Subtiler Spott
Der Altphilologe Prof. Joachim Latacz spottet in der WELT über die Rechtschreibreform, aber so feinsinnig, daß es doch in der reformrückfälligen Springer-Presse gedruckt werden kann – die neben seinen Beitrag trampelige Schleichwerbung für den Duden setzt.
Warum Paulinchen keine Jogger anspringt
...
Wissen Sie eigentlich, seit wann die neue deutsche Rechtschreibung gilt? Nein? Macht nichts, Sie gehören zur schweigenden Mehrheit! So wie meine alte Freundin Pauline.
Paulinchen schreibt für Frauenzeitschriften. …
Natürlich muss Pauline da jederzeit auf dem laufenden¹) sein (nein, nicht: auf dem Laufenden! Mein Paulinchen springt doch keinen Jogger an!)….
Ich brüte gerade über einer tiefgründigen Abhandlung zum Siechtum des deutschen Genitivs für die Philologische Wochenschrift, da stürmt sie herein: “Sag mal, Joe, seit wann gilt eigentlich die neue deutsche Rechtschreibung?”
“Na, seit dem 1. August 2006” brumme ich.
[Genauer: seit 1996, 1998, 2000, 2004, 2005, 2006]
“Die ‘Amtliche Regelung’! Schon vergessen? Abgedruckt im ‘Wahrig’ und immerhin erwähnt, wenn auch verschämt als Link, im ‘Duden’, letzte Auflage 2011. So um die 50 Seiten lang. Als 'Gesetzestext' [!] und Vorlage für private Sprachratgeber, wie Duden, Wahrig und so manche andere, präsentiert von Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, ein echter Bayer ....”
Sie hat recht! Nein, nein, nicht: Recht!
“Also Joe, sagt Paulinchen, bevor du jetzt in flammender Begeisterung versinkst: Was steht da über ‘Adjektiv im Dativ nach Artikel, Pronomen oder Numerale ebenfalls im Dativ’ drin? Wie muss das richtig heißen? Ich lese nämlich gerade in der 'FAZ': ‘... in diesem großartigem Konzert ...’ und ‘Der Bundespräsident müsse aus dem parteipolitischem Streit herausgehalten werden.’ Stell dir vor, mit zwei m am Ende!”
Entsetzt spring’ ich auf. Tatsächlich, sie hat recht (nein, nein, nicht: ‘Recht’! Das Recht hat nur der Bundestag: der setzt Recht in deutschen Landen, nicht mein Paulinchen).
“Pauline, sag’ ich dumpf, “jetzt schafft sich Deutschland wirklich ab! Wenn das Sprachgefühl stirbt, bröckelt die Kultur. Dazu braucht man keinen Duden. Aber wenn du willst: Im alten Duden gab’s im Grammatik-Teil – tempi passati! – den Paragraphen R 273: ‘Die schwache Beugung [eines Adjektivs] tritt ein, wenn ein Geschlechts-, Für- oder Zahlwort vorangeht, das seinerseits schon starke Beugung aufweist: In dem (einem, meinem, unserem usw.) alten Haus.’ Zu schwierig? Nicht doch! Furchtbar einfach: Nie zwei m! Ach, Paulinchen .... …
welt.de 22.2.2012
¹) Durch die „Reform“ für falsch erklärt!
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