Re: Die Waldschlößchenbrücke und das gleichgeschaltete Lexikon – Gruß an Manfred Riebe!
LES LARMES DE PIERRE
Ich habe einen Freund (er weiß es nicht einmal). Er heißt Udo Becker, ist Professor an der TU Dresden und Lehrstuhlinhaber für Verkehrsökologie.
Eine meiner Nachbarinnen ( F., eine feuerrothaarige Kunstmalerin) wuchs hinter dem Eisernen Vorhang auf, unweit Dresdens. Sie folgte, nach dem lange ersehnten „Mauerfall“, dem ihr von der Liebe gewiesenen Weg nach Basel. Hier lebt sie nun und liebt und sagt zu mir: Kopiere doch diesen ganzen Kram und füge ihn einfach ein – denn Quellen versiegen!
Aha? „Gut, wenn du meinst, dann werde ich es tun“, antworte ich ihr.
Aber vorher muß ich noch etwas sagen. In Dresden war ich noch nie (auch niemals in Berlin). Was aber verbindet einen ehemaligen Ziegenhirten, späteren (autodidaktisch gebildeten) Kunst- und Kulturhistoriker, der als Architekturphotograph beinahe sämtliche Kirchen und Klöster Deutschlands und der Schweiz photographiert hat, mit Dresden? Seine letzten Tränen. Am 30. Oktober 2005 sah ich im Fernsehen die Einweihung der wiedererrichteten Frauenkirche. Ja, ich gebe es zu: ich mußte weinen – als bekennender Agnostiker mir die Augen mehrmals trocknen. So tief war ich bewegt.
Nun also kopiere ich ganz einfach:
>>Am Ende stehen alle wieder im Stau, nur auf noch höherem Niveau
Auszüge aus einem Gespräch mit Prof. Udo Becker, TU Dresden, Lehrstuhl für Verkehrsökologie.
Die Fragen stellte Thomas Friedlaender.
Sehr geehrter Herr Prof. Becker, die Diskussion zur Waldschlößchenbrücke zieht sich seit Jahren hin, und es gibt immer noch kein Ergebnis. Wie beurteilen Sie als Fachmann die von der Stadt dem Regierungspräsidium zur Entscheidung vorgelegten aktuellen Planungsunterlagen – immerhin sind ja schon beachtliche 13 Mill. Euro in die Planungen geflossen?
Prof. Udo Becker: Nach Meinung der Landeshauptstadt ist die Planung wohl ganz toll gelungen, sonst hätte die Stadt nicht das Verfahren eingeleitet. Ich dagegen halte aber die ganzen Planunterlagen für absolut ungeeignet – damit ist keine Abwägung, keine sinnvolle Entscheidung möglich. Nur drei wichtige Kritikpunkte:
1. Es gibt in den Planunterlagen absolut keine Begründung für die Brücke; nirgendwo steht, wo genau im Dresdner Verkehr ein Problem liegt, wann wo Stau auftritt oder was man dagegen tun kann! Lapidar heißt es nur: Verkehr wird mehr, also bauen wir halt mal. Grundlage allen Planens wäre aber, daß man überlegt, wo denn nun genau das Problem ist – und hier herrscht komplette Fehlanzeige. Dabei haben die Messungen der TU Dresden bewiesen, daß der Verkehr durch die Stadt seit 1996 sogar um 30% schneller geworden ist – in Dresden kommt man gut voran, trotz der kleinen Probleme an manchen Stellen.
2. Um die Brücke aber zu rechtfertigen, wurde in den Prognosen für den NULL-FALL (also die Situation ohne Brücke) einfach angenommen, der Verkehr wird künftig weiter stark steigen – und dazu wurden absolut unmögliche Annahmen getroffen. So wurde zum Beispiel unterstellt, daß zwar die Einwohner zurückgehen, daß aber die Verkaufsflächen in der Stadt in einem unglaublichen Maße zunehmen – und dann fahren im Modell die nicht vorhandenen Menschen zu den zusätzlichen (angenommenen) Läden.
3. Dagegen wurden die Berechnungen für den MIT-FALL, also für den Fall, bei dem die Brücke dann tatsächlich gebaut wird, systematisch zu klein gerechnet. Die Planer haben dabei nämlich angenommen, daß die Brücke zu keiner Veränderung im Siedlungs- und Wohnortwahlverhalten führt.
Das ist aber ... vollkommener Unsinn: Natürlich verringert eine Brücke die Reisezeiten und die Kosten und die Unbequemlichkeit der Reise, das soll sie ja – und dann wird aber in einer Marktwirtschaft ganz logisch häufiger und weiter gefahren. Hier geht es um den ... erzeugten, Verkehr – und den gibt es, da herrscht wissenschaftlich kein Zweifel. Wird die Brücke gebaut, dann gibt es mehr Verkehr, und zwar auf der Brücke, auf den Zufahrten und auch im restlichen Netz, eben weil Menschen dann ihr Verhalten ändern.
