STÖREND füRs AU(g)e
Das Schöne an der geschriebenen Sprache ist, dass die Buchstaben sich in Wörtern auflösen, die Wörter in Sätzen und sich in diesem Prozess die Bedeutung einschleicht. Das funktioniert völlig reibungslos, solange der Lesefluss nicht ins Stocken gerät.
Schon länger wird das Gefüge von großen und kleinen Buchstaben torpediert. Erst haben die staatlich bestellten Rechtschreibreformer damit angefangen, die Orthografie in ein Schlachtfeld zu verwandeln, in dem Schüler, Lehrer und Erwachsene sich zurechtfinden müssen. Und nun, wo das Lexikon über den Eintrag Rechtschreibzweifel verfügen müsste, aber wenigstens wieder so etwas wie ein Burgfriede herrscht, werden am laufenden Band Eigennamen erfunden, die aus der Reihe tanzen. Die Kreativität soll gleich über das Schriftbild vermittelt werden.
Die in Günzburg ansässige „camerata vokale“ schreibt sich selbst konsequent klein, auch die Burgauer Rollladenfirma „roma“ sowie „erdgas schwaben“ tun es, was man wohlwollend ja noch als Bescheidenheit auslegen könnte bei der gebotenen musikalischen bzw. unternehmerischen Qualität.
Die konsequente Kleinschreibung erfreut sich überhaupt großer Beliebtheit. Sie wirkt progressiv, weil die Rechtschreibreform unerwarteterweise in die andere Richtung zielte.
Schlimm für das Auge wird es, wenn anstelle der Klein- die Großschreibung rückt. So schreibt sich LEGOLAND konsequent in Versalien, auch AL-KO KOBER und CANCOM tun das. DAS FÄLLT AUF! Wer seine Wichtigkeit unterstreichen will, integriert ein Ausrufezeichen in den Namen, wie das „energie- und umweltzentrum allgäu“, kurz „eza!“
Zu steigern sind die Versalien nur dadurch, dass Klammern ins Wort integriert werden: Zukunft(s)musik nennt sich die Reihe für Neue Musik. Und der Leser hat nun geistig zu turnen und die Bedeutungsebenen durchzuspielen. Selbstverständlich handelt es sich bei den Genannten nur um die lokale Basis des Eisberges. Man denke nur an die Sängerin P¡NK, das heute-journal oder den Energieriesen E der ständig ON ist (E.ON). Aber es ist und bleibt STÖREND füRs AU(g)e!
augsburger-allgemeine.de 21.8.2010
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