Kann man es so darstellen?
Meine Gedanken kreisen um das sz und seine Entstehung. Könnte man es – laienhaft – so ausdrücken:
Vor Zeiten, da das ß noch nicht „geboren“ war, diente das Doppel-s (ss) ursprünglich und hauptsächlich dazu, einen tonlosen s-Laut zu kennzeichnen.
Hingegen wurde das einfache s ausschließlich zur Darstellung des stimmhaft gesprochenen s-Lautes verwendet.
(Dieser These folgend, müßten Wörter, die auf einen s-Laut enden, wegen der zwingend stimmlosen Aussprache des letzten Buchstaben mit ss geschrieben worden sein, also „Hauss“ aber „Häuser“, „Grass“ aber „Gräser“, „freudloss“ aber „freudloser“ usw. Außerdem müßte auch das s vor Konsonanten verdoppelt worden sein: „Gasst“, Kisste“ usw.)
Das lesefreundliche Stammprinzip sorgte nach und nach zu einer abweichenden Schreibweise, die den stimmlosen s-Laut ebenfalls durch einfaches s darstellte, also „Gras“ zu „Gräser“ und „Haus“ zu „Häuser“ – obwohl das End-s tonlos und das Inlaut-s stimmhaft ausgesprochen wird. Vor dem t ist die Verdoppelung des s nicht nötig und stört nur den Lesefluß, deshalb heute „Gast“, „Kiste“ usw. Ausnahme dazu ist wiederum das lesefreundliche Stammprinzip, z.B. „hassen“ zu „du hasst“.
Mit anderen Worten, man hatte möglicherweise vor langer Zeit eine s-Schreibung, wie sie heute in der Schweiz praktiziert wird:
Einfaches s für stimmhaften s-Laut und im Stammprinzip auch für stimmlosen s-Laut sowie zur Unterscheidungsschreibung (das, bis ...).
Doppel-s (ss) für stimmlosen s-Laut, egal ob kurz oder langer Vokal vorausgeht(Fuss, aussen, Fluss ...).
Das ß ersetzte später allmählich das ss, und zwar nur dort, wo dieses zu Leseschwierigkeiten führte, nämlich am Wort- oder Silbenende – ohne Berücksichtigung der vorausgehenden Vokallänge. Das ß war damit die graphische Antwort auf Leseschwierigkeiten von immer komplizierter werdenden Wortkonstruktionen mit ss im allgemeinen. Der Buchstabe ß steht als graphisches Zeichen allein für „tonlos“ und definiert keinesfalls den vorhergehenden Vokal nach seiner Länge (siehe oben).
Ist dieses Gedankengebäude, das sich nächtens über meinem Kopfkissen aufgetürmt hat, mit der schrifthistorischen Realität in Einklang zu bringen? Ich bitte sehr um Kritik aus sachkompetenter Hand! Vielleicht ist das Gesagte völliger Unsinn. In diesem Falle ersuche ich die Kenner der Materie um gütige Nachsicht.
Ich wünsche allen Lesern dieses Forums einen schönen guten Morgen!
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Karin Pfeiffer-Stolz
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