Warum von der Politik nichts zu erwarten ist!
Hier einige Auszüge aus dem Buch „Die angebliche Rechtschreibreform“ von Horst Haider Munske:
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Haben unsere Minister für Kultur eingesehen, daß diese Reform nichts taugt, daß der Praxistest der Anwendung in den Wörterbüchern ihre Mängel aufgedeckt hat, die nun zu reparieren sind? Haben die Gerichtsurteile gegen die Reform sie beeindruckt? Haben die zahlreichen Bürgerinitiativen für Volksentscheide, die Mediendebatten, die zunehmend sarkastischer werdenden Kommentare in den Zeitungen sie zur Umkehr veranlaßt? Nichts von dem! Sie halten eisern an den Vereinbarungen fest, die sie vor drei Jahren mit ihren österreichischen und schweizerischen Amtskollegen getroffen haben. Obwohl sich auch hier ein wachsender Widerstand bei Wissenschaftlern, Journalisten, Verlage meldet. Die Frage, ob man denn eine in Jahrhunderten gewachsene Schriftnorm einer Kultursprache auf dem Verordnungswege so einfach ändern dürfe, gegen den offenbaren Willen der Bürgermehrheit, diese Frage scheint ihnen unziemlich. Ungeniert halten sie wie Kleinkönige an der Tradition des deutschen Obrigkeitsstaates fest: gehorsamster Diener, Euer Hochwohlgeboren! So gehört es sich von Lehrern, Schülern und Eltern, von Zeitungs- und Buchverlagen, von Millionen Lesern. Wie gut oder schlecht diese angebliche Reform tatsächlich ist – darum geht es längst nicht mehr, … Im Bunker ihrer Selbstgewißheit, von Sachkenntnis ungetrübt, von den Geschäftemachern der großen Wörterbuchverlage getragen und getrieben, warten sie schweigend ab, bis die neue Schulorthographie in ihren Herrschaftsbereichen endgültig durchgesetzt ist. Verantwortung für die Sprache? Verantwortung vor der Sprachgemeinschaft? Dies ist ein stummes Ressort in deutschen Kultusministerien.
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28 Monate nach den Wiener Abschlußgesprächen und 9 Monate nach dem Reformbeschluß und der Einführung der Neuregelung in den Schulen vieler Bundesländer, im März 1997, gelang es den politisch Verantwortlichen in Deutschland, Österreich und der Schweiz endlich, die vereinbarte zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung zu konstituieren. Man hatte sie mit Rücksicht auf ihre Aufgabe, „die Einführung der Neuregelung zu begleiten“, überwiegend mit den aktiven Mitgliedern der alten Rechtschreibkommissionen beschickt. Das entsprach den Vorschlägen aus diesem Kreis und war sachgerecht, wenn man eine solche Aufgabe ernst nahm. Diese hatte sich jedoch inzwischen erledigt, da die Vorbereitungsphase durch die um zwei Jahre vorgezogene praktische Einführung der neuen Rechtschreibung in den Schulen bereits vorüber war. Vielmehr stand die neue Kommission vor dem Scherbenhaufen, den die unterbliebene Vorbereitung und Koordination hinterlassen hatte: wesentlich divergierende neue Rechtschreibwörterbücher und eine öffentliche Protest- und Prozeßwelle einmaligen Ausmaßes. In dieser Situation wäre es richtig gewesen – so habe ich es auf der konstituierenden Sitzung verlangt , die Einführung der Rechtschreibung zunächst auszusetzen und das Regelwerk in Kooperation mit den Wörterbuchverlagen und den Kritikern der Reform gründlich zu überarbeiten. Was geschah statt dessen? Der Präsident der KMK und seine gleichrangigen Kollegen aus Österreich und der Schweiz verlangten in ihren Grußworten auf der konstituierenden Sitzung, die Kommission möge kurzfristig eine klärende Wörterliste für den Schulgebrauch erarbeiten, dazu die zahlreichen eingegangenen kritischen Stellungnahmen beachten, aber das neue Regelwerk auf keinen Fall verändern: ein schier unerfüllbares Verlangen, wie sich zwischenzeitlich bestätigt hat. Noch bevor die Probleme dieses Auftrags erörtert werden konnten, hatten die hohen Kultusbeamten die Sitzung bereits verlassen. Auch an den späteren Kommissionssitzungen nahm keiner von ihnen teil, sie gingen jeder Aussprache mit der Kommission aus dem Wege und verweigerten überdies die dringend erbetenen Mittel für die nötigen Arbeiten. Um so nachdrücklicher forderten sie die Kommission auf, den Protesten aktiv entgegenzutreten, um die Reform zu retten. Argumenten, dies geschehe am glaubwürdigsten durch ein Moratorium und eine gründliche Überarbeitung, wie dies Peter Eisenberg und ich verlangt haben, zeigten sie sich völlig verschlossen. Als diese Haltung auch auf der dritten Sitzung bekräftigt wurde, habe ich meinen Austritt aus der Kommission erklärt.
… Die mangelhafte Vorbereitung der Rechtschreibreform, ihre kühnen Eingriffe in die deutsche Schriftsprache, der Starrsinn der beteiligten Politiker, mit dem sie an ihren Absichten festhalten und gegen jegliche Kritik immun sind – dies alles gibt jenen recht, die von vornherein der Politik jedes Recht auf Regulierung von Sprache und Orthographie abgesprochen haben. Die Politiker haben das Vertrauen, das viele in sie gesetzt haben, sie würden tatsächlich höchst behutsam mit den geltenden Schreibnormen umgehen, aufs tiefste enttäuscht. … In der sogenannten Übergangszeit, mit der die Kultusminister die Öffentlichkeit beruhigen wollen, wird der Kampf um die Bewahrung der geltenden Rechtschreibung und gegen die verordnete Schulorthographie erst recht beginnen.
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