Joachim Kaisers neue Kleider
Professor Dr. Joachim Kaiser ist leitender Redakteur und Mitherausgeber der Süddeutschen Zeitung. Er gehört zu den Erstunterzeichnern der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform vom 04.-09.10.1996. Desto verwunderlicher ist es, daß auch er sich gleichschalten ließ. Wenn er öffentlich Widerstand geleistet hätte, hätte dies eine Signalwirkung für die anderen Herausgeber und Redakteure gehabt. Denn auch in der SZ rumorte es.
Daß Joachim Kaiser die seltsamen Schreibweisen Schmutz-Wirbel, Scheidungs-Affären, Skandal-Blätter und Kultur-Industrie beruflich verwendet, bezweifle auch ich.
Ich nehme vielmehr an, daß Joachim Kaiser und die meisten Journalisten in der herkömmlichen Rechtschreibung schreiben, weil sie genau wissen, daß der Neuschrieb so mangelhaft ist, daß bei jedem Versuch, eine fehlerhafte, lächerliche Beliebigkeitsschreibung entsteht. Folglich könnte die Süddeutsche Zeitung aus dem Profi-Konverter 2.0 des Duden auf der Basis der Empfehlungen der Nachrichtenagenturen eine hauseigene individuelle Orthographie für ihr Konvertierungsprogramm entwickelt haben, das die herkömmliche Duden-Schreibweise nach der 20. Auflage, 1991, in die neue Rechtschreibung des Duden, 22. Auflage, 2000, umwandelt. Demzufolge werden aber auch die meisten Mängel des Neuschriebs erhalten bleiben.
Es könnte durchaus sein, daß die Macher des SZ-Konvertierungsprogramms in einer Art passivem Widerstand neben der häßlichen ss-Schreibung Kurzschlusssicherung, Messsystem, Schlussstrich auch so auffällige Schreibweisen wie Kultur-Industrie und vielleicht sogar Einfluss-Sphäre, Kongress-Stadt als ihre besonders hervorstechende Unterwerfung unter den Neuschrieb und als ihren individuellen stillen Protest kultivieren. Man fühlt sich an das Märchen von Hans-Christian Andersen Des Kaisers neue Kleider erinnert, in dem die Hofschranzen die neuen Kleider des nackten Kaisers lauthals bewunderten.
Die Zeiten haben sich aber geändert; denn heute geniert man sich nicht, die neuen häßlichen Kleider eines Joachim Kaiser zu kritisieren, die er sich hat aufzwingen lassen und die ihn genauso lächerlich machen wie früher die Herausgeber der FAZ.
– geändert durch Manfred Riebe am 27.08.2001, 23:33 –
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