Nieten in Nadelstreifen
>>Reichlich Schönfärberei
Kratzer am Image von Ministerpräsident Christian Wulff – In Niedersachsens CDU/FDP-Regierung häufen sich Pannen und Streit
Von Michael Ahlers, Hannover
Heile Welt, was sonst. Bei Schnittchen und Butterkuchen setzten Niedersachsens Hochschulpräsidenten artig ihre Unterschrift unter den Zukunftsvertrag mit dem Land.
Ich glaub es erst, wenn auch der Finanzminister unterzeichnet hat, witzelte ein zufriedener Christian Wulff im Produktionstechnischen Zentrum der Universität Hannover. Das heillose Chaos um den Vertrag lächelte und redete der Regierungschef einfach weg.
Solidität, Gründlichkeit und Glaubwürdigkeit sind die Tugenden, die der Ministerpräsident herunterbetet, wenn es um Niedersachsens CDU/FDP-Regierung geht. Doch während Wulff mit dem Stellungskrieg der CDU-Granden in Berlin beschäftigt ist oder sich beim Besuch in niedersächsischen Randlagen als Ministerpräsident der Herzen feiern lässt, häufen sich im Kerngeschäft die Pannen.
Vom Parkplatz eines Bückeburger Hotels musste Staatskanzlei-Chefin Gabriele Wurzel ihrem Chef Wulff per Handy Rapport erstatten, nachdem Niedersachsens Staatsgerichtshof das neue Mediengesetz kassiert hatte. Unverhältnismäßig fand das Gericht die Pläne, die Rundfunk-Beteiligungen der SPD zu schleifen.
Jetzt kommt der raue Alltag, jubelt die SPD
Das Bundesverfassungsgericht kippte das Gesetz, mit dem Niedersachsen seiner Polizei das Abhören schon beim Verdacht auf Straftaten erlauben wollte.
Kein Gericht, sondern der Koalitionspartner FDP ließ Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) kalt abblitzen: Sie hatte in der Diskussion um die Hannover-Filiale von Dignitas eine niedersächsische Bundesratsinitiative zum Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe angekündigt. Eine gemeinsame Tagung von CDU und FDP zum heiklen Thema platzte.
Wulff schwamm seit 2003 auf einer Woge der Zuwendung, jetzt kommt der raue Alltag, kommentiert Wolfgang Jüttner, SPD-Partei- und Fraktionschef im Land, die neuen Kratzer am Lack des Wahlsiegers von 2003.
Schon die Erfolgsbilanz seiner Regierung, die Wulff zur Halbzeit Ende August vorstellte, bot reichlich Schönfärberei. Zur Haushaltssanierung beispielsweise werden neben echten Einsparungen auch Kreditforderungen verkauft, um Einnahmen zu verbuchen. Schulden und Ausgaben werden in Nebenhaushalte verlagert.
Während es an den Schulen längst rumorte, pries Wulff im angemessen fast-präsidialen Ambiente des Regierungs-Gästehauses die Unterrichtsversorgung. Und einen Zukunftsvertrag mit den Hochschulen gab es schon zu SPD-Zeiten. Unsere Bäume wachsen nicht in den Himmel, warnte CDU-Fraktionschef David McAllister jüngst vor Selbstgefälligkeit. Die erhöhte Pannen-Anfälligkeit schürt die Nervosität. Der Präsidialstil Wulffs hat seine Grenzen, die richtige Steuerung durch die Staatskanzlei fehlt, sagt SPD-Mann Jüttner.
Die Querelen mit dem Koalitionspartner FDP, der im Bund nun Opposition macht, muss sich Wulff ebenso anrechnen lassen wie die Niederlagen des Landes vor höchsten Gerichten. Und in der Union klingt die Kritik an der Staatskanzlei weniger höflich als bei Jüttner. Wulff kümmert sich zu wenig, Wurzel bunkert sich ein, heißt es über den Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei-Chefin.
Hält schon die aufpolierte Leistungsbilanz der Realität selten stand, ist auch Wulffs Image als allzeit freundlicher Gentleman-Politiker trügerisch. Im Publikumsverkehr selbst unter Stress zugänglich, kontrolliert locker und witzig, ist der Dienstherr Wulff eher gefürchtet.
Den Ärger Wulffs bekamen zuletzt Wissenschaftsminister Lutz Stratmann und Kultusminister Bernd Busemann zu spüren. Stratmann war bei den Studiengebühren ins Straucheln gekommen, der Kultusminister hatte den Schulen die Hauptverantwortung für den Unterrichtsausfall zugeschoben. Wulff vergisst nie, sagt ein führender Politiker. Geht es um kaum verhehlte Feindschaft wie zu VW-Denkmal Ferdinand Piëch, wird Wulffs Lächeln selbst in Kamera-Nähe eisig.
Reibungsverluste durch Machtkampf gegen Piëch
Konflikte hat Wulff bei Bedarf schon immer entschlossen inszeniert: Austritt aus der Kultusministerkonferenz, Kampf gegen die Rechtschreibreform. Der Ertrag war gering, sagen Kritiker. Er war beträchtlich, sagt Wulff.
Mit seinem Kampf gegen Piëch aber entfernt sich Wulff weiter denn je vom Image des freundlichen Spitzenpolitikers. Offiziell geht es um saubere Unternehmensführung: Der VW-Aufsichtsratschef Piëch sei als Porsche-Mann im Interessenkonflikt. Dann wieder heißt es, Wulff sehe Piëch als eine Symbolfigur für SPD-Filz bei VW. Doch dass Wulff während einer Aufsichtsratssitzung Piëch zum Verlassen des Raums aufgefordert haben soll, muss man wörtlich verstehen: Der starke Mann will Wulff immer selbst sein.
Freitag, 21.10.2005<<
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Ferdinand Piëch, der Enkel des ersten VW-Konstrukteurs Ferdinand Porsche und Vater von 13 Leistungsträger-Elite-Kindern, läßt VW wieder etwas am Glanz der Porsche-Welt teilhaben, und Christian Wulff redet für ihn einen „Interessenkonflikt“ herbei.
Sicherlich ist es eine Berufskrankheit von Politikern ebenso wie von Journalisten, daß es ihnen an Merke mangelt. Ist es denn wirklich derart schwierig, die Intelligenz eines Landes zu vernetzen??
Was, bitte, hat Herr Wulff beim „Kampf gegen die Rechtschreibreform“ „entschlossen inszeniert“: daß er (voll tapfer) 69 Pressemitteilungen herausgegeben hat? Ja toll; aber er ist, ohne irgendwelche Not, auf der Ministerpräsidenten-Konferenz eingeknickt, und er hat immer wieder seinen Kultusminister ohne Weisung gelassen. Gegenüber Fachleute-Rat hat er sich verleugnen lassen. Wenn er seine anderen Regierungsgeschäfte mit ebensoviel „Entschlossenheit“ betreibt, dann braucht sich über Niedersachsens Politikergebnisse niemand zu wundern.
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Detlef Lindenthal
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