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[SHEV] LESENSWERT! Da es auch Schulen betrifft: INTEGRATION Über eine in Vergessenheit geratene Selbstverständlichkeit ...
Integration: Vom Schwimmbad lernen
Von Oliver Zimski
Über eine in Vergessenheit geratene Selbstverständlichkeit
Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.
(Joseph von Eichendorff)
Diese wunderschönen Zeilen aus der Zeit der deutschen Romantik gehen einem in Tagen der „Flüchtlingskrise“, die tatsächlich eine Staatskrise ist, durch den Sinn, wenn man die Vertreter der politischen und medialen Eliten im (Blätter- und Sender-) Wald pfeifen hört, nach dem Motto: „Da so viele kommen, müssen wir jetzt aber wirklich Ernst machen mit der Integration!“ Schnell ein paar Hunderttausend Wohnungen, Jobs und Bildungsgutscheine hergezaubert, dann wird, dann MUSS es ja funktionieren! Immer wenn in Deutschland die aus Hybris und Selbstüberschätzung erzeugten Probleme ins Unermessliche wachsen, erscheint am Horizont eine Wunderwaffe – heute heißt sie „Integration“.
Mangels einer echten gesellschaftlichen Debatte über die Inhalte von Integration droht das schillernde Zauberwort in der Realität jedoch zur hohlen Floskel, zum unwirksamen Placebo zu werden. Auch über die Frage, wer sie eigentlich leisten soll, herrscht Unklarheit. Dabei fällt eine bemerkenswerte Verschiebung beim Sprachgebrauch des Wortes „integrieren“ ins Auge.
Erfolgreiche Integration läuft über „Sich-Integrieren“
Als ich mit sechs Jahren schwimmen lernte, warf mich eines Tages ein rabiater Bademeister, der die Geduld verlor, einfach ins tiefe Wasser. Während sich inzwischen das Verhalten der Bademeister erfreulicherweise geändert hat, ist der intransitive Charakter des Verbs „schwimmen“ gleich geblieben. Von der Gesellschaft erwartet man heute zwar, dass sie Schwimmbäder zu erschwinglichen Eintrittspreisen bereitstellt, aber keiner käme auf die Idee, von anderen zu verlangen, ihm das Schwimmen selbst abzunehmen. Die Aussage „Er kann (nicht) schwimmen“ ist gleichbedeutend mit: „Er hat es (nicht) gelernt“, setzt somit eine eigene Leistung (oder Nichtleistung) voraus.
Im Gegensatz dazu hat das Verb „integrieren“ im Migrationsdiskurs der letzten Jahre einen fundamentalen Wandel durchlaufen. Wurde es vorher noch überwiegend in seiner reflexiven Form gebraucht („sich integrieren“ = sich in ein übergeordnetes Ganzes einfügen), wird es heute immer mehr transitiv verwendet. Die Aussage „Er ist nicht integriert“ bedeutet nicht mehr wie früher, dass er SICH SELBST nicht integriert hat, sondern dass ANDERE es versäumt haben, ihn zu integrieren. Neulich lief im Inforadio ein zehnminütiges Gespräch zwischen einem smarten Moderator und einem Migrationsforscher, das in dem Seufzer des Moderators kulminierte: „Wenn man Menschen nicht oder falsch integriert, erzeugt man Frust.“An diesem Satz kann man zwei wichtige Einschränkungen deutlich machen, an die der neue Aspekt von „jemanden integrieren“ geknüpft wird.
1. Der aktive Part, dem die Aufgabe des „Integrierens“ zukommt, ist immer die gesamte „Gesellschaft“ im Sinne eines leicht vorwurfsvollen „wir alle“. Man wird niemals Sätze lesen wie: „Die Sozialverbände, die vom Steuerzahler dafür mit viel Geld ausgestattet wurden, haben es nicht vermocht, die Menschen zu integrieren“ oder „Der Moscheeverein, der eigentlich den Prinzipien des Grundgesetzes verpflichtet ist, hat die jungen Extremisten nicht richtig integriert“. Die Verantwortung für die Integration ist vom Individuum vollständig auf die Allgemeinheit übergegangen.
