Sprachen wandeln sich immer – aber nie in Richtung Unfug
Josef Bayer, emeritierter Professor für allgemeine und germanistische Linguistik an der Universität Konstanz, hat in der Neuen Zürcher Zeitung einen längeren Artikel gegen die Genderei geschrieben. Drei kurze Auszüge daraus:
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Auf der Website der Uni Konstanz findet sich unter anderem der folgende Vorschlag: Anstatt das maskuline Partizip Präsens im Singular zu gebrauchen wie in «Jeder Studierende, der sich bis 1. 1. anmeldet, bekommt Rabatt», sollte man bitte ausweichen auf «Wer sich bis 1. 1. anmeldet, bekommt Rabatt». Dieser Schuss geht in die falsche Richtung.
Das Fragepronomen «wer» ist nämlich irreversibel maskulin Singular. Erschwerend kommt hinzu, dass man mit diesem Pronomen trotz seiner Form immer auch Frauen und Gruppen von Menschen mit erfasst. Das ist eine linguistische Tatsache, an der nichts und niemand vorbeikommt. «Wer hat im Bad seinen Lippenstift vergessen?» fragt mit hoher Wahrscheinlichkeit nach jemandem aus einer Gruppe von Frauen. «Wer hat im Bad ihren Lippenstift vergessen?» bedeutet etwas völlig anderes, nämlich dass der Lippenstift einer explizit anderen Person gehört als derjenigen, nach der gefragt wird.
Das Beispiel des Fragepronomens «wer» verweist schlaglichtartig auf ein gravierendes Missverständnis, das die gesamte Idee einer gendergerechten Sprache für das Deutsche durchzieht. [...]
«Student» und «Studenten» bedeuten keine Festlegung auf das natürliche Geschlecht und somit auf männliche Wesen. Diese Substantive sind «unmarkierte» Formen, die den Bezug auf weibliche Wesen, die studieren, automatisch mit einschliessen. Erst wenn man betonen will, dass man sich ausschliesslich auf die weibliche Spezies beziehen möchte, kommen «Studentin» und «Studentinnen» zum Einsatz. Es gibt demnach, folgt man der unbestrittenen linguistischen Argumentation von Roman Jakobson, keinen Grund, das gute alte Studentenwerk in ein Studierendenwerk umzutaufen...
Dass im Deutschen das Verb im Nebensatz am Satzende, aber im Hauptsatz an der zweiten Stelle steht, ist von niemandem «erfunden» worden. Das Pronominalsystem einer Sprache, in dem man drei Geschlechter unterscheidet, obwohl man nachweislich auch ohne Geschlechterunterscheidung gut auskommt, kann ebenfalls von niemandem erfunden worden sein. Wir können also sicher sein, dass unsere Sprache nicht menschengemacht, sondern ein Teil der Evolution ist und damit für Eingriffe von unserer Seite gar nicht zur Verfügung steht.[...]
Man weiss, dass Umbenennungen noch nie etwas an den wirklichen Sachverhalten bewirkt haben. Ein Altenheim, das in Seniorenstift umbenannt worden ist, bleibt für die Insassen weiterhin ein reichlich tristes Ambiente. Und da die gendergerechte Sprache nichts anderes ist als eine fehlmotivierte Umbenennung von bestimmten Bezeichnungen, wird sie ausser einer Menge stilistischer und ästhetischer Entgleisungen nichts Positives und schon gar nichts Fortschrittliches hervorbringen.
nzz.ch 10.4.2019
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