Damit aber ergibt sich der Fall, daß eigentlich keine richtigen, korrekten, belastbaren Werte vorliegen: Man kann also gar nicht abwägen oder entscheiden. Das Regierungspräsidium bräuchte erst mal überhaupt verwertbare Unterlagen. So, wie das jetzt beschrieben ist, sind das alles Wunschwerte. ...
Sie meinen also, die vierspurige Brücke erzeugt mehr Probleme, als das Bauwerk vorhandene Probleme löst?
Prof. Udo Becker: Ja, aber sicher – zumal eben niemand untersucht hat, wo denn vorher überhaupt welches Problem herrscht und was man sonst noch dagegen tun könnte. Das ganze ist ein völlig unzeitgemäßer Ansatz, eine Planung nach Prinzipien von vor Jahrzehnten: Und mit viel Geld kaufen wir uns dynamische Entwicklungen ein, die dann ganz viele Folgekosten nach sich ziehen. Wir geben also mit der Brücke viel Geld dafür aus, daß dann hinterher viele teure Folgeprobleme erst entstehen.
Wenn ich mich gegen die Brücke ausspreche, dann doch nicht, weil ich den Dresdner Autofahrern etwas Böses antun will. Im Gegenteil. Ich tue dies, weil genau die jetzt vorgelegte Lösung diese Probleme nicht löst und den Leuten nicht hilft: Da wird eine Brücke gebaut, der Verkehr wächst weiter, und am Ende stehen alle wieder im Stau, nur auf noch höherem Niveau. Hier sind einfach andere, intelligente Konzepte gefragt. In einer dynamischen Marktwirtschaft ist es kompletter Unsinn, eine zu hohe Nachfrage damit bekämpfen zu wollen, daß man den Verkehr noch billiger, schneller, attraktiver macht.
Sie sind also kein prinzipieller „Gegner von neuen Brücken im Stadtgebiet?“ Was glauben Sie, woran liegt es, daß die Planer nach Ihrer Meinung so schlechte Zahlen vorgelegt haben?
Prof. Udo Becker: Naja, die Planer haben natürlich geplant, was man Ihnen vorgab – und hier liegt der schwarze Peter eindeutig bei den politischen Vorgaben. Ich bin da manchmal sehr überrascht: Da gehen die wirklich bemühten und kompetenten und wohlmeinenden Verkehrsfachleute der Landeshauptstadt mit abgestimmten und rundum gelungenen Planungen in den zuständigen Ausschuß, und dort fällt einem der Stadträte ein, daß er doch lieber einen Tunnel will – es kann auch eine andere, völlig unbezahlbare und unsinnige Lösung sein. Und dann wird der Plan der Verkehrsfachleute einfach abgelehnt, und der Planer wird wie ein Schulkind nach Hause geschickt, jetzt soll er bis zum nächsten Mal einen Tunnel (oder was auch immer) planen. Beim nächsten Mal kommt er dann mit dem Tunnel in den Ausschuß, sagt, wie teuer das ist – und dann wird einfach der Tunnel widerrufen, jetzt will man wieder eine neue Lösung – und so geht das hin und her. Der schwarze Peter liegt hier wirklich nicht bei den Planern, sondern bei den politischen Vorgaben: Da werden oft wirklich ganz eigene Süppchen gekocht, weil ein Minister eine Brücke genau an dieser Stelle will, weil ein Stadtrat aber genau an einer anderen Stelle wohnt: Es ist für die Fachplaner einfach unmöglich, mit diesen Vorgaben sinnvoll zu planen, und das sieht man dann der Planung auch an: Die jetzt vorgelegte Planung für die Waldschlößchenbrücke wäre in dieser Form nie entwickelt worden, wenn die Politiker da nicht ihre Extrawürste gebraten hätten, da bin ich ganz sicher.
Was prognostizieren Sie der Stadt für eine Entwicklung, wenn die Pläne des Finanzbürgermeisters Vorjohann in den nächsten Jahren verwirklicht werden?
Prof. Udo Becker: Tja, Herr Vorjohann ist nicht zu beneiden, was er tut, gibt Ärger. Trotzdem finde ich, daß er schlecht beraten ist, Geld in Verkehrswege zu stecken – denn die werden wir nicht brauchen. Wir werden weniger, wir werden älter, Dienstleistungen und Chip-Fabriken und Internet werden wichtiger als Stahlwerke und 8streifige Autobahnen. Mit den Kürzungssignalen bei Jugend-, Senioren- und Kulturpolitik würde er aber fatale Signale setzen: Er würde nämlich allen zeigen, daß diese soziale Komponente unserer Stadt unwichtig ist. Tja, und genau so werden sich die Menschen, die Jugendlichen, die Betroffenen dann verhalten: Unerwünscht und ohne Partner.
