Opfer der Rechtschreibreform: Hilde Barth, Folge 2
Anlage zum Brief von Frau Hilde Barth, Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform Baden-Württemberg, an die FAZ vom 7. August 2000:
Kultusbehörde in Baden-Württemberg lobt sehr harmonische Umsetzung der RSR und verschweigt obrigkeitsstaatliche Disziplinierungsmaßnahmen gegen Tausende von Lehrern
Die Schulleiterin bestellte sich zwei mir unbekannte Eltern, diktierte ihnen die für das Staatliche Schulamt nötigen Elternklagen als üble Verleumdungen, da es bisher keinerlei Beanstandung meiner Arbeit gegeben hatte. Ein durch die Rektorin vorsätzlich gefälschtes Protokoll einer Lehrerkonferenz (Straftatbestand, der nicht verjährt) mußte Dienstvergehen vortäuschen, um ein Disziplinarverfahren durch das Oberschulamt zu erwirken. Vorladungen durch den vorgesetzten Schulrat zum Dienstgespräch ohne Angabe von Gründen sollten mich einschüchtern. Mir war klar, daß ich Rechenschaft über meinen Entschluß gegen den kultusministeriellen Erlaß würde ablegen müssen. Davor fürchtete ich mich nicht. Sicherheitshalber nahm ich einen Personalrat mit zum Dienstgespräch. Ich durfte keinerlei Stellungnahme zur RSR abgeben! Der Schulrat erteilte mir zwei widerrechtliche Weisungen:
=> Weisung 1: Sofortige Beendigung meiner öffentlichen Aufklärungsarbeit als Lehrerinitiative. Ansonsten hätte ich mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen.
=> Weisung 2: Umgehend sollte ich die RSR in vollem Umfang in meinem vierten Schuljahr einführen. Ansonsten sei die Weiterverwendung als Lehrerin im folgenden Schuljahr fraglich. Berufsverbot?
Von meinem empörten Nein dem Schulrat gegenüber nahm ich per Telefax Abstand, damit meine Schüler im folgenden Schuljahr keine Nachteile haben sollten. Hintergedanke: Während der letzten sechs Schulwochen gab es täglich eine Rechtschreibstunde. Jeder Schüler erhielt Die Wörterliste von Stephanus Peil. So genügte ich der total überzogenen unrechtmäßigen Weisung und konnte wenigstens mindestens 28 Schüler samt ihren Eltern mit den Mängeln der RSR bekanntmachen.
Ich übergab die Angelegenheit einem Rechtsanwalt. Mit dem Rückhalt bei meiner Elternschaft (Protestbriefe an das Schulamt gegen die von der Schulleiterin im Ort in Umlauf gesetzten ehrabschneidenden Gerüchte) und bei allen vorhergehenden Elterngenerationen meiner Schüler konnte ich mit meinen 57 Jahren, zu 90 Prozent schwerbehindert, mit meinem guten Anwalt und glücklich verheiratet wagen, nicht vor der Kultusbürokratie einzuknicken. Was konnte mir schon Schlimmes passieren außer einer von mir selbst gegebenenfalls gewünschten vorzeitigen Zurruhesetzung aus gesundheitlichen Gründen?
Auf dem Boden von Grundgesetz und Landesverfassung wollte ich als Bürger eines demokratischen Landes zusammen mit all den anderen Initiativen in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz und sogar in Frankreich gegen die RSR weiterkämpfen. Die Aufklärungsarbeit meiner Initiative in vielen Zeitungen fand viel positives Echo enttäuschter Bürger aus allen Landesteilen. Mehrere Initiativen strebten, allerdings erfolglos, einen Volksentscheid an. Bei einer Unterschriftenaktion in Freiburg war ein Junglehrer aus Heilbronn. Er war sehr deprimiert: Er war vom Schulleiter durch karrierebedrohliche Maßnahmen unter Druck gesetzt worden, als er sich weigerte, die irrsinnige RSR einzuführen.
Trotz mehrerer Mahnungen erhielt ich von der Schulleiterin die absichtlich extrem verspätete Zuteilung meines Lehrauftrages für das neue Schuljahr mit nie dagewesenen Schikanen im Stundenplan, Ablehnung des von mir gewünschten Lehrauftrags und das alles gegen den Fürsorge-Erlaß des Schwerbehindertengesetzes. Meine sofortige Dienstunfähigkeit war die Folge. Dies und die vorangegangenen Gemeinheiten hatten meinen Gesundheitszustand wider Erwarten dermaßen verschlechtert, daß ich mich trotz guten Willens und besten Anwalts nicht mehr in der Lage sah, einen Prozeß gegen die Schulverwaltung oder gegen die Verleumdungskampagnen zu führen. Mein Anwalt riet mir aus diesem Grund von einer Strafverfolgung ab, und ich mußte mich von meinem Arzt zum Leidwesen der mich erwartenden Schüler und Eltern dienstunfähig schreiben lassen.
