Rechnen?
Rechnen gibt es nicht mehr in der Schule. Es wurde abgeschafft.
Seit 1972 redet man im ersten Schuljahr von „Mathematik“, ebenso im Kindergarten.
Auch gab es früher mal Rechenhefte mit Rechenkästchen, die heißen jetzt aber Mathematikhefte, und in denen befinden sich Mathematikkästchen.
Die Kinder üben auch nicht mehr das Schreiben von Ziffern in die Rechenkästchen, nein,
es läuft an „ein graphomotorisches Training im linienumgrenzten Raum“.
Apropos Stellenwertsystem:
Wenn man es „mathematisch“ ganz eng sieht, dann gibt es das „Zehnersystem“ frühestens nach der Einwanderung der Null aus Indien über Arabien ins Abendland und seit der Erfindung der Potenzrechnung, etwa ab Cartesius. 1000 = 10 hoch drei; 100 = 10 Quadrat, das weiß jeder, aber 10 = zehn hoch 1, das kannten selbst die Griechen nicht , und 1 = 10 hoch null Teufel auch, wie geht das denn? , und 10 hoch null ist 1; das wären also die Tausender, die Hunderter, die Zehner und die Einer, schon verständlicher, aber wirklich verstanden? 10 hoch null soll 1 sein, aber 3 hoch null soll auch 1 sein, da stimmt doch was nicht oder doch? Wie steht es dann bei 10 hoch minus 1, aha 1 Zehntel, und 10 hoch 0 war 1, aber jetzt: 10 hoch minus 0? Oder umgedreht: minus 0 hoch minus 10, wer weiß es, gibt’s das überhaupt? Na ja, 2 hoch 1 ist 2, sagt Bill Gates’ Rechenknecht Excel, 2 hoch minus 1 soll 0,5 sein, 0 hoch 0 aber mag er überhaupt nicht, 0 hoch 1 kennt er gut = 0, aber 0 hoch minus 1 will er auch nicht.
Bis zur französischen Revolution herrschte der Münzfuß Karls des Großen in Frankreich, in England herrschte er noch 200 Jahre länger, fast bis heute. 1 Pfund 20 Shilling 12 Pence;
1 Livre 20 Sou 12 denier. Man sieht, das reine Zehnersystem ist eine späte Frucht, womöglich erst ab ca. 1867 in Preußen eingeführt. Trotzdem konnten Babylonier, Ägypter, Griechen und Römer und alle schon rechnen, ohne Null und ohne Stellenwertschrift.
Die römischen Zahlen auf den Denkmälern beweisen beides: Es gab keine Stellenwertschrift, trotzdem konnte man rechnen.
Heute sieht es so aus: „Wir sprechen deutsch, wir schreiben römisch und wir rechnen indisch!“ Menninger, Zahlwort und Ziffer, S. 66.
Rechnen ist also viel komplizierter, als man oft leichthin meint.
Menninger: „Sollte man nicht vom grünen Tisch her meinen, der Menschengeist habe, als er sich um das Festhalten von Begriffen bemühte, die Schrift für Wort und Zahl z u g l e i c h
erfunden, ‚sieben’ und ‚7’? Aber das geschah nicht, nicht in unserem abendländischen Kulturkreis, ja es geschah nirgends in der Welt.“
Sehr wichtig in einem sinnvollen Anfangsrechenunterricht wären die Bezeichnungen für die
möglichen Rechenhandlungen, für die Operationen in den Grundrechenarten, in deutscher Sprache, also eine Begriffsbildung auf dem Boden der Muttersprache.
Dividieren und „geteilt durch“ sind keine sinndarstellenden Sprechweisen, noch weniger sinnvoll sind lateinische Komparative wie „plus“ und „minus“, mit deren Verwendung die kleinen Kinder zu nachplappernden Automaten abgerichtet werden. Die Folgen der Abrichtung: Heute lernen die Kinder im ersten Schuljahr nur 4 Prozent des vor der
„Mathematikreform“ einmal möglichen Rechenstoffes. Dazu vergleiche man etwa ein beliebiges „Mathematikbuch Klasse 1“ von heute mit dem alten Rechenbuch „Neues Rechnen 1“ von vor 1972 aus dem Klett-Verlag.
96 % des möglichen Rechenstoffes im ersten Schuljahr werden nicht gelernt, das nennen die
modernen Lehrpläne dann auch noch hochtrabend Mathematik.
Rechnen, etwas ordentlich machen, richtig machen, richtig denken, das ist steng verboten.
Dafür hat man Mathematikkästchen, Plapperplapper plus, Plapperplapper minus und
graphomotorisches Training im linienumgrenzten Raum.
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Rolf Genzmann
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