Heute wäre Robert Gernhardt 75 Jahre alt geworden
In der „jungen Welt“ erinnert Kai Köhler an den Schriftsteller, Zeichner und Maler (in der von ihm bevorzugten klassischen Rechtschreibung) unter dem Titel:
„Spöttischer Retter“
… Ab 1956 studierte Gernhardt Malerei in Stuttgart und Berlin, in Berlin auch Germanistik. Im Rückblick, nämlich im 1988 erschienenen Essay »Engel, Löwe, Lichtfleck«, stellte er die Studienzeit weniger als eine Phase angeleiteten Lernens dar denn als nützlichen Freiraum, andere Studierende kennenzulernen und mit ihnen gemeinsam Ideen zu entwickeln. Es ist dies ganz allgemein die Lernweise der begabten und interessierten Studierenden, die selbst denken und nicht darauf angewiesen sind, daß man ihnen sagt, was sie für eine Prüfung brauchen; die totreformierte Universität heute bietet das kaum mehr…
Er arbeitete als Texter, Zeichner und zeitweise als Redakteur bei der in Frankfurt am Main erscheinenden Satirezeitschrift pardon. Zusammen mit den Weggefährten F. W. Bernstein und F. K. Waechter gestaltete er insbesondere die Beilage »Welt im Spiegel«, die einen starken Anteil an Nonsense aufwies.
Man könnte »Nonsense« mit Unsinn übersetzen, träfe aber knapp daneben… Jedenfalls ist Nonsense der seltene Fall eines Anarchismus durch Konsequenz…
… die Satire kann sich gegen Idiotismen von rechts und von links wenden. Die Angehörigen der Neuen Frankfurter Schule sparten keine Seite aus, eine Tradition, die das Nachfolgeblatt von pardon, die Titanic, fortführt … Viele von Gernhardts Gedichten sind Stilparodien. Es sind Gedichte über Gedichte, und den ganzen Genuß hat nur, wer mindestens den Ton der Vorlage im Gedächtnis hat, besser noch: die Vorlagen selbst kennt…
»Sonntagmorgenandacht«: »›Bis hierher hat uns / Gott gebracht in / seiner großen / Güte‹ – vielleicht sollte / mal jemand dem Chor / im Haus-Sender stecken, / daß er vor Krankenhausinsassen singt.« Ernst grundiert ist dies freilich dadurch, daß am Ende eines sicher ist, der Tod. Das Schlußgedicht trägt den Titel: »Vorläufiges Fazit« und lautet: »Das Leben hat mir / die Instrumente gezeigt. / Ich habe genickt, / zum Zeichen, daß ich begriffen habe. / Seither sinne ich, / wie ich das Leben austricksen kann. / Beifällig nickt dazu Gevatter Tod.«
… Im späteren Essay »Der letzte Zeichner«, der seiner Sammlung von kunstkritischen Essays von 1999 den Titel gab, sah er den Verlust jeglicher Maßstäbe von Qualität und damit, daß, wie nach jeder Revolution, »die Borniertesten, die Robespierres und die Stalins«, das Feld beherrschten.
… wer gut parodieren will, muß genauer hinschauen als der Bewunderer. Der Begriff des Geschichtlichen als Fortschritt ist so freilich nicht zu haben.
jungewelt.de 6.12.2012
Robert Gernhardt wurde in Rechtschreibung.com bereits mehrfach erwähnt, u.a. hier: 1, 2, 3, und kritisch: 4.
Übrigens: Anfangs trat Gernhardt in „Pardon“ noch unter dem Pseudonym „Lützel Jeman“ auf.
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