Ein Kritiker der Rechtschreibreform ohne sprachkritische Absichten
Theodor Ickler schreibt: Es (das Buch, MR) hat keinerlei sprachkritische Absichten. ... Im zweiten Teil wird allerdings auch eine Bestandsaufnahme deutscher Imponiersprache (Pseudofachsprache) gegeben, aber nur beiläufig. Ich verwahre mich entschieden dagegen, daß mein Buch die schleichende Verhunzung der deutschen Sprache darstelle.
Ich meine, Theodor Ickler stellt sein Licht mit wissenschaftlichem Understatement ein wenig unter den Scheffel. Es handelt sich keineswegs um eine wertfreie nur beiläufige Bestandsaufnahme deutscher Imponiersprache. Es werden außer der Imponiersprache (S. 338 ff.), insbesondere der englischen Sprache (S. 341), auch verschiedene andere Sprachbereiche nicht nur dargestellt, sondern auch kritisch kommentiert, z.B.:
1. Zum Problem der schwerverständlichen Fachsprache (Fachchinesisch)
Ickler schreibt u.a., auf dem Gebiet des Rechts und der Politik werde eine Sprache verwandt, die nur Experten voll verständlich sei. Wie ist das mit der demokratischen Beteiligung aller zu vereinbaren? (S. 327) Diese Kritik Icklers entspricht der Kritik Norbert Blüms. Als verständnishemmende Faktoren nennt Ickler
- Fremdwörter
- Komplexen Satzbau
- Verschleierung der Textgliederung (S. 334 ff.)
2. Zur Imponiersprache
Besonders die deutsche Sprachwissenschaft hat auf diesem Wege der Nicht- und Halbübersetzung eine Fülle von unnötigen Fremdwörtern geschaffen, so daß sprachwissenschaftliche Abhandlungen seit einigen Jahren oft in einem sonderbaren Kauderwelsch verfaßt sind, ... (S. 341 f.
3. Zur feministischen Sprachregelung
Das linguistische Problem der sexistischen Sprache entsteht erst dadurch, daß es thematisiert wird, ... (S. 372)
Zur feministischen Sprachregelung: obwohl man die feministische Thesen für Unsinn halte, beuge man sich dem moralischen Druck und stimme feministischen Formulierungen in geradezu freudig vorauseilendem Gehorsam zu, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Der Wissenschaftsbetrieb werde eine Disziplinierung unterworfen, die man in den USA political correctness nenne. (S. 374 f.) Man kann also nicht verkennen, daß der Buchtitel noch eine weitere Bedeutung hat.
4. Zur Rechtschreibreform
Die 1996 in die Wege geleitete Rechtschreibreform fördert das Banausentum insofern, als sie uns zutraut, hochgelehrte Fremdwörter wie Hemistichion zu benutzen, ohne zu wissen, wie sie aufgebaut sind, weshalb wir sie nach Metzgerart sollen trennen dürfen: Hemis-tichion. (S. 348, Fn 169)
Gerade solche nur beiläufige Sprachkritik ist die Würze in Icklers Buch.
Doch im Sachverzeichnis stehen zwar Fachchinesisch, Imponiersprache und Sprachverfall, aber andere wertende Ausdrücke, die im Text enthalten sind, wie z.B. babylonische Sprachverwirrung, Banausentum, schlampige Grammatik, Kauderwelsch, political correctness, Rechtschreibreform oder wissenschaftliche Scharlatanerie sind nicht aufgeführt.
Es ist wohl eine Frage der Definition, ob man einen Unterschied zwischen schwerverständlicher Fachsprache, Kauderwelsch und Sprachverhunzung erkennen kann. Nichtsdestoweniger stellt Theodor Icklers Buch: Die Disziplinierung der Sprache. Fachsprachen in unserer Zeit nicht die schleichende Verhunzung der deutschen Sprache insgesamt dar, sondern die Verhunzung durch Fachsprachen, was der Titel auch ein wenig andeutet.
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