alles falsch gemacht. Daß dies auch für die Kommissionsmitglieder gelten könnte, bleibt ungesagt. Der Wiener Schulinspektor, der seit 1973 Mitglied der österreichischen Neuregelungskommission ist, spricht von einem Hornberger Schießen, in dem die Medien ihre Macht ausspielten und pädagogisch nicht verantwortungsvoll vorgingen. Über den Schriftsteller Robert Menasse, der die neue Rechtschreibung als rassistisch, neoliberal und reaktionär geißelte, kann sich der Reformer Blüml, der die Bildungsministerin und auch den Bundeskanzler hinter sich weiß, belustigt hinwegsetzen mit dem Ratschlag: Vielleicht sollte Menasse mit Franzobel darüber sprechen? Er hat offenbar nicht vor, wichtige Autoren ernstzunehmen.
„Eine fast nahezu eigenständige Sprache“
Liest man das Rechtschreibmanifest einer Schriftstellergruppe um Christian Ide Hintze, Leiter einer Schule für Dichtung in Wien, in dem dringlich die Erweiterung der dreiundzwanzig österreichischen Wörter auf der schon erwähnten EU-Liste und "Österreichisches Deutsch als Staatssprache in der Verfassung gefordert wird, in einem europäischen Kontext, mit einer eigens zu kreierenden österreichischen Rechtschreibung, dann ist man auch als Literaturfreund irritiert ob der bunt chaotischen Aufmüpfigkeit. "Österreich muß nicht immer dem deutschen Weg folgen, fordert Marlene Streeruwitz, die auch etwas dagegen hat, daß österreichische Asylwerber deutsches Deutsch lernen müssen und dann doch österreichisch sprechen.
Auch Robert Schindel, der dazu auffordert, bei künftigen Rechtschreibreformen nicht mehr mitzumachen, bläst vollmundig in das kleinteilig differenzierte Horn: "Österreich ist ein souveräner Staat. Die Deutschen haben trotz Schnitzler und Kafka nicht begriffen, daß es ein österreichisches Deutsch gibt. In seinen Büchern (auf Schindels ausdrücklichen Wunsch bei Suhrkamp verlegt in der neuen Rechtschreibung) achte er darauf, daß österreichische Ausdrücke nicht korrigiert würden. Was uns am meisten von unseren deutschen Nachbarn trennt, ist die gemeinsame Sprache, sagte Karl Kraus, an den auch der Extremschrammler Roland Neuwirth erinnert. Wir sind einfach die ältere Nation, sagt der Autor und Musiker und behauptet, Österreichisch sei eine fast nahezu eigenständige Sprache. Fast nahezu.
Aber doppelt hält doch besser. Bisher schätzten sich viele österreichische Schriftsteller glücklich, in einer Sprache, die hundert Millionen Menschen verstehen, zu veröffentlichen, und zwar in den großen deutschen Verlagen. (Den Österreichischen Bundesverlag und zahlreiche andere Verlage, auch einträgliche für Schulbücher, hat ja der österreichische Finanzminister erst vor einem Jahr an den deutschen Klett Verlag verkauft.) Und nun spricht ein Dramatikerkerl wie Peter Turrini davon, daß die österreichische Literatur mehr mit der marokkanischen zu tun habe als mit der deutschen Literatur! Die österreichische Debatte um die Rechtschreibreform ist ein fahrender Bummelzug, auf den begeistert und profilisierungstüchtig die patriotischen Sezessionisten aufspringen.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.08.2004, Nr. 194 / Seite 35
Bildmaterial: dpa
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