Man spricht Deutsch - aber wie?
Man spricht Deutsch aber wie? Sendung vom 29.07.2001
[Wiederholung in ORB am 30.7.2001 um 23.45]
Hintergrund
„SABINE CHRISTIANSEN“ ist Deutschlands erfolgreichste Politik-Sendung und heißt natürlich „Talk Show“. Wir benutzen kein tragbares Telefon, sondern ein „Handy“ und bei der Bahn nicht den Nachtzug, sondern den „City-Night-Express“. Deutsch hat sich zu „Denglisch“ entwickelt; viele Menschen fühlen sich, jenseits aller Deutschtümelei, nicht mehr heimisch in der eigenen Sprache. Und die Rechtschreibreform hat zu einem orthographischen „Chaos-Club“ geführt. Jeder schreibt, wie er will, alles ist möglich, fast alles erlaubt: vom flotten Werbespruch bis zur Politikerfloskel, vom Beamtendeutsch bis zur „Insider-Sprache“ der „New Economy“! Werden wir vom „Volk der Dichter und Denker“ zum „Volk der Analphabeten“? Oder ist das die normale Fortentwicklung einer lebendigen Sprache? Sollte die Politik diesen Prozeß durch Gesetze kanalisieren? Oder brauchen wir im Zeitalter von Computern und des „Simsens“ auf Handys gar kein Regelwerk mehr?
Die Gäste waren:
· Annette Schavan
· Walter Jens
· Klaus von Dohnanyi
· Wolfgang Niedecken
· Florian Langenscheidt
· Feridun Zaimoglu
· Gerd Schrammen
Infos: Zuschauerzahl: 4,02 Millionen Marktanteil: : 18,6 Prozent
mehr zum Thema: http://vds-ev.de/index.shtml
Annette Schavan [Vorsitzende Kultusministerkonferenz, CDU]
„Wenn ich in Schulen bin und mit Schülern rede, dann haben die ihre eigene Sprache entwickelt, wie das schon immer war, die Jugendsprache, die auch vorüber geht. Es gibt Begriffe, die haben fast schon eine Tradition entwickelt. Mit dem Wort ‚chatten‘ habe ich auch kein Problem. Aber natürlich wirkt vieles wie eine gequälte Modernität. Ich glaube, da ist so manche Lieblosigkeit im Umgang mit der eigenen Sprache im Spiel. Das wirft man ja auch uns Politikern häufig vor.
Das Problem für die fremdstämmigen Kinder und Jugendlichen ist, daß zwar in der Schule deutsch gesprochen wird, aber dann kommen sie wieder in eine Situation, in ein Milieu, in dem ganz wenig deutsch gesprochen wird. Ich glaube, daß sich aufgrund der Rechtschreibreform nicht der Umgang mit Sprache geändert hat. Es gibt mit Blick auf Kinder und Jugendliche viel gravierendere Geschichten. Daß zum Beispiel in einer bundesweiten Umfrage 42 Prozent aller Drittkläßler sagen, daß ihnen zuhause noch nie vorgelesen worden ist. Oder daß jedes vierte Kind am Schulanfang unter einer verzögerten Sprachentwicklung leidet, weil mit diesem Kind nicht gesprochen wird.“
Walter Jens [Schriftsteller, Rhetorik-Professor]
„Ich sage nicht ‚chatten‘ ich unterhalte mich mit Hilfe des Internets. Ich habe es aber noch nicht gemacht, denn ich möchte mein Gegenüber sehen, die Gestik, die Mimik.
