Zunehmende Verwirrung
18.10.2004 CHRISTOPH SCHMITZ - DER SPIEGEL 43/2004, S. 50
Die Kultusfunktionäre schlagen zurück: Vergangene Woche wurde die Gründung des Rats für Rechtschreibung beschlossen. Die Kritiker sind in der Minderheit.
Es war kein schöner Tag für den Christdemokraten Bernd Busemann, 52, Kultusminister von Niedersachsen. Im saarländischen Mettlach hagelte es am Freitag vergangener Woche Kritik und Vorwürfe von allen Seiten, selbst von den eigenen Parteifreunden. Zwei Stunden lang knöpften sich die Kultusminister der Republik den Kollegen vor.
„Eine ruppige Aussprache“ sei das gewesen, räumte der Gescholtene später selbst ein -- alle gegen einen. „Der war im Plenum total isoliert“, bilanzierte die NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD). Der Grund für die Klassenkeile: Niedersachsen hatte vor zwei Wochen mit Fanfarenstößen des Ministerpräsidenten Christian Wulff den Austritt aus der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen.
So sehr verbissen sich die Kollegen in den unglücklichen Busemann, dass für ein weiteres zentrales Thema des Treffens, den neu zu gründenden „Rat für deutsche Rechtschreibung“, am Ende gerade mal 20 Minuten Zeit blieben.
Die Gründung des Rats hatte die KMK in der vorigen Woche beschlossen. Er soll die umstrittene Rechtschreibreform, die vom l. August 2005 an in Kraft tritt, von den schlimmsten Auswüchsen bei Getrennt- und Zusammenschreibung, Trennung, Zeichensetzung und Fremdwörtern befreien.
Dabei hätte eine intensivere Befassung mit dem Thema dringend Not getan. Denn nach einer Allensbach-Umfrage befürworten nur noch ll Prozent der Bevölkerung die Rechtschreibreform, 60 Prozent sind dagegen, 29 Prozent unentschieden.
Seit wichtige Verlage sich entschlossen hätten, zur alten Lehre zurückzukehren, so ermittelten die Demoskopen, sei die Stimmung gekippt: „Viele Menschen haben für sich einen ähnlichen Beschluss gefasst.“ Im April hatten noch 30 Prozent der Bevölkerung angegeben, dass sie die reformierte Schreibweise benutzen. Inzwischen sank deren Zahl auf 19 Prozent.
Auch eine zweite Hiobsbotschaft ließen die Kultusfunktionäre an sich abperlen: Eine Vergleichsstudie des Pädagogikprofessors Harald Marx von der Universität Leipzig ergab, dass die Rechtschreibreform das Erlernen der Orthografie nicht einfacher macht, sondern erschwert.
Unbeeindruckt zeigten sich die KMK-Mitglieder auch von den im „Frankfurter Appell“ zusammengeschlossenen Autoren wie Günter Grass, Elfricde Jelinck, Martin Waiser, Ulla Hahn oder Hans Magnus Enzensberger. Die plädieren dafür, „nach acht Jahren zunehmender Verirrung das Experiment Rechtschreibung“ zu beenden.
Insbesondere Busemann und der saarländische Wissenschaftsminister Jürgen Schreier (CDU) waren mit großen Absichten in Mettlach angereist. „Wir werden mit dem neuen Rat eine Art Academie Francaise haben“, frohlockte Schreier vor Tagungsbeginn -- und auch Busemann machte sich Mut: „Der Rat ist die letzte Chance, um substanziell etwas zu verändern.“
Doch nach der Schelte, die ihm seine Kollegen verpasst hatten, war der Mumm dahin. Der Rechtschreibrat bleibt wohl eher eine Alibiveranstaltung, die Kultusminister scheinen sich nicht mehr bewegen zu wollen, und die Zeit drängt. Völlig unklar ist vor allem, wie das Gremium innerhalb von nur neun Monaten umfassende Änderungen in das Reformwerk einarbeiten will. „Das muss er halt in einem Parforceritt leisten“, riet KMK-Präsidentin Doris Ahnen lakonisch.
Zwar ist von der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ über Lehrer-, Schriftsteller- und Zeitungsverlegerverbände bis hin zu Buchverlagen beträchtlicher Sachverstand in dem Rat vertreten von der breit angekündigten Pluralität aber keine Spur. Nur wenige der 16 Verbände und Akademien lehnen die Reform ab, mindestens 5 stimmen ihr zu. Die restlichen sind wegen ihrer internen Zerstrittenheit weitgehend paralysiert.
„Aus den besten Absichten ist ein mieses Ergebnis geworden“, kritisiert etwa der Linguist Konrad Ehlich von der Universität München den gesamten Reformprozess. Nun müsse der Rat „an einem sinnvollen Rückbau“ arbeiten.
Nur steht die Hochschulabteilung des Germanistenverbandes, die für die klassische Schreibweise plädiert, gar nicht auf der Liste für den Rat, sondern lediglich der gegnerische Deutschlehrerzweig. Immerhin hat der Vcrbandschef der Hochschulgermanisten, Thomas Anz, den Deutschpädagogen Fritz Tangermann für den Rat nominiert, der „für fundamentale Einschränkungen“ zumindest in Teilen des Reformwerks kämpfen will.
„Vollständig vorhersehbar“ sei der Inhalt der Berichte, die der Rat erstellen werde, urteilt auch der Erlanger Sprachwissenschaftler und leidenschaftliche Gegner der Reform, Theodor Ickler. Auch jetzt sei dem Rat offenbar vor allem daran gelegen, „die wirtschaftlichen Interessen der Schul- und Wörterbuchverlage zu wahren“.
Kritiker der Reform wollen sich dennoch wappnen. So erwägt der Verband deutscher Zeitungsverleger, den Springer-Vorstand Mathias Döpfner, einen engagierten Verfechter der alten Rechtschreibung, für den Rat zu nominieren. Und als Vorsitzender der Runde ist immerhin Hans Zehetmair (CSU) im Gespräch.
Auf ihm ruhen nun die Hoffnungen der Gegner. Der frühere bayerische Kultusminister, der die Neuerungen einst befürwortete, hat inzwischen das Lager gewechselt und kürzlich seinem einstigen Chef Edmund Stoiber geballte Klagen vorgetragen: Die fachlichen Instanzen führten „manches sehr eigendynamisch um nicht zu sagen selbstherrlich aus“. Sein Fazit: „Wir hätten die Reform nicht machen sollen.“
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