04.01.00
Reform der Schreibreform nötig?
VON HERMANN UNTERSTÖGER
„Die Wahrheit muß unter allen Umständen heraus, und sie kommt ja auch heraus, wie man sieht, indirekt in den Zeitungen mit ihren unsäglich blöden Neuschreibungen, und direkt demnächst (Reform der Reform).“ Dies ist ein Statement Theodor Icklers, des Erlanger Germanisten; da Ickler als einer der nicht nur schärfsten, sondern auch theoretisch fundiertesten Widersacher der Rechtschreibreform hervorgetreten ist, verbietet es sich von selbst, ihm sein „muß“ in das seit nunmehr fünf Monaten zeitungsübliche „muss“ umzuwandeln.
In der Tat bieten die Blätter seit dem 1. August 1999 manche Neuschreibungen, die von den einen mit Besorgnis registriert werden, von den anderen mit Belustigung, die aber jedenfalls Staunen erregen. Hier eine kleine, ohne Systematik oder gar wissenschaftlichen Eifer zusammengetragene Auswahl: „Hoffentlich Allianz versichert“, „Die Angst vorm Hose runterlassen“, „Blei erschwert Lesen lernen“, „nichts der Gleichen“, „Bayer ertrank beim Kajak fahren“, „Agnes Baltsa hielt hof“/ „wenn Agnes Baltsa . . . hofhält“ (Rubrik bzw. Text), „Güterzüge zusammen gestoßen“, „absurder Weise“, „Schwierigkeiten gehabt, sich . . . an zu passen“, „eine riesen Gaudi“, „die Bremse los gelassen“.
Wie ist derlei einzuschätzen? Handelt es sich bei so einer Blütenlese um Blüten, über die man mit einem Achselzucken hinweggeht, oder aber um eine Art Blumen des Bösen, die von Sprach- und damit Kulturverfall künden? Lässt man obige paar Beispiele nicht als Ausrutscher durchgehen, sondern als repräsentativ und symptomatisch gelten, so kann man aus ihnen die Diagnose ziehen, dass die Zeitungsleute bei weitem nicht die Virtuosen des Wortes sind, als die sie sich gerne sehen und darstellen. Allenfalls Handwerker wären sie dann, und schlechte dazu. Immerhin kündet die kleine Sammlung von einer großen Unsicherheit, was die in unserer Sprache gebräuchlichen Wortarten angeht, nicht zu reden von einer ähnlich großen Unlust, im Zweifel das Wörterbuch zu Rate zu ziehen. So gesehen käme der Rechtschreibreform das Verdienst zu, wenigstens diese traurige Wahrheit ans Licht gebracht zu haben.
Gleichzeitig könnte man aus den Fehlleistungen den Schluss ziehen, dass gescheitert ist, was die Reform unter anderem anstrebte: den Schreibenden zusätzliche Freiräume für eigene Entscheidungen einzuräumen. Indem man das anmerkt, muss man von dem seltsamen Phänomen reden, dass die Nation, auf Freiräume jeder Art sonst durchaus bedacht, dieses Emanzipationsangebot nur widerwillig zur Kenntnis nahm. Die neue Orthographie bietet ziemlich viele Varianten à la „Bouclé / Buklee“ oder „zuschanden / zu Schanden“, doch hat es den Anschein, als ob der Sprachgemeinschaft in dem Punkt mehr an der Sicherheit gelegen wäre als an der Lizenz, so oder so schreiben zu dürfen. Bei der Wertschätzung, die
rechtes Schreiben hier zu Lande genießt, sind die meisten wahrscheinlich schon zufrieden, wenn sie die eine Variante korrekt zu Papier bringen.
Nie sah man so viele Leute, die Berufes halber mit dem Wort umgehen, so häufig zum Wörterbuch greifen wie jetzt. Skeptiker werten das als Beleg dafür, dass die Rechtschreibreform gescheitert sei: Hätte sie Klarheit gebracht, müsste man nun doch nicht ewig nachschlagen! Das hört sich gut an, und umso besser, als es ein halb belächeltes, halb gehasstes Projekt trifft. Dennoch muss man einschränken. Wer heute aus dem Wörterbuch kaum mehr herausfindet, gehört einer Generation an, die durch die Reform zum Umlernen genötigt wird. Je älter er ist, desto gewisser wird er sein Schreibleben in mehr oder minder unsicherer Zweigleisigkeit fortführen, wohl auch so beenden. Er wäre – dies sei bei allem Respekt für den Gegenstand dieser Unsicherheit ebenfalls gesagt – freilich ein rechter Narr, wenn er sich deshalb übermäßig grämte: Noch gibt es Wichtigeres auf der Welt.
Aus den Schulen hört man seltsam Gedämpftes: Die Reform habe weder gravierende Erschwernisse gezeitigt noch großartige Erleichterungen. Das ist wenig, zu wenig jedenfalls ngesichts dessen, was man sich von der Reform versprochen hatte – und das war ja beinahe eine Erlösung von allen Rechtschreibleiden gewesen. Umgekehrt wäre ein Schuh daraus geworden (kein pompöser, aber immerhin), nämlich wenn man die Reform als ein Haupt- und Staatsunternehmen beizeiten eingestellt und das Brauchbare davon ohne lange Faxen in den
alltäglichen Gebrauch übernommen hätte.
Der Durchschnittsverbraucher steht vor dem Problem, dass ihm bei einem neuen Regelwerk, das dem alten an Kompliziertheit nicht nachsteht, die Sinnhaftigkeit des gesamten Unternehmens verborgen bleibt. So kommt es dann, dass ihm nur ein paar Grundregeln durch den Kopf gehen, und die nicht richtig. Also schreibt er vorsichtshalber lieber „wider gespiegelt“, statt seinem Instinkt zu vertrauen und „widergespiegelt“ zu schreiben. Ein anderes Überschießen referiert Theodor Ickler in einer vorläufigen Bilanz: In den Schulen führe die Neuregelung von ß/ss nun gehäuft zu Bildungen wie „heiss“ oder „ausserdem“ (die man, was bei der Simplizität der Sache erstaunt, übrigens auch bei vielen Erwachsenen antrifft).
Ob die Rechtschreibreform ein Schuss in den Ofen war, ist noch umstritten. Bei der allenthalben herrschenden Unsicherheit sollten die Gremien das Jahr 2000 nutzen, um den Ruß wegzukehren.
__________________
Th. Ickler
|