Deutsch ist eine unglaublich schöne Sprache. Gutes Deutsch ist aber keine Auszeichnung mehr. Die deutsche Sprache war massierter, biegsamer, verweisender. Aber sie hat viele Krisen gehabt und die hat sie alle gut überstanden. Im 17. Jahrhundert sprach die Intelligenz französisch, und wir wissen ja gar nicht, wie viele französische Lehnwörter und Übersetzungen wir haben. „Tagesordnung“ aus dem französischen „Ordre de jour“, Möbel ist französisch, Kuppel ist italienisch. Das hat die Sprache alles ganz gut überstanden. Wir sollten uns nicht so aufregen, wir sollten nur nicht alle Torheiten mitmachen. Ich bin auch dafür, daß wir sehr viele Fremdwörter in der Sprache haben, vor allem auch solche aus dem antiken Bereich. Es ist nur der Jammer, daß wir sie alle falsch aussprechen. Ich ärgere mich über die falsche Aussprache von Fremdwörtern ebenso sehr wie über eine gewisse Überfremdung.
Die Rechtschreibreform muß man zunächst mit großer Gelassenheit ansehen. Es gibt Vernünftiges und Unvernünftiges. Das kann man langsam austarieren. Es wird sich einspielen. Ich bestehe darauf, daß meine Bücher in der alten Rechtschreibung gedruckt werden, ja selbstverständlich!“
...
[Die Schreibregelreform war] zu dirigistisch, zu zentralistisch und zu wenig kreativ!
Klaus von Dohnanyi [ehem. Bundesbildungsminister, SPD]
„‚Chatten‘ setzt voraus, daß man etwas im Internet macht. Dafür gibt es keinen deutschen Ausdruck. Dagegen habe ich nichts. Bei solchen Begriffen finde ich es in Ordnung. Aber man muß nicht Body-Gel sagen. Dafür könnte man ein anderes Wort nehmen. Es kommt ein bißchen darauf an, in welchem Bereich englische Wörter verwendet werden. Wenn die Deutsche Bahn so etwas macht, finde ich das völlig überflüssig, unnötig und falsch. Es ist doch albern, ‚meeting point‘ zu sagen. Wenn sie aber im Bereich der elektronischen Kommunikation sind, wo die Sprache sich so gebildet hat, finde ich das ebenso sinnlos [einen deutschen Begriff zu verwenden] wie die Übersetzung von Portemonnaie durch Geldbörse. Das sind Dinge, die haben sich so entwickelt.
Man muß wirklich sehen, daß man die Schönheit der Sprache begreift. Deswegen war ich auch so hart gegen die Rechtschreibreform, weil Sprache auch Bild ist. Und man kann das Bild eines Wortes völlig versauen, wie es zum Teil geschehen ist.
Es kann ja die SMS-Sprache geben, das ist völlig in Ordnung. Aber es geht doch darum, was die junge Generation mit der übrigen Sprache macht. Aber was die Schulen tun, indem sie einen komplizierten Grammatikunterricht geben, und indem sie die Deutsch-Bücher so machen, daß man eigentlich kaum Spaß haben kann an deutscher Sprache. Und was so wichtig ist, die Sprache zu lieben, schöne Gedichte, schöne Sprachformulierungen, witzige Formulierungen, das ist nicht Gegenstand der Schule. Die Schule ist äußerst trocken im Deutsch[unterricht]. Wollen die Kinder noch gerne Deutschunterricht haben? Ich meine – so wie der Unterricht meist gemacht wird –- kaum, weil sie nicht mit der Wärme, der Vielfalt, den Phantasie-Möglichkeiten der Sprache konfrontiert werden, sondern viel zu sehr mit technischem.
Ich habe zwei Gründe gegen die Rechtschreibreform. Erstens finde ich, Herr Langenscheidt, daß diese Fragen nicht mehr in die Hände der privaten Wirtschaft gehören. Das muß wirklich zuende sein. Wir haben eine Akademie für Sprache und Dichtung, und wir sollten versuchen, dieser Akademie die Zuständigkeit zu geben. Der Duden war wichtig, ... er hat aber auch schreckliche Zwänge ausgeübt. ... Eine solche Reform kann nicht gemacht werden durch private Verlage. ... Das muß in die Hand der Akademie der Sprache –- und die war ja dagegen. Und alle bedeutenden deutschen Schriftsteller Deutschlands waren dagegen. Und ich finde, was da zum Teil gemacht worden ist, schrecklich. Ich fand, das war eine Vergewaltigung einer gewachsenen Sprache, auch eine Vergewaltigung von Sprachbildern. ...
