Sonder[ein]heits-Schreibung
Gerade las ich wieder in der Autobiographie des Komponisten Karl Ditters von Dittersdorf ( 1739-1799). Man erfährt viel über die Zeit und wie die Leute redeten, etwa was mit dem Kaiser über Mozart und andere Zeitgenossen besprochen wurde. Auch kleine Begebenheiten illustrieren den Zeitgeist, z.B. wie ein sprechender Papagei von der Inquisition inhaftiert wurde.
Mehr als ein Dutzend Mal wird das Wort „insonderheit“ gebraucht. Es gehört seit mindestens 500 Jahren zum gebildeten Wortschatz. Als früheste Beispiele habe ich gefunden:
Vom Brett- und Schachspil. Es ist bei den erleuchten und hohen Personen in Gothen und Schweden der Brauch, daß, wann sie ihre Töchter in ehrliche Ehe verheiraten wöllen, sie die Gemüter der jungen Gesellen, die umb sie werben, auff seltzame und wunderbarliche Art versuchen und erkundigen, insonderheyt aber in dem Brettspil oder Schachspil. Dann in disem Spil lasset sich gemeynlich Zorn, Lieb, Mutwil, Geitz, Faulkheyt, Zaghafftigkeyt und andere Untugende des Gemütes, deßgleichen auch das Glück, wie günstig oder ungünstig es dem Menschen sei, sehen. …
Olaus Magnus: Historia de gentibus septentrionalibus (1555)
Noch älter ist die Wahlkapitulation Karls V., die angeblich schon 1512 verfaßt wurde:
Aus der Wahlkapitulation Karls V. 1519, Juli 3.
§ 18. Wir sollen und wellen auch insonderheit, dieweil Teutsch Nation und das Heilig Römisch Reich zu Wasser und zu Lande zum höchsten vor damit beschwert, nu hinfüro keinen Zol von neuem geben, noch einigen alten erhöhen on besondern Rate, Wissen, Willen und Zuelassen der bemelten sechs Churfursten, wie vor und oft gemelt.
§ 20. Und insonderheit so sollen und wellen Wir auch, ob einicher Churfurst, Furst oder andere seiner Regalien, Freiheit, Privilegien, Recht und Gerechtigkeit halber, daz bei ime geschwecht, gesmelert, genomen, entzogen, bekommert oder betrubt worden, mit seinem Gegenteil und Widerwertigen zu geburlichen Rechten kommen oder furzuforderen understeen wolt oder auch anhengig gemacht hett, dasselb und al ander ordenliche swebende Rechtvertigung nit verhindern noch verbieten, sonder den freien, stracken Lauf lassen.
Die Reformafiosi und ihr politischer Arm halten jedoch seit 1996 ein Verbot des alten Wortes „insonderheit“ aufrecht. Es soll nur noch „in Sonderheit“ gedacht und geschrieben werden. Konfus! Warum dann nicht auch „ins Besondere“? Im ZEIT-Forum schrieb verharmlosend eine Diskutante (die vom Cornelsen-Verlag?), sie habe das Wort noch nie gebraucht. Ja, warum soll es dann noch reformiert und zwanghaft in allen Neuausgaben alter Texte sinn- und sprachentstellend gespalten werden? Die runderneuerte und jede Verantwortung abschiebende Kultusministerbande ist auf Tauchstation gegangen. Der ebenso nichtsnutzige Rechtschreibrat hält geheime Sitzungen ab und ist froh, wenn kein journalistisches Interesse mehr an seinen Reformgeisterbeschwörungen entsteht. Jämmerlich, dieser Kultusklüngel!
P.S.: Die Kapitulation aus Wikipedia enthielt zu viele offensichtliche Scanner-Lesefehler. Ich habe sie nach einer anderen Quelle ersetzt.
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