Klaus Reichert: "Rechtschreibreform", ... eine einzige Zerstörung ...
Auf dem Rückzug? Deutsch als Muttersprache
Der 21. Februar ist der Internationale Tag der Muttersprache. Wie es um Deutsch als Muttersprache bestellt ist, darüber sprachen wir mit Klaus Reichert, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Jedes Jahr erinnert die Weltkulturorganisation UNESCO mit dem internationalen Tag der Muttersprache an bedrohte Sprachen. Klaus Reichert ist Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt; darüber hinaus arbeitet er als Anglist, Übersetzer und Lyriker.
DW-WORLD.DE: Herr Reichert, was sind Ihre drei Lieblingswörter in Ihrer Muttersprache in Deutsch?
Klaus Reichert: Anmut, Unmut, Schwermut.
So ein Internationaler Tag der Muttersprache lädt immer auch dazu ein, sich Gedanken über den Stand des Deutschen zu machen. Ich frage jetzt ganz bewusst an den Anglisten Reichert: Ist es für Sie ein Problem, an deutschen Bahnhöfen das Schild Service Point statt Auskunft zu sehen und statt zum Wiederverwerten zum Recyclen aufgefordert zu werden?
Ich finde es ziemlich blödsinnig, dass man es auf Englisch macht. Wenn man sich ein bisschen in der Geschichte auskennt, dann weiß man, dass die Bahnsprache sich mehrfach umgestellt hat:
Die begann mal deutsch, dann wurde alles französisch, dann wurde alles wieder deutsch, jetzt ist es englisch. Mich regt das nicht weiter auf, das wird sich alles wieder ändern. Das Deutsche hat eine so widerständige Kraft; es wird die Wörter aufnehmen, die es brauchen kann, und es wird die Wörter abstoßen, die es nicht brauchen kann.
Das heißt, die Panik, die von einigen Sprachpflegern in Deutschland verbreitet wird, die teilen Sie nicht?
Nein, die teile ich nicht. Sicherlich ist es ärgerlich, wenn man viele ausländische und besonders englische Wörter dort benutzt, wo es durchaus auch ein schönes deutsches Wort gäbe. Aber auf der anderen Seite kann man auch sagen, dass Sprachen sich ja immer lebendig halten, indem sie sich erneuern durch die Berührung mit anderen Sprachen. Das Deutsche gäbe es nicht ohne das Lateinische, ohne das Französische oder ohne das Englische. Und dann gibt es noch kleinere Einflüsse, die nicht zu unterschätzen sind, wie das Hebräische, das Jiddische, die Zigeunersprache, das Rotwelsch, die alle eingewirkt haben auf das Deutsche. Irgendwann werden wir auch türkische Ausdrücke haben, wie es sie schon in Österreich gibt. Und was uns vielleicht nicht so klar ist: Deutsch ist eine wunderbar konkrete plastische Sprache, um die uns manche große Autoren anderer Sprachen beneiden; Samuel Beckett beispielsweise liebte das Deutsche eben wegen seiner Konkretion. Sein Lieblingswort war Zwei-fel.
Deutsch hat in der Geschichte als Wissenschaftssprache und als Sprache der Romantik eine große Rolle gespielt; welche Rolle spielt Deutsch Ihrer Meinung nach heute noch als Kultursprache?
Als Kultursprache ist sie unbestritten noch eine der großen Weltsprachen. Die große neuere Philosophie, auf die sich alle anderen Philosophien beziehen, ist nun mal auf Deutsch geschrieben, von Kant und Herder, Hegel und Fichte bis hin zu Benjamin und Heidegger, Adorno, Franz Rosenzweig und so weiter. Und wenn man ein Gespür für Sprachen hat, dann weiß man auch, das funktioniert wirklich nur auf deutsch. Ich kann natürlich nicht verkennen, dass die Wissenschaftssprache aus dem Deutschen ausgewandert ist ins Englische, da gibt es historische Gründe; gleichwohl betone ich immer wieder, wie wichtig es ist, zumindest in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, weiter deutsch zu schreiben. Und ich glaube sogar, dass wir im Augenblick dabei sind zu beobachten, dass diese Tendenz weg vom Deutschen rückläufig geworden ist.
Wenn man sich anschaut, dass die Verenglischung an deutschen Hochschulen auf dem Vormarsch ist: Ist das nicht der falsche Weg? Muss das unbedingt Englisch sein?
Das muss überhaupt nicht Englisch sein. Ich polemisiere seit langem dagegen, dass man bespielsweise Physik- oder Mathematikunterricht an deutschen Universitäten oder auch Schulen auf englisch macht, denn das Vermitteln des Wissens der Physik an den Schulen ist vor allen Dingen historisches Wissen, und das wiederum verlangt eine Kulturtechnik, das kann man nur auf deutsch unterrichten. Und aus dem Blauen heraus Physikunterricht an deutschen Schulen in gestoppeltem Englisch abzuhalten ist einfach ein Unfug.
Von sprachbewegten Politikern kommt immer wieder der Vorschlag, der Staat müsse sprachschützend auftreten. In anderen Ländern ist das ja auch geschehen, wie beispielsweise in Frankreich; was kann, was soll Politik überhaupt tun?
Die Politik soll um Gottes Willen die Finger von der Sprache lassen. Sie hat es ja auf katastrophale Weise getan im Zusammenhang mit dieser sogenannten Rechtschreibreform, die eine einzige Zerstörung der Ordnung der Rechtschreibung war, die wir einmal hatten. Kein Land der Welt würde sich trauen, per Regierung einzugreifen in die gewachsene Sprache. Schlimm ist auch, dass man die Absicht hatte, mit dieser Rechtschreibreform das Deutsche so zu versimpeln, dass es anscheinend nicht schwierig ist. Aber das ist der falsche Ansatz; man muss viel verlangen von den Kindern, wenn sie in den Kindergarten und in die Schule kommen, und die werden da schon mitkommen, wenn sie richtig angeleitet, gefordert und gefördert werden. Man darf die Latte nicht auf den Boden legen, man muss sie hoch hängen.
Das Interview führte Ramón Garcia-Ziemsen
Deutsche Welle 20.02.2009
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4043504,00.html
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