Ich glaube, daß wir mit der Rechtschreibreform auf Jahre hin die Kinder von der deutschen Sprache weggetrieben haben, weil sie sich plötzlich mit lauter Mist beschäftigen mußten, der überflüssig war. Wir haben eine Situation, in der Deutschland ohnehin Probleme mit seiner Geschichte hat, in der wir in der Sprache eigentlich die letzte Behausung unseres Landes haben, da haben sie die Leute aus der Sprache rausgetrieben durch diese Reform.“
Wolfgang Niedecken [Gründer und Leadsänger „BAP“]
„Internet ist ein Begriff. Und daß man dann das Wort ‚chatten‘ tatsächlich benutzt, weil es mitgeliefert worden ist, dann ist das organisch in diesem Zusammenhang gekommen. Aber ich würde es wahrscheinlich nicht benutzen. Ich würde wahrscheinlich sagen: ‚erzählen‘.
Ich bin kölsch aufgewachsen und mußte meine erste Fremdsprache lernen, als ich eingeschult worden bin. Ich kam aus einer relativ proletarischen Familie, im ganzen Umfeld wurde eben Kölsch gesprochen. Ich habe dann eigentlich erst in der Schule festgestellt, es gibt auch noch eine Konventionssprache, mit der man sich im ganzen Land unterhalten konnte.
Nach unserem überregionalen Durchbruch 1981 haben wir viele Angebote bekommen, das doch wenigstens hochdeutsch zu machen, wenn schon nicht englisch. Aber wir haben es weiter in der Sprache gemacht, in der ich auch träume.
Ich kann nicht sagen, daß ich jemals durch die deutsche Sprache dazu gekommen bin, mich mit Poesie auseinander zu setzen. Das ging bei mir über den Umweg Bob Dylan, Rolling Stones und plötzlich war ein Interesse da, mich mit Poesie zu beschäftigen. Mich haben auf einmal Leute interessiert, die ich vorher nie wahrgenommen habe. In der Schule hat man mir nicht beibringen können, mich für so etwas zu interessieren. Wir mußten Gedichte auswendig lernen, das war dann der Deutsch-Unterricht. Damit treibt man Kindern das Interesse an der Sprache aus.“
Florian Langenscheidt [Vorstand Duden, Polyglott, Brockhaus]
„‚Chatten‘ steht mittlerweile auch im Duden, da es ein praktisches Wort ist. Ich finde gut, daß man endlich mal über das Thema Sprache redet.
Ich glaube, wir leben insgesamt gut in einer Welt, in der es keine Zölle mehr gibt, sondern einen freien Fluß von Dienstleistungen und Waren. So ist es auch mit Wörtern. Wenn die englischen Wörter sich durchsetzen, kommt das nicht von ungefähr, und dann müssen wir eben kreativer sein mit eigenen Wörtern dann setzen sich die schon durch. Frankreich macht seit Jahren eine Mauer um das Land und versucht, fremde Sprachen heraus zu halten bis hin zu Strafen gegen Chefredakteure, die englische Wörter auf der ersten Seite ihrer Zeitung verwenden. Sie sind nicht gut damit gefahren, und es läuft auf die Dauer überhaupt nicht richtig. Wir dürfen aber nicht alles kritiklos annehmen.
Es ist immer leicht, zu sagen ‚früher war alles besser‘. Aber kommen nicht immer neue Formen auf? Es gab doch schon immer eine Entwicklung.
Wir haben von Duden-Seite immer gesagt, es wird schwierig von der Akzeptanz her sein , egal was ihr vorschlagt. Ein ganz logisches, perfektes System gibt es eh nicht. Es ist schwierig gewesen. Auf der anderen Seite: In den Schulen wird vernünftig nach der neuen Rechtschreibung gelernt, alle die nachwachsen, haben kein Problem damit, die die sich umstellen müssen, natürlich auch aus Faulheit oder so etwas. Ich finde, daß es insgesamt eine ganz vernünftige Sache ist. Und vor allen Dingen jetzt ja nicht wieder umstellen. Da haben wir wirklich wichtigere Themen in diesem Land.
