Kosmopolitischer Weltschmerz
Als anständiger Mensch liest man sowas ja eigentlich nicht, aber das weiß man erst, wenn man's gelesen hat: die Zeitschrift COSMOPOLITAN. Im Hotelzimmer liegt sie ganz oben auf dem Tisch und ist so lecker bunt und glänzend gedruckt, daß man einfach zugreifen muß. Man lernt auch einiges dabei.
Der Kosmopolit unserer Tage hat es einerseits gut, denn er lebt in Luxus und Schönheit, er kann sich alles leisten und tut es auch. Er hat aber auch schreckliche Probleme, insbesondere in seinem Sexualleben. Hier wird offen ausgesprochen, daß wir alle in Wirklichkeit immerzu nur eines wollen, nämlich genau das, und zwar wirklich rund um die Uhr und allüberall und so pervers, wie ein Fachjournalist sich das nur ausdenken kann. Man hat sich andererseits überhaupt nichts zu sagen, und zu allem Unglück klappt die angeblich schönste Sache der Welt in ca. 75 % aller Vorkommen sowieso nicht. Darüber will COSMOPOLITAN hinweghelfen mit Kosmetika, Dessous und Dessus, Wellness und Lifestyle. Dazu gehört etwa auch eine Schlemmer- und Kunstreise ins Veneto, wo die feinsten Dinners, von kumpelhaften Sexsterneköchen wie miniaturartige Fleißbildchen auf Riesentellern hingehaucht, den appetitlosen Magen einerseits nicht belasten aber andererseits doch so teuer sind, daß über die Erlesenheit der Speisen von daher kein Zweifel möglich ist (Schnittlauchsüppchen an einem Semmelbröselchen, cucina povera), wo die elegantesten und teuersten Hotels den parfümierten Sexversagern ein standesgemäßes Obdach bieten, unter dem sie ihre Impotenz und ihre Beziehungslosigkeit in traditionsgetränktem Ambiente betrachten, betrauern, beträumen können, bei einem wehmütigen Sundowner (ein Glas Prosecco, 0,1 l, auf Rosenöl, dazu werden ein Zimtstern aus der Basilicata und eine Chardonnay-Rosine aus Umbrien gereicht). Die Unterschrift unter einem Farbfoto, das eine malerisch-triste Terrasse einer zum kosmopolitischen Luxushotel umstilisierten Renaissancevilla mit ein paar verloren herumkauernden Wohlstandskadavern zeigt, lautet denn auch: Perfekter Ort zum Gedanken schweifen lassen.
Was da wohl schweift? Gedanken? Luxus ist so traurig, so tragisch, so einsam. Und es klappt buchstäblich hinten und vorne nicht that's lifestyle!
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Walter Lachenmann
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