Neues aus dem IDS
Schumacher, Helmut u. a.: VALBU – Valenzwörterbuch deutscher Verben.
Tübingen 2004 (Studien zur Deutschen Sprache 31). 1040 S.
Im Vorwort erfährt man, daß sich die Fertigstellung durch die Umstellung auf die neue Rechtschreibung verzögert hat. Die Verfasser behaupten, das Werk samt allen Belegen auf die Neuschreibung von 1998 umgestellt zu haben. Das trifft jedoch nicht zu, denn sie schreiben gleichlautend stets zusammen und lassen unter dem Eintrag Leid tun auch die Zusammenschreibung leidtun zu – beides ist aber erst im Zuge der Revision im Juni 2004 genehmigt worden. Die Wendung im allgemeinen ist durchweg klein geschrieben, was keiner Version der Reform entspricht. Falsch ist auch die 19-jährige (S. 445).
Beschrieben werden 638 Verben, die Auswahl richtet sich im großen und ganzen nach dem „Zertifikat Deutsch“ und hat, wie das ganze Werk, Lehrer für den Bereich Deutsch als Fremdsprache als Zielgruppe im Auge. Es handelt sich also nur um eine sehr kleine Zahl von Verben, diese werden aber in allen erdenklichen Lesarten und Konstruktionstypen vorgeführt (zum Beispiel 50 Einträge zu gehen mit 286 Beispielen; das Verb halten gibt es 26mal mit 186 Beispielen), wie es auf dieser elementaren Stufe der Sprachbehrrschung gar nicht sinnvoll ist. Dieses Vorgehen wird damit gerechtfertigt, daß die Deutschlerner in Gesprächen und Texten auch solchen seltenen Verwendungsweisen begegnen können (S. 21). Noch wahrscheinlich ist aber, daß sie anderen Verben begegnen, die in der Zertifikatsliste und in diesem Wörterbuch nicht auftreten. Redaktionsschluß war übrigens so früh, daß nicht mehr alle Verben der Zertifikatsliste von 1999 aufgenommen werden konnten.
Dem Werk ist eine Wörterbuchgrammatik vorangestellt, hauptsächlich die Verbergänzungen behandelnd. Verbzusätze sind nicht angemessen dargestellt, die Verbpartikeln werden zusammen mit den Präfixen abgehandelt und zum Verblexem gerechnet. Unpersönliche Verben sollen nur mit es vorkommen, aber unter frieren steht, das fakultativ unpersönliche mich friert (es) werde nicht abgehandelt (was übrigens schwer zu rechtfertigen ist).
Gegen die Erwartung enthält das Wörterbuch auch einige Mehrwortlexeme wie kennen lernen, sauber machen (!), fest halten, bekannt geben, Rad fahren, an sein. Es sind genau jene, die früher zusammengeschrieben und daher für das Wörterbuch bearbeitet wurden, nun aber auseinandergerissen sind, ohne daß die Verfasser sich von ihnen verabschieden mochten. (S. 23 werden diese Fälle aufgelistet.) Nur aus diesem Grunde ist umgekehrt auch wehtun aufgenommen.
Seltsam ist die Analyse von mir liegt viel daran usw. mit viel als „AdvE“ (S. 537) Es ist ja offensichtlich Nominativergänzung.
Das Verb wiedersehen fehlt ganz; wahrscheinlich sind die Verfasser nicht sicher, ob dieses umstrittene Wort noch existiert oder nicht. Bedauerlicherweise fehlt auch zumute sein. Das ist schade, denn diese Wendung ist vielleicht die einzige, die nicht einmal fakultativ ein formales es zu sich nehmen kann, also tatsächlich subjektlos gebraucht wird.
Was die Behandlung von fest halten betrifft, entspricht sie nicht der Auffassung des Duden 2004, des DUW oder des Langenscheidt WbDaF, die hier Zusammenschreibung vorsehen. Das amtliche Wörterverzeichnis von 1996 scheint vorzuschreiben, daß Zusammenschreibung nur in der Bedeutung 'schriftlich notieren' zugelassen ist; vgl. auch § 34 E3 (3). Ob diese Deutung aber richtig ist, bleibt zweifelhaft. VALBU merkt außerdem an: „Nicht behandelt werden hier die Verben festhalten und fest halten.“ Der Grund dürfte der sein, daß die richtige Schreibweise all dieser „Verben“ zur Zeit nicht feststellbar ist. Die Beispiele befremden jedenfalls: In öffentlichen Verkehrsmitteln sollen sich die Fahrgäste während der Fahrt gut fest halten.
Unter erzählen 4 (von) kommen Beispiele mit über vor, was ziemlich verwirrt.
Der Hauptfehler des Werkes besteht darin, daß die Bedeutungsbeschreibungen, aus denen die Konstruktion weitgehend folgen würde, ganz vernachlässigt sind. Von vielen Verben sind zahlreiche, bis zu 50 Lesarten angeführt, die eine Mehrdeutigkeit nur vorspiegeln. Der innere Zusammenhang wird nicht deutlich. In der Benutzerführung wird das Verb verzeihen als Muster vorgeführt. Der zweite Eintrag, den Beispiele verdeutlichen wie Zu viel Alkohol verzeiht die Leber nicht. Zu heiß gewaschen zu werden, verzeiht ein Wollpulli nicht steht einfach nach dem ersten, ohne daß irgendein Hinweis auf die metaphorische Bedeutung zu finden wäre.
Orthographische Fehler (Stichprobe):
Meistens war ich der erste, den der Lehrer aufrief (419)
bedeutend-sten (420)
welche Begriffe nicht zu den Übrigen gehören (420)
In Badekleidung essen gehen, geht gegen den guten Geschmack. (414)
Einen neuen Termin ausmachen, geht nur schwer. (412)
Vor einer Urlaubsreise mit dem Auto muss man nachsehen, ob das Licht geht und den Ölstand messen. (412)
Als der Politiker daran ging ... (413)
Mönchlein, Mönchlein, Du gehst einen schweren Gang. (410)
heute nacht (435)
S. 176 fehlt das Komma nach Anführungszeichen.
S. 125 fehlt das Komma nach Korrelat-es.
Insgesamt wieder eines der sinnlosen und sinnlos kostspieligen IDS-Projekte, deren Ergebnis dann irgendwo im Regal verstaubt (wie vorher Verben in Feldern und Brisante Wörter). Die Leute sind da, praktisch unkündbar, wissen aber nicht, was sie tun sollen.
__________________
Th. Ickler
|