Jeder kann privat schreiben, wie er will.“
Feridun Zaimoglu [Schriftsteller, Kultautor „Kanak Sprak“]
„Für alle technischen englischen Begriffe braucht man drei, vier Worte im Deutschen. Man kann natürlich sagen, die Zeit verrinnt uns, ich will nicht im Deutsch-Seminar sitzen, sondern ganz schnell sagen, was ich will. Insofern darf es auch legitim sein, zu sagen: zu chatten. Ich sage ‚chatten‘ und manchmal sage ich auch, ich schnacke im Internet.
Ich hatte mal einen Lehrer, der sagte Zwietupf und nicht Doppelpunkt, nicht Lineal, sondern Richtscheit. Und da hatte ich keine Lust mehr, ich hatte auf ihn keine Lust mehr und auf diese Begriffe keine Lust mehr. Ich hatte aber auch eine Lehrerin in der Grundschule, die mir die Schönheit der deutschen Sprache eröffnet hat. Wieso? Weil sie -– und da müssen wir aufhören, Deutsch als akademische Disziplin und etwas, was man durch Sprachschutzaktivismus bereinigen könnte, zu sehen – meine Lust auf die deutsche Sprache geweckt hat. Weswegen? Weil sie gesagt hat: es ist eine Lust, deutsch zu sprechen. Nicht nur ich, sondern sehr viele Fremdstämmige haben so ein körperliches Gefühl zu der Sprache bekommen.
Die Medien vermitteln den Eindruck, das nur Deppen-Türken unterwegs sind, die nicht in der Lage sind, einen vernünftigen deutschen Satz zu sprechen.
Die Diskussion um die Rechtschreibreform wurde so erbittert geführt. Ich habe mich gewundert und eigentlich damit gerechnet, daß die Ahndung von Rechtschreibfehlern Teil des Strafgesetzbuches wird.
Eine Sprache fällt nicht vom Himmel auf unsere Häupter, sondern wir sprechen sie.“
Gerd Schrammen [Verein deutsche Sprache]
„Einspruch, in Frankreich funktioniert die staatliche Lenkung des Sprachgebrauchs eigentlich ganz gut. ... Zum Beispiel: Seit der Einführung des Gesetzes zum Gebrauch der französischen Sprache 1994 haben innerhalb von drei oder vier Jahren die englischen Werbesprüche um 30 Prozent abgenommen. Die Franzosen billigen zu 93 Prozent diese staatliche Kontrolle der Sprache, 67 Prozent sind sehr damit einverstanden.
Wir müßten eigentlich so etwas wie Liebe zu dieser Sprache haben, und es müßte uns irgendwie treffen, wenn überall deutsche Wörter verdrängt werden oder wenn sie nicht gesucht werden. Es gibt gar keinen Grund, das Wort ‚chatten‘ einzuführen, wir können dafür sagen: ‚plaudern‘ oder ‚schwätzen‘. Wir sind nicht gezwungen, diese englischen Wörter zu benutzen. Wir sind provinziell, wenn wir glauben, mit Hilfe von englischen Ausdrücken Weltläufigkeit zu erlangen. ... Wir sind nicht weltoffen, wir sind doch nur Amerika-offen!
... Schrift ist nicht fotografierte Sprache. Wir müssen damit leben, daß die Schrift immer mit gewissen Widersprüchen zu tun hat. Ich würde davor warnen, zu glauben, daß sich Sprache lebendig, organisch entwickelt.“
ergänzt von Markwart Lindenthal nach einem Mitschnitt (liegt vor) der Wiederholung in ORB 2001-07-30/31.
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Dominik Schumacher
übrigens heiße ich wirklich Norbert Lindenthal
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