2. „Integrieren“ wird immer dann transitiv verwendet, wenn Integration noch bevorsteht – in Sätzen nach dem Muster: „Wir müssen die Migranten besser integrieren“ – oder wenn sie schon fehlgeschlagen ist: „Die Gesellschaft hat die Kids nicht ausreichend integriert, deshalb sind sie islamistische Terroristen geworden“, nicht jedoch im Kontext bereits erfolgter bzw. gelungener Integration. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Satz zu formulieren wie: „Die Einwanderer in den USA oder Kanada wurden von der Gesellschaft integriert“ – wahrscheinlich weil bis dato sonnenklar war, dass erfolgreiche Integration geradezu dadurch definiert ist, dass Migranten „sich integrieren“.
Falsche Politik, falsche Sprache
Gehen wir dem sich aufdrängenden Verdacht nach, der neue „irreale“ Gebrauch des Verbs „integrieren“ könnte ideologisch bedingt sein und mit den Integrationsproblemen bestimmter Migrantengruppen zusammenhängen. Wenn zutrifft – worauf viele seit Jahren hinweisen – dass ein signifikanter Anteil der Migranten aus muslimisch geprägten Ländern in Westeuropa (unabhängig von der gegenwärtigen Massenzuwanderung) auch noch in der 3. Generation
- die Werte der Gesellschaft, in die er eingewandert ist, nicht teilt oder sogar verachtet,
- aus kulturell-religiösen Motiven keinen Antrieb verspürt, reichlich und kostenlos vorhandene Bildungsangebote wahrzunehmen,
- Frauen nicht als gleichberechtigt respektiert,
- seine jungen Leute nicht für Partner aus der neuen Heimat „freigibt“, sondern mit extra aus dem Herkunftsland nachgeholten „Importbräuten/-bräutigamen“ verheiratet,
- verbreitet Ressentiments gegen „Ungläubige“, Juden oder Homosexuelle nährt sowie
- einen Opfermythos pflegt, der für eigene Defizite immer andere als Sündenböcke sucht,
dann fällt bei dieser Gruppe die notwendige Eigenbeteiligung und damit die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration schlicht weg. Wenn man ferner annimmt, dass die politischen und medialen Eliten die beschriebene Verweigerungshaltung nicht gern thematisieren, gleichzeitig aber zumindest theoretisch am Ziel der „Integration“ festhalten wollen, entsteht für sie ein unlösbares Dilemma.
Auf das Bild des Schwimmbades übertragen sähe das Dilemma folgendermaßen aus: Der besagte signifikante Anteil der Migranten steht mitsamt seiner einheimischen Fürsprecher am Beckenrand, schaut zu, wie alle anderen (die „Mehrheitsgesellschaft“) schwimmen und plantschen und fordert lautstark: „Wir wollen auch!“ Da die konfliktscheue Schwimmbadleitung sich nicht traut, den naheliegenden Ratschlag zu geben: „Dann kommt doch rein und lernt schwimmen!“, stehen am Ende alle um das Becken herum und palavern so lange über eine gerechte „Teilhabe“ an einzelnen Bereichen des Schwimmbades, dass darüber sogar die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „schwimmen“ verloren geht.
Aus Sicht der Verantwortlichen ist an dem Dilemma selbst nichts zu „biegen“, deshalb soll wenigstens die Sprache so verbogen werden, dass die Misere nicht für alle offensichtlich ist. Doch mit der falschen Verwendung des Wortes „integrieren“ geht auch das Wissen verloren, dass Staat und Gesellschaft zwar jede Menge Hilfen zur Integration anbieten können, die Integration selbst aber wie eh und je von den Migranten geleistet werden muss. In den jetzigen Zeiten der Massenzuwanderung wäre es dringend geboten, dieses Prinzip von Anfang an deutlich zu vertreten. Millionen Einwanderer haben es übrigens bereits geschafft, haben still und unauffällig ihre Eigenverantwortung wahrgenommen und ihre eigenen Kräfte aktiviert. „Wer schwimmen kann, der schwimme. Wer nicht, der gehe unter“, heißt es sinngemäß bei Friedrich Schiller. Und das ist keine Drohung, sondern die Beschreibung eines simplen Naturgesetzes.
Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor.
2015 erschien sein Kriminalroman „Wiosna – tödlicher Frühling“.
achgut.com 27.11.2015
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