Tagesspiegel
(30.08.2004)
Protest wird groß geschrieben
Vor acht Jahren begannen sie damit, hunderttausende Unterschriften zu sammeln. Im Namen ihrer Tochter kämpften die Ahrens’ gegen die Rechtschreibreform – ohne Erfolg. Jetzt versuchen sie es erneut
Von Daniela Schroeder, Oldenburg
Sie in Acryl gießen zu lassen war den Ahrens’ zu teuer. An Einmauern im Garten hatten sie auch mal gedacht. Oder ins Museum geben. Jetzt liegen die Papierbögen in einem Nebenflügel ihres Backsteingehöfts, in einem 100-Einwohner-Dorf bei Oldenburg. 560000 Unterschriften-Zettel in Pappkisten. 560000 Mal „Nein“ gegen die Rechtschreibreform. Die Dokumente eines gescheiterten Volksbegehrens sind vergilbt.
„Das kann man doch nicht einfach wegschmeißen“, sagt Carsten Ahrens. Er ist 60, Physikprofessor an der Fachhochschule in Oldenburg, Segler, Weintrinker, er erklärt in der Kinder-Uni-Reihe warum Häuser wärmeisoliert werden. „Carsten – ein viel beschäftigter Mann“ hat seine Frau Gabriele eine selbst gebastelte Collage betitelt. Ahrens’ weißblonder, bärtiger Kopf auf berühmten Körpern, als Cäsar in weißer Toga, als Sean Connery mit einer dunkelhaarigen Schönheit im Arm. Sie ist 46, arbeitet in der Verwaltung der Oldenburger Universität. Ein 25-Stunden-Job, „dann bin ich zu Hause, wenn Josephine aus der Schule kommt“. 15 ist Josephine jetzt, geht aufs Gymnasium, zehnte Klasse. Sie war Auslöser für das, was ihre Eltern vor acht Jahren begannen, wofür sie Zeit und Geld investierten, wofür sie jetzt wieder mobil machen: Widerstand gegen die Rechtschreibreform.
„Eine Rechtschreibung, die drittklassige Sprachwissenschaftler, selbst ernannte Experten, hinter verschlossenen Türen zusammengeschustert und den Menschen ungefragt aufgezwängt haben. Eine Rechtschreibung, die der deutschen Sprache Ausdrucksmöglichkeiten raubt und sie ärmer macht.“ Die Ahrenssche Empörung in Kurzversion an diesem Augustnachmittag im gepflegt wuchernden Garten. Die Hausherrin schlägt panisch nach Wespen, die um ihren Kopf kreisen. „Lass doch die Hektik“, sagt ihr Mann.
Ideologische und wirtschaftliche Interessen, nichts anderes habe die Kultusministerkonferenz beim Entwickeln der Reform geleitet, sagt er. Die hellblauen Augen werden schmal.
Das Volksbegehren 1997 war eine Niederlage. Die nötigen zehn Prozent der wahlberechtigten Niedersachsen hatten zwar unterschrieben, doch formale Vorgaben seien nicht erfüllt worden, hat der Landeswahlleiter damals erklärt. „Tausende von Gründen nannte er“, sagt Gabriele Ahrens. „Heute sind die politischen Vorzeichen anders“, sagt sie. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) etwa möchte auch zurück zu den alten Schreibweisen. Und die CDU-Landtagsfraktion verkündete gerade, sie werde fortan auch nur noch die alte Rechtschreibung benutzen.
Den Rückenwind aus der Landesregierung und die Debatte nach der Erklärung von Springer-Verlag, „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“, den wollen die Ahrens’ nutzen. Anfang September wird eine neue Volksinitiative starten. Zeitungsanzeigen, Infostände vor Supermärkten und Postwurfsendungen sollen Unterschriften werben. 70000 braucht „Wir gegen die Rechtschreibreform Niedersachsen“, dann muss der Landtag in Hannover das Thema behandeln, was angesichts der Haltung der regierenden CDU sowieso nicht unwahrscheinlich ist. Aber außer im Saarland und Sachsen-Anhalt hat sich kein Ministerpräsident der Wulff- Forderung angeschlossen, nicht einmal die Union selbst ist bundesweit auf einer Linie, und Rot-Grün sieht in einer Rückkehr zur alten Rechtschreibung nur noch mehr Durcheinander als ohnehin schon herrscht. Ein „Wir wollen zurück“ aus Niedersachsen wäre also ziemlich egal.
Das wissen die Ahrens’, bleiben aber hartnäckig. Wie 1997, als sie neben dem Unterschriftensammeln auch von Gericht zu Gericht zogen. Josephine war aus der Schule nach Hause gekommen, legte ihr Diktatheft auf den Küchentisch. „Zucker hatte sie nach der herkömmlichen Weise in Z, U, K und K, E, R getrennt“, sagt ihre Mutter. Die Lehrerin kringelte den Zucker rot ein. So nicht, beschlossen die Eltern und verklagten das niedersächsische Kultusministerium. Josephine sollte nicht nach den neuen, ihrer Ansicht nach unlogischen und lückenhaften Regeln unterrichtet werden. „Eingriff in die Erziehungsfreiheit der Eltern“, lautete die Begründung. Nach vier Verhandlungsterminen war im Juli 1998 juristisch nichts mehr drin: Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Reform für rechtmäßig.
In einer Petition schlagen die Ahrens’ dem Landtag in Hannover vor, unabhängige Wissenschaftler, Autoren und Journalisten mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Schreibweise zu beauftragen und den Schulen eine Übergangsfrist bis 2010 zu gewähren. Und wenn die entscheiden dürften, die es betrifft? Die ab August 2005 die neuen Regeln anwenden müssen? Nein, sagt Gabriele Ahrens. „Die Kinder wurden damals als Geiseln für die Reform genommen.“ Sie heute entscheiden zu lassen wäre falsch. Beeinflussbar seien die Schüler. „Wenn man sie jetzt fragt, ob sie wieder umlernen wollen, sagen sie natürlich nein.“
Josephine, der Protestauslöser, ist unterwegs, Freunde treffen. Eine Zeitung zitierte sie vor drei Jahren: „Ist doch doof: Die ganze Welt schreibt nach neuen Regeln, und du hinkst hinterher.“ Mit den Aktionen gegen die Reform habe die Tochter sich nie identifiziert, sagt der Vater. „Sie hatte schon immer Distanz dazu, doch heute ist es für sie das Projekt der Alten.“ Er sagt: „Das nervt sie manchmal richtig.“
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