von ß, von st, lang-s und Wortstammfugen
Ein Evergreen, Zitat: (vorsicht, sehr lang!, aber es gehört unbedingt mit hierher)
Bitteschön, hier mehr davon. Diesmal war ich zu müßig, meinen Hirnschmalz geschmeidig zu machen, stattdessen habe ich n' büschen gebuddelt und was bereits veröffentlichtes vom Mai 99 ausgegraben, aus den Nachrichten, aber eben weiter unten:
“ß“ wäre auch für die Schweiz gut
Etwas Geschichte zum Scharf Es
Warum benutzen die Schweizer kein „ß“ ??
Der Grund, warum die Schweizer kein „ß“, sondern statt dessen „ss“ schreiben, liegt darin, daß die Schreibmaschine mit ihrer recht begrenzten Zahl von Tasten auch genügend Raum bieten mußte für die drei weiteren Sprachen: Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, diese benötigen eine Vielzahl Akzente und Verbundbuchstaben, so daß auch für die Großbuchstaben Ä, Ö, Ü kein Platz blieb. Der Schweizer schreibt beispielsweise „Oesterreich“, „Oerlikon“. Zudem können die deutschen Umlaute relativ einfach umschrieben werden, was mit den Akzenten der französischen Schrift durchaus nicht so einfach geht.
Nun befinden wir uns aber im Zeitalter des Computers, der nicht nur eine größere Zahl Tasten bietet, sondern auch mehr Umschaltmöglichkeiten.
Daher wäre es Zeitgemäß, auch in der Schweiz wieder über ein „ß“ nachzudenken, und auch über das große Ä, Ö, Ü.
Statt dessen soll uns durch die Rechtschreibreform ein guter Teil der Leserlichkeit zusammen mit dem „ß“ entwendet werden. Ganz sicher stand der Wunsch der Schweizer dabei Pate, auch für den übrigen deutschsprachigen Raum nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners eben gerade das „ß“ gänzlich abzuschaffen.
Dabei hat das „ß“ seine Wurzeln darin, daß man früher in Fraktur, Schreibschrift und Romanischer Schrift einen grundlegenden Unterschied machte zwischen einem „s“ am Wort- oder Wortstammende und dem „s“ am Wortanfang oder innerhalb der Silbe.
Es war dabei das Lang-s der gewöhnlichere Fall, das Rund-s oder auch Schluß-s, welches wir heute verwenden, war der Sonderfall, der das Wort- oder Wortstammende anzeigte. Fiel also ein „ss“ auf das Wortende, so wurde es mit Lang-s und Rund-s geschrieben. Ich werde ein Beispiel geben, und da dieser Computer in dieser Schrift kein Lang-s haben wird, werde ich statt dessen das „ƒ“ mißbrauchen, welches dem Lang-s recht ähnlich sieht;
( Wenn auf ihrem Computer kein langes geschweiftes s zu sehen ist, bitte alle diese Zeichen >> ƒ << gegen ein f oder, sofern verfügbar, ein langes geschwungenes s, die Schweifung ähnlich wie bei der geschweiften Klammer, austauschen)
Schloƒs (=Schloß)
Bei der kleinen Rose, dem Rös-chen hat man „Röschen“ geschrieben, so war dem damaligen Leser sofort deutlich, daß das „ch“ nach dem Schluß-s sich eben nicht zu „sch“ wie in „Schule“ ergänzte, sondern „s“ gefolgt von „ch“ zu sprechen war. (siehe oben: das rund-s war der Sonderfall)
Denn das Wort „Rüschen“ , früher „Rüƒchen“, hat nur den einen Buchstaben „ü“ anders, es wird aber gänzlich anders gesprochen. (siehe oben: das lang-ƒ war der Normalfall)
Röschen = Rös-chen
Rüƒchen = Rü-schen
Wir haben heute kein Lang-s mehr in den meisten verwendeten Schriften, so daß wir schon heute bei den beiden Wörtern „Röschen“ und „Rüschen“ erst nachdenken müssen, um sie lesen zu können.
Unsere Altvorderen wußten aber noch mehr mit dem Lang-s zu signalisieren:
Glückstag
Michaelstag
Klüverstag
Backstag
Tja, was denn nun: Tag oder Stag?