Das aber ist für ein Gemeinwesen ruinös; mit Schlaglöchern kann man leben, wenn man sich als Teil der Gemeinschaft fühlt. Die besten Autobahnen nützen nichts, wenn man sich nicht mehr als (erwünschter) Teil der Stadt fühlen kann.
Trotzdem, Herr Vorjohann argumentiert, daß nur durch gute Straßen Investoren nach Dresden kommen. Er meint, eine gute Verkehrsinfrastruktur sei eine wichtige Voraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen und damit für die Zukunftsfähigkeit Dresdens.
Prof. Udo Becker: Ach, hören Sie doch auf, das liest man zwar oft, aber richtig ist es dennoch nicht: Es gibt 1000 Voraussetzungen für ein Unternehmen, hierher zu kommen, und Verkehrswege sind nur eine Voraussetzung. Unsere Verkehrswege sind nun schon einigermaßen gut, es geht hier schneller voran als in Köln oder Stuttgart, und man kommt überall hin – das ist eine Grundvoraussetzung, die ist aber für fast alle Unternehmen erfüllt. Dann aber braucht man als Unternehmer auch begeisterungsfähige Arbeiter, eine gute Verwaltung, gute Schulen, Opern, einen Stadtgarten, saubere Luft, sichere Wege zu guten Kindergärten, ein Gemeinschaftsgefühl und viel mehr. Welche Leute wollen Sie denn hier herziehen, wenn wir die besten Straßen, aber keine Kindergärten, keine Schulen, keine Museen, keine lebenswerte Umwelt mehr haben? Dann kommt doch überhaupt kein zukunftsfähiger Investor mit Ideen hier an – und daran fehlt es, nicht an noch mehr Beton. Zukunftsfähig wäre es, wenn wir statt dessen heute die Investoren locken, die sich in Zukunft zu echten Knüllern entwickeln werden – und das sind intelligente, verkehrsreduzierende, vernetzte Konzepte, und die brauchen eine lebenswerte Umwelt und schlaue Köpfe und einen Computer, sonst nichts. Das wäre im Sinne der Stadt!
Lassen Sie uns nochmals auf die Waldschlößchenbrücke zurückkommen: Viele Menschen verknüpfen mit dem Bau dieser Brücke gewisse Hoffnungen. Wo würden Sie denn in unserer Stadt eine Brücke über die Elbe schlagen? Wo im Stadtgebiet gibt es die größten Verkehrsprobleme und wie würden Sie denn diese Probleme lösen, wenn Sie das entscheiden könnten? Brauchen wir mehr kleinere Brücken? Soll es nur Brücken für Bus, Bahn, Radfahrer und Fußgänger geben? Was kosten denn solche Lösungen?
Prof. Udo Becker: Tja, das würde ich gerne einmal wissenschaftlich untersuchen aus dem Stegreif kann ich das nicht beantworten. Aber ich denke, Dresden braucht gerade in dieser katastrophalen Finanzlage andere Lösungen als zusätzliche Straßen oder Brücken: Es geht um Gemeinsinn und um die Zukunft. Zur Zeit lese ich in der Zeitung, auf die Brücke darf man nicht verzichten, weil sonst die Fördergelder nicht kommen. Tut mir leid, das kapiere ich einfach nicht: Weil uns Bund oder Freistaat 100 Millionen geben, muß ich doch noch lange nichts gut finden, was mich noch immer noch 10 Millionen „Restmittel“ kostet und was mich danach dann Jahr für Jahr 1 Million Unterhalt kostet, wenn ich das Teil eigentlich nicht brauche? Stellen Sie es sich doch mal so vor: In Grönland kommt zu den Eskimos ein Mann, der Kühlschränke verkauft (brauchen wir nicht wirklich!), und der verspricht eine Fördersumme von 1000 EURO jeder Eskimo muß nur noch 100 EURO für den Kühlschrank bezahlen und danach dann natürlich die jährliche Stromrechnung. Was soll das? Auf Fördergelder für etwas, was mich nachher noch mehr Geld kostet und das ich nicht brauche, verzichte ich doch mit Handkuß. Im Gegenteil: Wer ein solches „Geschenk“ annimmt, handelt verantwortungslos, denn er macht schon wieder Schulden auf Kosten der nächsten Jahrzehnte.
Dresdner Blätt’l, 14. Jahrgang
Ausgabe 20/2003 vom 12. Dezember 2003<<
[Anm d. Red.: Dasselbe Gespräch finden Sie auch hier: http://www.welterbe-erhalten.de/index.php?option=com_content&task=view&id=421&Itemid=51 .]
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