Kompetenz gegen die Sprachverstümmler
Der „Brauser“ Firefox, den ich seit langem benutze, verweist seit einiger Zeit auf seiner Eingangsseite (gesponsert?) regelmäßig auf vermeintlich lesenswerte Zeitungsartikel. Es fällt eine ausgesprochen einseitige Auswahl auf: die linksgrün-schmuddelige „taz“ wird besonders gern gefördert.
Jetzt wurde dort auch auf die ebenso eigentlich finanzschwache „netzpolitik.org“ hingewiesen, mit einem Artikel über „rechte“ Polizisten, die unbefugt Daten aus dem Polizeiregister weiterverbreiten. Es geht natürlich auch gegen die AfD, deren (sicher vollkommen verfassungsgemäßes) Parteiprogramm einer dieser Polizisten bei „Amazon“ mit fünf Sternen versehen haben soll – wofür die Partei aber nichts kann.
Der Artikel ist mit einem Dutzend Gender-Doppelpunkten versehen, so daß ein genervter Leser in einem Kommentar (hier „Ergänzung“ genannt) es wagte, mit einem schreiblich schon verdächtigen Satz Kritik zu üben: Peter sagt:
17. Dezember 2020 um 18:07 Uhr
Bitte laßt diese unlesbare Gendersprache, ein Grauen :(. Der Verfasser antwortete darauf hin: Ingo Dachwitz sagt:
17. Dezember 2020 um 21:36 Uhr
Es gibt hier wirklich zig Dinge, über die man sich aufregen kann und Du entscheidest dich, einen quängelnden Kommentar zu geschlechtergerechter Sprache zu hinterlassen? Interessante Prioritätensetzung.
Warum viele von uns „Gendersprache“ verwenden, haben wir hier erklärt:
https://netzpolitik.org/2020/warum-wir-geschlechtergerechte-sprache-verwenden/
Dieser Link führt auf einen ideologisch begründenden Artikel mit 118 „Ergänzungen“, von denen eine einzige durch besseres Fachwissen herausragt, so daß wir sie unseren Lesern nicht vorenthalten wollen (Rot/Fettauszeichnung durch mich): Kim2 sagt:
17. Januar 2020 um 11:41 Uhr
Als Magazin, das sich dem rationalen Diskurs verpflichtet fühlt, solltet ihr mE zumindest die tatsächlichen Argumente darstellen, die gendersensiblen Sprachregelungen von Linguisten, Autoren und sonstigen Sprechern der deutschen Sprache entgegengebracht werden, wenn ihr schon einen ausführlichen Text darüber schreibt. Das erscheint mir doch als unabdingbar für eine rationale statt ideologische Auseinandersetzung. Insbesondere ist es immer wieder erstaunlich, dass gerade eine Bewegung, die Sprache als Machtinstrument problematisiert und Begriffe hinterfragt, es kritiklos hinnimmt, die grammatischen Geschlechter (u.a.) der deutschen Sprache seien mit „männlich, weiblich, sachlich“ korrekt beschrieben, wenn es in der Linguistik seit Jahrzehnten bekannt ist, dass diese Begriffe eine menschengemachte, sachlich nicht korrekte Zuschreibung sind. Denn während das Femininum im Deutschen in der Tat eine Referenz auf das biologische Geschlecht darstellen kann , ist das traditionell „Maskulinum“ genannte grammatische Geschlecht kein Maskulinum, sondern das seit dem Indogermanischen existierende geschlechtslose Standardgenus , das jede Sprache benötigt, um Wortzuordnungsfehler zu verhindern.
Etwas anderes ist es zu fragen, ob das Standardgenus im heutigen Sprachgebrauch nicht die Wirkung hat, als biologisch männlich wahrgenommen zu werden (dazu sogleich). Aber zu rationaler Lauterkeit gehörte als Erstes einmal zu verstehen und korrekt darzustellen, dass das „generische Maskulinum“ grammatisch überhaupt kein Maskulinum ist und nur aus historischen (und heute auch aus ideologischen) Gründen noch so genannt wird. Gerade eine Bewegung, die Begriffen eine fast magische Macht über das Denken zuschreibt, muss es an dieser Stelle genau nehmen, will sie glaubwürdig sein. Das Standardgenus macht grammatisch gerade nicht unsichtbar, sondern im besten Wortsinne gleichgültig.
Der zweite Grundpfeiler geschlechtersensibler Sprache ist die Annahme, das Standardgenus werde jedenfalls im heutigen täglichen Gebrauch mit biologisch männlich assoziiert, und deshalb bedürfe es der Sprachintervention. Diese Behauptung ist spätestens in den letzten 30 Jahren derart oft in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, zunehmend mit Verweis auf Untersuchungen und Studien, wiederholt worden, dass sie für viele, offensichtlich auch die Redaktion von Netzpolitik, für wahr im naturwissenschaftlichen Sinn gilt (zu den Studien sogleich).
Trotzdem ist es seltsamerweise nach wie vor so, dass ich als Professor nach der Vorlesung zwar sagen kann, alle Studentinnen sollten bitte noch kurz dableiben, wenn ich nur Frauen adressieren will, jedoch alle sitzen bleiben, wenn ich sage, alle Studenten bleiben bitte noch kurz hier. Will ich explizit Männer ansprechen, muss ich diese Information hinzufügen , sie ist sprachlich offensichtlich nicht bereits enthalten. Genau aus diesem Grund gebrauchen Länder an Spitzenplätzen der Gender Equality Indezes (Island, skandinavische Länder) das Standardgenus für Berufsbezeichnungen etc, und streiten sich nur über Pronomen: es ist bereits geschlechtsneutral und – genau so wie sämtliche gendergerechten Umschreibungen – nur eine Frage der Übung.
Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zur wissenschaftlichen Redlichkeit der Art, wie existierende Untersuchungen zum Thema gedeutet werden. Ich gebe zu das sprengt den Rahmen, und ist hochkontrovers. Gerade deshalb aber erscheint es mir umso essentieller, dass zB Netzpolitik, die für sich einen rationalen Standpunkt reklamieren, nicht einfach blind Webseiten im Netz vertrauen, die (wie zb genderleicht.de) mit freundlicher und reichlicher Unterstützung des BMFSJ betrieben werden, so wenig, wie sie einer Webseite blind vertrauen würden, die mit freundlicher Unterstützung des BMI über die Vorzüge des Staatstrojaners aufklärt.
Damit meine ich nicht, dass deren Darstellungen sogleich in Bausch und Bogen abzuqualifizieren seien. Sondern, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit wenigstens ein paar der genannten Untersuchungen zumindest der internen Meinungsbildung in der Redaktion sicher nicht schaden kann. Der Linguist Daniel Scholten hat das z.B. auf seinem Blog Belleslettres getan, mit aus wissenschaftlicher Sicht überraschenden Ergebnissen.
Wer es bis hierher geschafft hat, bekommt einen Keks. Nota bene: ich bin sehr für gesellschaftliche Inklusivität. Ich denke allerdings, ein Ansatz, der weder theoretisch noch empirisch haltbar ist und nur durch starke institutionelle und ideologische Verankerung voran getrieben wird, wird am Ende das Gegenteil dessen erreichen, für das er angetreten ist. Wie man leicht sehen kann, wenn man will, ist die seit dem 4. UN-Weltfrauenkongreß in Peking 1995 verschärft losgetretene Genderei nichts anderes als eine gigantische Wichtigtuerei von Ideologen, die an die Substanz vieler Sprachen geht – wovon „zufälligerweise“ das Chinesische mit seiner geschlechtsneutralen Tradition verschont bleibt.
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