Glücks-Tag
Michaels-Tag
Klüver-Stag
Back-Stag
früher hat es eben so ausgesehen:
Glückstag
Michaelstag
Klüverƒtag
Backƒtag
(man verzeihe mir nochmals das „ƒ“ anstelle von Lang-s, aber es geht eben nicht anders)
Somit war klar, daß das „s“ in „Michaelstag“ eben kein „st“ wie in „Stecker“ ergibt, sondern ein „s t“
Und der Stag, der das Klüversegel trägt (Ja, Ihr Wasserratten, das waren noch Zeiten ...) war ebenso klar erkenntlich
heute:
plastisch
Glastisch
spastisch
früher:
plaƒtiƒch ( = pla-ƒtiƒch = pla-stisch)
Glastiƒch ( = Glas-Tiƒch = Glas-Tisch)
spaƒtiƒch ( = spa-ƒtiƒch = spa-stisch)
Das „s“ hat eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen. Mit „ch“ wird es zum „sch“, mit „p“ wird es zum „sp“, mit „t“ wird es zum „st“, es steht aber oft auch als Ablaut und Silbentrenner, wie in „Unterhaltsforderungen“. Trifft es in einem solchen Fall auf ein „s“ als Wortanfang, ergibt sich ein „ss“, wobei das zweite „s“ weich gesprochen wird:
Interessanterweise kannte man früher eben nicht nur das „ß“, also „ƒs“, sondern man kannte eben auch ein „sƒ“
heute
Vergnügungssucht, Ereignisserie, Zeugnissammlung
früher
Vergnügungsƒucht, Ereignisƒerie, Zeugnisƒammlung
Ja, aber was hat das mit dem „ß“ heute zu tun?
Wann immer früher am WortENDE oder WortSTAMMende ein „ss“ stand, wurde draus ein Lang-s + Schluß-s :
naƒs=naß, groƒs=groß
Dieses Scharf-s hat sich so sehr für die Übersichtlichkeit bewährt, daß es als unverzichtbar bis heute erhalten blieb.
Wir sehen also: das „ß“ hat und hatte NICHT damit zu tun, daß der Vokal davor LANG oder KURZ gesprochen wurde, sondern hatte lediglich signalisiert, daß der Doppellaut „ss“ am WortENDE oder WortstammENDE steht. Dies ist eine wichtige Eigenschaft, denn trotz der vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten in der deutschen Schriftsprache war eine EINDEUTIGE Zuordnung des jeweiligen „s“ zum jeweiligen Wort oder Wortstamm gewahrt.
Stand das „ss“ in der WortMITTE wie bei „Wasser“, so wurde draus „Waƒƒer“ mit zwei Lang-s. Da aber das Lang-s in die heutige Zeit einfach als Rund-s übersetzt wurde (Hitler hat es 1942 an diesen Stellen durch Abschaffung der Fraktur getilgt), lesen wir heute eben nicht mehr „Waƒƒer“ sondern „Wasser“
Wo das „st“ als „scht“ gesprochen wurde, war es ein Kombinationslaut und es galt die Regel: trenne nie es-teh ...
Deswegen konnte das „st“ in der Form „ƒt“ eine Ligatur sein und wurde als Doppelbuchstabe zusammengegossen.
Nur wenn es in der Form „st“ also Schluß-s + t verwandt wurde, durfte und konnte es auch getrennt werden (und war auch keine Ligatur), denn die Wortfuge lief hier mitten zwischen „s“ und „t“.
Ein weitverbreiteter Irrtum ist die Bezeichnung „Eszett“ für das „ß“. Es sah bei oberflächlicher Betrachtung aus wie ein „ƒz“. Tatsächlich konnte eine Zusammenziehung eines mit Breitfeder gezeichneten Lang-s mit dem Rund-s durch die Überdeckung und den Zierstrich im Rund-s aussehen wie ein „ƒz“, hatte aber mit einem „z“ nichts zu tun.
Rätsel
Auf dem Weg nach Hause traf ich ihn zufällig am Bussteig,
er knabberte an einem Nussteilchen und bot mir die Erdnusstü-
te hin, grabschte sich dann schnell selbst noch einige Nussstü-
cke, Genuss süchtig wie er war. Wir drängten bald mit den and-
eren um die Wette, von irgendwo plärrten noch die Schlusscho-
räle von Mozarts Requiem. Busschaffner gab's ja damals noch.
Während des Karte Lösens zog ich umständlich die Kokosscho-
kolade heraus. „Du immer mit deiner Kokosschokolade“ nu-
schelte er zwischen den Erdnüsschen hindurch...
