Der Fall Hoffmann
Frau Hoffmann möchte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß sie einmal ihre eigene Meinung gesagt hat, ohne sich vorher zu vergewissern, ob sie auch mit der des Fraktionsvorsitzenden übereinstimmt. Bemerkenswert ist, daß der Fraktionszwang, für den man unter brenzligen Umständen ein gewisses Verständnis haben kann, in einer solchen Sache wie der Rechtschreibreform eingesetzt worden ist. Das bedeutet doch, daß es hier um die Staatsräson auf höchster Ebene geht, d. h. um wirtschaftliche Interessen bestimmter Gruppen. Allerdings hat die rot-grüne Koalition schon in ihrer Koalitionsvereinbarung den Koalitionszwang zur verfassungswidrigen Dauereinrichtung gemacht. Hier eine Information zur Sache selbst:
Fraktionszwang
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbietet in Artikel 38 Absatz 1 jegliche Einflussnahme auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
In der von Parteien bestimmten Demokratie der Bundesrepublik hat sich innerhalb aller Fraktionen, sowohl bei der Regierung als auch bei der Opposition, der so genannte Fraktionszwang entwickelt, auch als Fraktionsdisziplin bezeichnet. Er bezeichnet die geschlossene Abstimmung innerhalb einer Fraktion im Parlament bzw. innerhalb der Regierungsfraktionen, wie dies z.B. im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen niedergelegt ist: Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. (Kapitel XII., Absatz 2)
Politiker verteidigen dieses ungeschriebene Gesetz, das im Widerspruch mit dem Grundgesetz steht, meist mit der Notwendigkeit der Handlungsfähigkeit der Regierung. Ohne geschlossenes Abstimmungsverhalten werde die Verabschiedung von Gesetzen erschwert, da die nötige Mehrheit unsicher sei. Den Oppositionsparteien dient der Fraktionszwang dazu, ihr Profil gegenüber der Regierung zu schärfen.
In die Schlagzeilen gerät der Fraktionszwang häufig erst dann, wenn er aufgehoben wird, was meist bei wirklichen Gewissensfragen wie z.B. im August 2001 bei der Abstimmung über den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr der Fall ist. Streng genommen kann von einer Aufhebung des Fraktionszwangs allerdings keine Rede sein, die Fraktionsspitze verzichtet in diesem Fall lediglich auf eine Einflussnahme auf ihre Abgeordneten. Sanktionen gegen Abgeordnete, die ihre Stimme entgegen der Linie der Fraktion abgeben sind laut Grundgesetz verboten: Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung ... gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. (Art. 46 I GG)
Wenn ein Abgeordneter allerdings häufig gegen die Fraktionsdisziplin abstimmt, droht ihm innerhalb der Partei, dass er bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt wird oder keinen aussichtsreichen Listenplatz erhält. So stimmen die meisten Abgeordneten mit der Fraktion geschlossen ab, um sich die Chancen auf eine Karriere in der Partei zu erhalten.
Kritiker bemängeln daher, dass in der Praxis der Bundesrepublik Deutschland damit kein vollständig Freies Mandat, wie es das Grundgesetz vorsieht, existiert. Das Gegenteil, ein Imperatives Mandat, würde dagegen eine vollkommene Gebundenheit an den Willen der Wähler oder der Partei- bzw. Fraktionsführung einschließlich juristischer Sanktionsmöglichkeiten bedeuten. Ein Imperatives Mandat erhalten z.B. die Vertreter der Länder im Bundesrat, die die Stimmen entsprechend der Weisung ihrer Landesregierung abgeben. (www.politikerscreen.de)
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Th. Ickler
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