Aufgrund einer weiteren Diffamierungskampagne von Seiten der Schulleiterin wagte ich gegen den Rat meines Anwalts solch ein Schritt widerstrebte mir auch zutieftst, aber ich sah keinen anderen Ausweg mehr, die öffentliche Aufklärung der Eninger Elternschaft im Heimatboten*.
Unsere christdemokratische Kultusministerin verbreitete Unwahrheiten über Funk und Fernsehen zu jeder sich bietenden Gelegenheit, daß die Lehrerin in Reutlingen Einsicht gezeigt habe, und es im ganzen Land keinen Widerstand gegen die RSR gäbe. Ich erhielt viele empörte Anrufe aus dem ganzen Land, jedoch am selben Tag vom selben Propaganda-Sender zwei Mal die Gelegenheit zum Widerspruch. Das ging durch die Presse, die einen großen Teil unseres Landes abdeckt. Mein Widerstand fand Erwähnung in DIE WELT und im SPIEGEL. Ohne Erfolg!
Eines Samstagabends um dreiviertel acht Uhr erhielt ich einen überraschenden Anruf des o. a. Personalrats: Er informierte mich über die schlimme Neuigkeit, daß kürzlich das Oberschulamt ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet habe. Ja und? Was sollte der Anruf zu so ungewöhnlicher Zeit? Er wollte mir helfen, indem er mir einen deal mit dem Oberschulamt anbot: Ich sollte meine vorzeitige Zurruhesetzung beantragen, und das Diszi ist vom Tisch. Daß ich nach Rücksprache mit meinem Schwerbehindertenvertreter aus anderen Gründen genau an diesem Samstag per Fax einen solchen Antrag an das Oberschulamt geschickt hatte, sagte ich dem Personalrat nicht.
Eigentlich wollte ich noch zwei Jahre Dienst tun. Die durch Mobbing erzwungene vorzeitige Zurruhesetzung brachte mir finanzielle Einbußen: zwei Jahre entgangenes volles Gehalt und Verminderung meiner Rente auf Lebenszeit. Wer geht schon so ein Risiko ein?
Interessante Unterschriftenaktionen aus dem schulischen Bereich:
=> DasKollegium eines Ulmer Gymnasiums hat geschlossen gegen die Reform unterschrieben.
=> Innerhalb von nur drei Tagen hatte in Reutlingen die Initiative Wir Schüler gegen die Rechtschreibform 500 Unterschriften von Schülern aller Schularten (Sonderschulen inbegriffen) gesammelt. Über 50 Schüler der Hauptschule in Eningen, darunter sehr viele Türken, hatten gegen das Verbot ihrer Lehrer! (so werden Demokraten erzogen) heimlich ihre Unterschrift geleistet. Auf dieselbe Art habe ich zahlreiche Unterschriften von Lehrern aus dem ganzen Land erhalten, die jedoch aus Angst vor einem Karriereknick keinen offenen Widerstand wagen.
Lehrerdisziplinierung in Rheinland-Pfalz und Bayern:
Mein Kollege Stephanus Peil ist in ganz Deutschland bekanntgeworden durch die verdienstvolle Gegenüberstellung des alten mit dem neuen Duden in Die Wörterliste. Dadurch hat man schnell und deutlich einen Überblick über die sprachwissenschaftlich mißlungene sog. Rechtschreibreform. Als er sich weigerte, die Berichte in den Zeugnissen seiner Schüler in neuer Orthographie zu verfassen, wurde er von der Schulbehörde unter Druck gesetzt. Er konnte dem nervlich nicht lange standhalten, wurde krank und mußte sich mit 52 Jahren als Familienvater mit zwei Kindern vorzeitig pensionieren lassen. Seine Frau ist nicht berufstätig und hat daher kein Einkommen.
Der Leiter der Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform in Bayern wurde von seinen Vorgesetzten in Aschaffenburg mit disziplinärer Verfolgung bedroht. Es wurde ihm nahegelegt, den Schuldienst zu verlassen, falls er die RSR nicht beachten wolle. Aber natürlich ohne Bezüge. Dieser Kollege ist noch jünger als Herr Peil. Seine Zuckerkrankheit verschlechterte sich erheblich. Er nahm die Hilfe eines Anwalts in Anspruch und blieb im Dienst. Zum diesjährigen Schuljahrsende hatte er dem Schulleiter wie immer die Abschlußzeugnisse seiner Hauptschüler zur Unterschrift vorzulegen. Da zerriß dieser ein Zeugnis, weil lnter-esse neu lnte-resse zu trennen sei. Nach dem neuen Schülerduden sind jedoch im Gegensatz zum reformierten Duden 21. Auflage 9 und zum Praxisduden beide Trennungen wahlweise möglich.
Der Kollege hat den Mut und die Kraft, den Behörden zu widerstehen, kam aber nicht umhin, gewisse Kompromisse einzugehen aus Rücksicht auf seine Familie.
So wurden die neuen Regeln an den Schulen ohne Probleme sehr harmonisch umgesetzt! Das Schweigen der Lehrer im Lande erscheint jetzt wohl in einem anderen Licht.
* Siehe nächste Folge.
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