Frohe Weihnachten!
Weihnachtsmärchen
Vom Asteroiden B612 auf die Bühne
Um die vielen Ziele des kleinen Prinzen darzustellen, dreht Markus Kiefer die große Tafel, sie wird zu einem steinigen Planeten. Auf diesem „Asteroiden“ befindet sich dann jeweils Giampiero Piria und stellt die verschiedenen Personen, die der Kleine Prinz auf seiner Reise traf, dar: den König in seinem fiktiven Reich, den Gondoliere aus Venedig, der Bewunderung möchte, der Russe, der trinkt, um seine Alkoholsucht zu vergessen, den Mann, der als erster die Idee hatte, die Sterne zu besitzen, den Chinesen, der die Laternen an- und ausknipst und den Geografen, der dazu rät, die Erde zu besuchen. Und dort trifft der kleine Prinz dann auf den Mann, der in der Sahara mit dem Flugzeug abstürzte.
derwesten.de 18.12.2011
Vor einiger Zeit zeigte mir der Dichter Hans Flachs die Skizze zu einer weiteren Episode des „Kleinen Prinzen“. Wohl aus Bescheidenheit und Selbstzweifeln wollte er davon nichts selber veröffentlichen. Nun ich habe seine stillschweigende Zustimmung, es hier (leicht bearbeitet) zu tun:
Der kleine Prinz
Hans Flachs
Besuch beim Orthographen
Der kleine Prinz machte sich nun auf den Weg zur Erde. Dabei stieß er unerwartet auf einen Asteroiden, dessen Existenz jeder vergessen hatte. Als der Prinz neugierig landete, sprang ihm ein steinaltes Männlein mit Bart entgegen:
„Auf dich habe ich schon fast hundert Jahre gewartet!“
„Das habe ich ja gar nicht gewußt. Warum hast du dich nicht gemeldet?“
„ Das habe ich ja, oft mehrmals im Jahr, aber meine Lehren verhallten im Leeren“, sagte das Männlein. „Ich hatte schon den Glauben an den Sieg des Öfteren verloren. Du bist jetzt mein Reformfall“.
„Ja, aber wer bist du denn eigentlich?“
„Ich bin Orthograf“ anwortete das Männchen.
„Aus altem Adel, wie ich vermute“ fragte der Prinz.
„Nein, Orthograph bin ich zwar seit Langem, aber den Grafentitel werde ich mir in Deutschland zu Eigen machen. – Wie ich sehe, bist du ein Problemschreiber.“
„Ach nein! Ich habe eine königliche Privatausbildung genossen. Nur einmal war ich im Deutschunterricht ein Tolpatsch und habe das Wort mit zwei „l“ geschrieben.“
„Dann befehle ich dir, es immer mit zwei „l“ zu schreiben.“
„Aber ich weiß doch nun, wie man es richtig schreibt.“
„Papperlapapp, für alle Kommenden soll gleich richtig sein, was sie falsch machen. –
Vor allem musst du viel „ä“ schreiben: Gämsen sind behände.“
„Aber die haben doch keine Hände, auch nicht die Riesenschlangen – oder die Schafe!“
„Ach nein? Und wie nennt man welche, die Kinder haben? Belämmert! Ich habe eben immer Recht!
„Aber ich möchte gern weiter so schreiben, wie ich es gelernt habe!“
„Tut mir Leid, so geht dass wirklich nicht. Ich werde von nun an deinen Schreibgebrauch beo-bachten und die Regeln jedes Mal ändern, sodass elitäres Herrschaftswissen unmöglich wird.“
„Ich verstehe das nicht, vieles war doch seit langem vernünftig.“
„Es geht hier nicht um Vernunft, sondern darum, dass Wildwuchs in Rechtschreibung und Rosenbeeten vom Staat – und das bin in diesem Falle ich – rechtzeitig ausgerottet wird, damit wir keine englischen und französischen Verhältnisse bekommen.“
„Aber ich will nicht „Bordo“ statt „Bordeaux“ schreiben, das ist doch häßlich!“
„Das wollen wir fürs Erste auch nicht ändern. Als Erste sind die Deutschen dran, denn die schämen sich seit Langem ihrer Sprache. Denen werden wir sagen, dass das Esszett ein unlogischer Missstand ist.“
„Aber das habe ich beim Deutschlernen doch immer gerne geschrieben!“
„Die Deutschen auch, deswegen lassen wir ihnen auch noch ein paar, obwohl es das Schreiben in Wahrheit schwieriger macht. Wir erzählen ihnen aber, dass Kinder wie du dadurch leichter schreiben lernen – ‚Essess’ nach kurzem Vokal: ‚dass’, ‚Grass’ ‚Ass’…“
„Nein, das darf nicht wahr sein! Das ist doch kein ‚As’, das ist ein amerikanisches Schimpfwort! Sollen jetzt die Deutschen den berühmten Adolphe Pégoud, ‚l’as de l’aviation’, oder auch Antoine de Saint-Exupéry, als „Flieger-Ass“ schreiben müssen?“
„Halb so schlimm. Die Deutschen übernehmen auch bedenkenlos Wörter wie ‚After-Show’…“
Das Orthographen-Männlein redete sich in Rage. Schreckensbleich verließ der kleine Prinz den unwirtlichen Asteroiden und wandte sich der Erde zu. Doch was mußte er hier sehen? Während sich in England und Frankreich die meisten Schreibreformer nützlicheren Tätigkeiten zugewandt hatten, wimmelte es in Deutschland von Orthographen aller Art, die eifrig am Werk waren: Heerscharen von eitlen Schreibheilsverkündern, Wichtigtuern, Volksverdummern, Profiteuren, Geldschneidern, Reformglücksrittern, nicht zu vergessen die Seilschaften der Saufkumpane und Weichensteller – und vor allem die Provinzkönige. Die ganze deutsche Literatur wurde „angepasst“ und kon-vertiert, die Schüler indoktriniert. Aber das könnt ihr ja jeden Tag selbst sehen.
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