Rechtschreibreform: Was der typische Spießer damit zu tun hat,
erklären eine Essayistin und ein Komiker,
Katharina Rutschky und Bastian Pastewka, in chrismon 10/2004
Chrismon: Wann haben Sie das letzte Mal gedacht: Das war aber spießig!?
Rutschky: Das ist gar nicht lange her. Das war bei der Diskussion um die Rechtschreibreform. Die ganzen Leserbriefkaskaden und öffentlichen Statements gegen die Reform, die waren für mich spießig.
Chrismon: Was genau war daran spießig?
Rutschky: Das Kleinliche, Pedantische, Ängstliche: Und hinter dieser Ängstlichkeit spürt man eine ziemliche Aggressivität. Und das Ganze ist auch immer irgendwie restriktiv. Mit manchen konnte man über die Rechtschreibreform gar nicht mehr reden. Die Gegnerschaft ist eine Weltanschauung geworden. Dabei: Welcher normale Mensch beschäftigt sich eigentlich mit so einem Unsinn? Der Herr Denk zum Beispiel beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Rechtschreibreform! Der hat sich leider nie gefragt: Ist das deutsche Komma wirklich mein Leben wert? Über so was bin ich erschüttert. Dazu gehört Größenwahn und Sendungsbewußtsein.
Pastewka: Ich glaube auch, dass das Ganze nur deshalb so hochkocht, damit sich viele, viele Spießer profilieren können. Das schau ich mir dann, ehrlich gesagt, auch wieder ganz gern an. Da bin ich ger Voyeur.
Rutschky: Und was sehen Sie? Alte Männer, die sich wichtig tun und denen es auch offenbar an jeglicher Selbstironie fehlt. Reich Ranitzki, Walser oder Herr Muschg zum Beispiel, dem würde ich sagen: Herr Muschg, Sie sind 71, halten Sie endlich die Klappe! Sie hocken nicht in der Schule und haben seit Jahren die neue Rechtschreibung gelernt! Das Spießertum hat einen autoritären Charakter, das wird bei der Rechtschreibdebatte sehr deutlich: Was ich gelernt habe, das will ich nicht entwertet sehen durch eine vereinfachte Rechtschreibung, die die Kinder die ja sowieso nichts taugen jetzt lernen.
Pastewka: Ich hab die Rechtschreibreform immer nur unter dem Gesichtspunkt der komödiantischen Verwertbarkeit eingeordnet. Aber inzwischen tut es mir fast Leid, dass wir die Kritik an der Rechtschreibreform lange Zeit als Comedians weitertransportiert haben. Da muss ich mich fast dafür entschuldigen. Als ich merkte, dass die Welle gegen die Rechtschreibreform so hochschwappte, hab ich gesagt: Lasst uns sofort aufhören, keine Gags mehr über neue Wortschreibungen wir machen es nur noch schlimmer. So wichtig ist Rechtschreibung nicht.
Chrismon: Jetzt sind es doch aber gerade die Literaten oder Publizisten wie der Chefredakteur des Spiegel oder ein Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die gegen die Reform sind. Sind das alles nur Kleingeister?
Pastewka: Nein. Das sind eben Leute, die sich gern mal öffentlich zu Wort melden.
Rutschky: Der Spießer-Impuls tritt auch immer dann auf, wenn ein gewisser Bedeutungsverlust befürchtet wird. Das ist bei den Literaten vielleicht der Fall. Ich kann's auch anders sagen: Jemand wie Grass, dem können Sie noch einen Nobelpreis geben der wird sich trotzdem überall aufplustern. Und das ist spießig. Dass jemand nicht seine Grenzen sehen will und nicht sagen kann: Jetzt machen wir mal halblang, ich blase mich nicht mehr auf. Bei den Schriftstellern gibt es sehr viele, die zu dieser Art moralischer Eitelkeit neigen. Und bei den Medienleuten da ist das weniger spießig als vielmehr ein Putschversuch. Diese Medienleute sind besoffen von ihrer so genannten Macht. Die wissen nicht mehr genau, was sie können und was nicht. Und dabei entdecken sie plötzlich die so genannte Mehrheit der Bevölkerung, das ist auch so ein Käse, plötzlich also vox populi. Irre! Die wollen doch nur Krach machen und dazu noch vornehm sein.
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