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Nutzer Mathias Scheibe hat in seinem Beitrag im Strang „Gästebuch – von den Reizen der neuen Rechtschreibung“ ein Problem eingebracht, dem ich mich hier im Strang Rechtschreibforum „Apropos Lesen“ annehmen möchte.
Vorwiegend widme ich mich dem Inhalt und der Form der Botschaft. Die Absicht des Verfassers und auch die Darstellungsmittel sind für mich völlig untergeordnet.
Zitat: „WSSTN S SCHN DSS TXT HN VKL FSST GNSGT LSBR SND W SLCH MT VKLN ND DSS BWHL HFG DR PLRL NCHT GKNNZCHNT WRDN KNN ND W HR SMTLCH STZZCHN FHLN“
Die Übersetzung: Wussten Sie schon dass Texte ohne Vokale fasst genausogut lesbar sind wie solche mit Vokalen und dieses obwohl häufig der Plural nicht gekennzeichnet werden kann und wie hier sämtliche Satzzeichen fehlen.
Formal stelle ich fest, daß sich in den Ausgangstext ein Rechtschreibfehler (FSST – es muß FST heißen) eingeschlichen hat. (Das und auch das folgende Rechtschreibproblem sind wohl verursacht durch die Heyse`sche Regel.)
Theoretisch existiert nämlich ein weiterer Rechtschreib- bzw. Grammatikfehler (DSS/1. Zeile und DSS/2. Zeile, das ggf. als DS zu schreiben wäre), doch könnte man ebensogut mit entsprechender Kontext- und Ausschlußarbeit das zweite „DSS“ mit „dieses“ ersetzen.
Bereits diese relativ kurze am Sprachbild haftende Analyse macht schon binnen weniger Zeilen klar, daß es zweifelsfrei möglich ist, den Text zu entschlüsseln, doch zeigt sich ebenso, daß es bei Ausschluß der Vokale aus dem Schriftbild zu einer unendlichen Anhäufung von homonymen Schriftbildern käme.
DSS kann bedeuten: dass, dieses, Dosis, ..
FST kann bedeuten: fast, Fest, fest, ..
SCHLSS kann bedeuten: Schloss, Schluss, ...
Dabei ist es besonders die Gleichheit der Wortbilder, die einen erheblichen Zeitaufwand beim Dekodieren des Textes in Anspruch nimmt.
Inhaltlich stelle ich fest, daß die ersten drei Zeilen ein geistiger Anwurf allererster Güte sind. Es wird nämlich behauptet, daß Texte ohne Vokale „f a s t“ genausogut lesbar seien wie Texte mit Vokalen, und – das ist ja das absolut Gemeine an dieser Verschlüsselungstechnik – es regt sich zu dieser bodenlosen Unverschämtheit kein Widerspruch. Der Geist hat offensichtlich genügend Arbeit zu leisten für die Entschlüsselung. Nach erfolgreicher Übersetzung bleibt die Auseinandersetzung mit dem Inhalt auf der Strecke.
Tatsache jedoch ist, daß selbst ein technisch geschulter „Lückenwortleser“ mindestens das Zehnfache an Zeit benötigt, als er für den entsprechenden Normaltext benötigen würde. In einigen Fällen (bei Anhäufung von zahlreichen Homonymen) wäre eine 1:1-Übersetzung nicht einmal zu gewährleisten.
Solche Spielchen, wie das von Herrn Scheibe eingebrachte, eignen sich durchaus im Leselernprozeß, um besondere Lesetechniken (siehe weiter unten in diesem Strang) zu trainieren.
Dummerweise gibt es aber in der heutigen Zeit eine ganze Menge von Klugscheißern, die eine solche Methode zum Endzweck zu erheben versuchen.
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