Unsere Besten
Meine
Handschrift
von Hellmuth Karasek
Ein Plädoyer für kleine Eigenheiten
und die Sinnlichkeit des Schreibens
(Eben lag der „Ratgeber zur neuen Rechtschreibung“ von Reader’ Digest den reformierten Kieler Nachrichten bei, die ich immer von der Nachbarin geschenkt erhalte. Wegen der kulturhistorischen Bedeutung habe ich den handschriftlichen Text von Hellmuth Karasek abgeschrieben. Dabei fällt auf, daß er an zwei Stellen zunächst „ss“ geschrieben hatte und nachträglich aus dem ersten „s“ ein „ß“ gemacht hat – oder umgekehrt. Der Abstand spricht fürs erste – eine zaghafte Andeutung von Unabhängigkeit? Erst das letzte „dass“ entspricht klar und deutlich den Erwartungen der Auftraggeber.)
Hamburg, im Sommer 2006
Liebe Leserin,
lieber Leser,
ich schreibe Ihnen diesen Brief mit der Hand, um Ihnen zu erklären, warum ich diesen Brief mit der Hand schreibe. Noch dazu schreibe ich immer, jedenfalls meistens oder besser: so oft es geht, mit dem Füller. Dabei beginnen die Schwierigkeiten. Schreibe ich Ihnen korrekt mit “lila Tinte“ oder mit “lilaner Tinte“? Lassen wir es dahingestellt.
Daßs ich mit lila-farbener Tinte schreibe, hat keine politischen oder gesellschafts-ideologischen Gründe. Ich habe einmal, aus Zufall, lila geschrieben. Es sah gut aus, auf weißem Papier. Und so ist daraus eine Marotte geworden, eine Altersmarotte. Schreiben lebt von Gewohnheiten, die Marotten werden. Schiller konnte nur beim Geruch fauliger Äpfel schreiben.
Auch ich habe früher, im Schreibmaschinen-Zeitalter mit der Maschine geschrieben, respektive getippt. Dabei haben sich viele Dreher eingeschlichen. Zum Beispiel “dei“ statt “die“ oder “Buach“ statt “Bauch“.
Mein häufigster Fehler war “druch“ statt “durch“, jedesmal “druch“! Beim dreihunderteinundsechzigsten “Druch“ bekam ich einen Tobsuchtsanfall und warf meine Schreibmaschine aus dem Fenster – ich wohne im Parterre und schmißs sie in den Hintergarten. Abgesehen von ihr ging dabei nichts kaputt.
Also reaktivierte ich meinen Füllhalter und von da an schrieb ich mit Füller, so lange ich die Tinte halten konnte. Die lila Tinte.
Musil hat vom Fortschritt geschrieben, dass ihm ein Bein fortschreite und eines zurückhinke. Als Beispiel nannte er die Briefe. Früher, so sagte er, seien die Postzustellungen viel, viel langsamer gewesen. Das lag an den Postkutschen. Dafür wurden früher bessere Briefe geschrieben.
Bei mir hinkt der Fortschritt, was das Schreiben anlangt, auf beiden Beinen. Das heißt: er lahmt. Aber Lila auf Weiß, das sieht doch gut aus! Oder?
Herzlich
Ihr
Hellmuth Karasek
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Sigmar Salzburg
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