Frank Schirrmacher
Es folgen hier weniger dokumentierte Auszüge aus den ersten Ankündigungen des damaligen Herausgebers der FAZ, Frank Schirrmacher, als noch Hoffnung bestand, daß zusammen mit dem Springer-Konzern, Spiegel und der Süddeutschen ein Ende der Rechtschreib„reform“ herbeigeführt werden könnte. Die Zusage der Süddeutschen blieb vage, Spiegels Stefan Aust hatte den Widerstand der linken Spiegel-Mitarbeiter KG unterschätzt und Mathias Döpfner wurde nach einem Jahr erfolgreicher Umstellung von Friede Springer zurückgepfiffen. Darauf gab 2007 auch die FAZ ihren Widerstand auf.Rechtschreibung : Die Rückkehr
Von Frank Schirrmacher
-Aktualisiert am 06.08.2004 17:27
Die Reform der Rechtschreibung ist gescheitert. Der Schritt von „Spiegel“ und Springer drückt aus, daß es beim besten Willen nicht mehr geht: Den Politikern sind die Grenzen ihrer Zuständigkeit gezeigt worden.
Ein Wort des großen Chesterton: Es heißt immer, man könne die Uhren nicht zurückdrehen. Aber wenn sie falsch gehen, kann man genau das machen: sie zurückdrehen. Und das geschieht nun mit der völlig aus dem Takt gekommenen sogenannten Rechtschreibreform.
Sie ist ein öffentliches Unglück. Sie hat eine verwirrte Sprach- und Schreibgemeinschaft hinterlassen, ein Land, in dem die Eltern anders schreiben als die Kinder, die Kinder anders als die Schriftsteller, deren Werke sie im Unterricht lesen, die Schriftsteller anders als die Zeitungen und Zeitschriften, in denen sie gedruckt werden, und von diesen jede anders als die nächste. Das Ziel einer Vereinheitlichung und Vereinfachung der deutschen Schriftsprache ist auf monströse Art verfehlt worden. Schon deshalb ist die Feststellung berechtigt: Die Reform der deutschen Rechtschreibung ist gescheitert.
Planwirtschaftliches Experiment
Sie war einst geplant, weil man einen Alleingang der DDR befürchtete. Als diese zerfiel, tagten die Ausschüsse und Gremien weiter, als hätte man vergessen, sie abzuberufen. Entstanden ist schließlich das letzte planwirtschaftliche Experiment auf deutschem Boden. Sprache, der lebendige Organismus, ist keine LPG und läßt sich nicht umbauen wie ein Einkaufszentrum.
Wir haben im Augenblick wichtigere Sorgen als die Rücknahme der Rechtschreibreform, verkündete unlängst der sächsische Ministerpräsident. Er vergaß freilich hinzuzufügen, daß wir mit der Rechtschreibung gut lebten, ehe sie in die Hände der Politiker fiel. Auch damals veränderte sie sich, und kein vernünftiger Mensch hat sich dem je entgegengestellt. Aber Evolution durch Gebrauch ist etwas anderes als Reform durch Verordnung. Daß die Politiker wichtigere Probleme zu lösen haben als die, die sie ohne Not in die Welt gesetzt haben, ist eine Lektion nicht nur für die Rechtschreibreform, sondern für Reformen überhaupt. [...]
Daß jetzt der Spiegel und der Axel Springer Verlag zur alten Rechtschreibung zurückkehren, ist mutig und angesichts des Einflusses der beiden Verlage folgenreich. Die Verlage handeln, wie auch diese Zeitung, aus Not, nicht aus ideologischem oder wirtschaftlichem Kalkül. Darin müßten sie von der Öffentlichkeit bitter ernst genommen werden: Ihr Schritt sagt nichts anderes, als daß es beim besten Willen nicht mehr geht. [...]
Die Süddeutsche Zeitung, die weiß, was Sprachkultur ist und keiner Belehrung durch die Kultusbürokratie bedarf, schrieb vor wenigen Wochen: Die Kultusminister spielen auf Zeit. Sie hoffen, daß entweder die Gewöhnung an den Unsinn oder die Verwirrung einen solchen Grad erreichen, daß niemand mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Auch die Süddeutsche Zeitung hat sich jetzt zur Rückkehr zur alten Rechtschreibung entschlossen.[...]
Die Reform war ein handwerkliches Desaster, und hier wird sie in der Tat zu einem Problem für die Politiker. Ratlos steht man vor der Erkenntnis, daß es in Deutschland offenbar unmöglich ist, etwas als falsch Erkanntes zu widerrufen.
Die Bundesregierung hat jüngst erklärt, sie bestehe auf der Reform, und brüskierte damit ihre eigene Kulturstaatsministerin. Der Grund dafür ist nicht bessere Einsicht oder die literarische Expertise des Kanzlers. Der Grund ist selbst ein sprachlicher. Man hat Angst, daß das Wort Reform gleichsam kontaminiert wird, daß die Rechtschreibreform, für die die derzeitige Regierung übrigens keine ursächliche Verantwortung trägt, nun zum Symbol von Reformunfähigkeit wird, zum Menetekel, das die Inkompetenz der politischen Klasse in giftiges Licht taucht...
Spiegel und der Axel Springer Verlag sind so sachlich wie der Technische Überwachungsverein: Was nicht funktioniert, dessen Zulassung wird widerrufen. Im Jahr 2004, das Historiker später einmal unter dem Stichwort der Reform mustern werden, ist die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform ein Symbol: Sie zeigt den Politikern die Grenzen ihrer Zuständigkeit...
faz.net 6.8.2004 (fett rs.com) … aber leider keine Grenzen ihres rechthaberischen Durchsetzungseifers und ihrer intrigantischen Fähigkeiten. Kultusministerin Annette Schavan, die hühnerhafte Reformmistkratzerin, kam 2004 auf die Idee eines „Rates für Rechtschreibung“, um mit dem Köder kosmetischer Korrekturen die abtrünnigen Zeitungsverlage wieder zu Kreuze kriechen zu lassen. Der bußfertige Ex-Kultusminister Hans Zehetmair übernahm die Leitung in der Hoffnung, hierbei einigen Schund dieses Denkmals auch seiner eigenen Unfähigkeit vertuschen zu können.
Die damalige KMK-Präsidentin und Volksentscheids-Annullierungs-Ministerin SH, Ute Erdsiek-Rave, nutzte jedoch ihre Stellung in der Hackordnung, um die Revision auf halbem Wege zu stoppen, vor allem die neue ss-Regelung, nach ihrer Vorgängerin Johanna Wanka 95 Prozent der „Reform“, beizubehalten. Sie war das scheinvernünftige Gleitmittel, um den Brechreiz gegen die anderen Neuerungen zu überlisten..
|