Auflösung:
Auf dem Weg nach Hause traf ich ihn zufällig am Bussteig,
er knabberte an einem Nußteilchen und bot mir die Erdnußtü-
te hin, grabschte sich dann schnell selbst noch einige Nußstük-
ke, genußsüchtig wie er war. Wir drängten bald mit den ande-
ren um die Wette, von irgendwo plärrten noch die Schlußcho-
räle von Mozarts Requiem. Busschaffner gab's ja damals noch.
Während des Kartelösens zog ich umständlich die Kokosscho-
kolade heraus. „Du immer mit Deiner Kokosschokolade“ nu-
schelte er zwischen den Erdnüßchen hindurch. ...
früher:
Auf dem Weg nach Hauƒe traf ich ihn zufällig am Busƒteig,
er knabberte an einem Nußteilchen und bot mir die Erdnußtü-
te hin, grabƒchte ƒich dann ƒchnell ƒelbƒt noch einige Nu߃tük-
ke, genu߃üchtig wie er war. Wir drängten bald mit den ande-
ren um die Wette, von irgendwo plärrten noch die Schlußcho-
räle von Mozarts Requiem. Busƒchaffner gab's ja damals noch.
Während des Kartelöƒens zog ich umƒtändlich die Kokosƒcho-
kolade heraus. „Du immer mit Deiner Kokosƒchokolade“ nu-
ƒchelte er zwischen den Erdnüßchen hindurch. ...
Karl Eichholz
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nochmals zum ss / ß
Herr Wagner sprach das Thema an, deswegen hier nochmals etwas Erklärung dazu:
Noch nie hatte das ß eine Funktion, den Vokal davor zu formen Richtung lang oder kurz, sondern es wurde als Verbund von Lang-s (hier mit ƒ dargestellt, obwohl nicht ganz korrekt) und Rund-s (= Schluß-s) dazu verwendet, das Silben- oder Wortstammende zu kennzeichnen.
Nochmals sei betont, daß früher das Lang-s der gewöhnlichere Fall war; das Rund-s nur der Sonderfall. Das Lang-s harmonierte dabei besonders mit den oft sehr schmal laufenden Frakturschriften.
Der Vergleich des Platzbedarfs von Fraktur und Rundschrift fällt bei gleicher Lesbarkeit (für den Geübten!) deutlich zugunsten der Fraktur aus, erstrecht heute, wo die vielen ss und auch die Dreikonsonanten (Teeei oder gar Tee Ei) nochmals mehr Platz beanspruchen.
Die Fraktur gab dem Auge durch deutlicher hervortretende unter- und Oberlängen viel mehr Halt, so daß die grobe Umrißform schon sehr viel mehr über den Wortinhalt verriet als es bei den heutig meist verwendeten Schriften der Fall wäre. Diese Leuchtturmfunktion war im wesentlichen das Verdienst des Lang-s, aber auch des nach unten geschwungenen z.
Man kann sagen, daß durch Lang-s/Kurz-s eine sehr viel genauere Unterscheidung der vielen unterschiedlichen Funktionen des s-Buchstabens stattfand, so daß Zweifelsfälle beim Lesen nur selten möglich waren.
Minuszeichen / Minuszeichen / Minuszeichen
Schusszone / Schußzone / Schußzone / Schuƒszone
Schussszene / Schußszene / Schu߃zene / Schuƒsƒzene
Schlusssatz / Schlußsatz / Schlu߃atz / Schluƒsƒatz
Gussstopfen / Gußstopfen / Gu߃topfen / Guƒsƒtopfen
Rußsack / Rußsack / Ruƒsƒack
Die Unterscheidung Lang-s zu Schluß-s fand ja nur bei den Kleinbuchstaben statt, deswegen eben auch das ß nur bei Kleinschrift.
Man kann sagen, daß das Lang-s „ƒ“ die etwas nach links gestürzte „hochkant“gestellte schmale Form des s war, während man am Ende des Wortes zu einem schönen Schwung in die Breite Platz hatte und es eben auch am Wortstammende benutzt wurde, um den Beginn des neuen Wortteils hervorzuheben.
Und heute sind wir fast schon wieder soweit, daß wir WortTeile durch UnterScheidung herVorheben.
KunstStoffFlasche / KunstStoffLasche
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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz
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