Darf das Kind «Sinola» oder «Dresden» heißen?
Von Wolfgang Harms, dpa | 25.04.2007, 14:48
Wiesbaden. «Alpha-Charlotte? Und Sie wollen den Namen ändern lassen?» Gerhard Müller hält mit der Linken das schnurlose Telefon ans Ohr, mit der Rechten fischt er einen Band aus dem Schleiflackregal, in dem sich die Bücher bis zur Decke türmen.
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Gerhard Müller leitet den Beratungsdienst der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr sitzen er oder sein Kollege Lutz Kuntzsch am Telefon und helfen, wenn Deutsche mit dem Deutschen ringen: Sie lösen Zweifelsfälle der Grammatik und lotsen durch die Tiefen der neuen Rechtschreibung, sie erklären die Herkunft von Wörtern und schlichten Streitigkeiten zwischen Standesbeamten und Eltern, die bei der Namenswahl immer fantasievoller werden.
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Auch die Afrika-Abteilung besteht vorwiegend aus Lücken, hat doch ein Land wie Nigeria allein schon um die 30 Sprachen.
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Um Vornamen geht es bei jeder dritten Anfrage. Sie sind das häufigste Thema der mehrere tausend Anrufe, Briefe, Faxe und Mails, die pro Jahr bei der GfdS eingehen. Es folgen Rechtschreibung, Wortkunde und Grammatik. Die Orthografie-Reform hat daran wenig geändert, bisweilen sogar neue Unsicherheit geschaffen: Die nächste Anruferin ist die Mutter einer ostdeutschen Schülerin, der die Lehrerin das große «A» bei «gestern Abend» rot angestrichen hat.
«Das ist ein Ding», entfährt es Müller. «Wenn ein Hauptwort wie «Mittag» oder «Abend» alleine steht, wird es groß geschrieben. Da müssen Sie bei der Schule nachfragen.» Einen praktischen Rat hat er auch parat: «Machen Sie´s so, dass die Lehrerin nicht sauer wird auf Ihre Tochter.»
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Kein Problem für einen gelernten Sprachwissenschaftler ist auch die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten, ob man «ressortübergreifend» oder «Ressort übergreifend» schreibt ( «ressortübergreifend», da es eine feste, nicht auflösbare Fügung ist).
Das Bundeskriminalamt lässt sich «Provenienz» buchstabieren, ein Jurist mit frischem Staatsexamen will wissen, ob er sich beim «Präsident» oder beim «Präsidenten» des Oberlandesgerichts bewerben soll (Müller plädiert für den «Präsidenten» ).
Manche Fragen bringen aber selbst einen Doktor der Germanistik ins Grübeln. Schreibt man «10x» oder analog zu «10-mal» besser «10- x», will eine Lektorin aus Kiel wissen. «Da bin ich selbst im Zweifel», sagt Müller und zieht die Stirn in Falten.
Seine Bücher geben keine Antwort. «Grundsätzlich schreibt man jetzt mit Bindestrich. Aber «x» ist ja kein Wort, nur ein Zeichen.» Müller schüttelt den Kopf, greift einen Zettel, wirft eine Notiz hin: «Ich schreibe doch nicht «10-x». Ich schreibe doch «10x». Aber warum?» Der Sprachwissenschaftler muss passen: «Eine Sonderschreibung.»
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«Zwei Drittel bis drei Viertel der Anrufer sind verunsichert und brauchen Hilfe», schätzt Kuntzsch. Dabei bereiten Groß- und Klein- sowie Zusammen- und Getrenntschreibung den Deutschen die meisten Probleme nicht erst seit der Rechtschreibreform, die sich nur kurzfristig in der GfdS- Statistik niedergeschlagen hat.
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Müller schätzt, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache und Duden im Jahr zusammen auf rund 44.000 Anfragen kommen: «Und darunter sind noch viele Stammkunden, die mehrmals pro Woche anrufen. Bei 80 Millionen Einwohnern ist das nicht viel.»
http://www.aachener-zeitung.de/sixcms/detail.php?template=az_detail&id=186093&_wo=News:Vermischtes
(Stark gekürzt)
Vor Jahren hatte ich Besuch von einem Nigerianer mit Namen „Alpha“. „Ein afrikanischer Name?“ „Nein, mein Vater hat uns Kinder nach dem griechischen Alphabet benannt. Ich war das erste.“
Die GdfS ist durch massive, parteiische Schützenhilfe für die allgemein-unnütze „Rechtschreibreform“ aufgefallen.
Zu „gestern Abend usw. (ebenso: neulich Abend)“ schreibt Theodor Ickler: Die Großschreibung ist sogar nach den Kriterien der Reformer grammatisch falsch, da an dieser Position kein Substantiv stehen kann.
Theodor Ickler teilte am 7.10.05 auf der Internetseite der Forschungsgemeinschaft Deutsche Sprache mit:
Die Stelle bei Gallmann lautet:
Ein weiteres problematisches Beispiel bildet die Wortform 'abend' (klein geschrieben!), beispielsweise in
'heute abend'
Es handelt sich nicht um eine reguläre Flexionsform von 'Abend', da sie keinen Kasus aufweist; nominale Lexeme haben sonst nur kasusbestimmte Flexionsformen. Duden IV betrachtet das Wort als Adverb. Ist es gleichwohl zum Lexem 'Abend' zu stellen?
(Augst/Schaeder (Hg.): Rechtschreibwörterbücher in der Diskussion. Frankfurt 1991, S. 270)
Auch in der amtlichen Neuregelung wird die Kasusbestimmtheit als eines der drei Erfordernisse für Substantivität genannt.[…]
Nach der Schlichtdefinition des Herrn Müller müßte man auch „er kam Abends an“ verlangen.
Mißschreibungen wie „Ressort übergreifend“ u.ä. haben sich erst durch die Spaltschreibungsvorschrift der „Rechtschreibreform“ wie ein Krebsgeschwür in der deutschen Rechtschreibung ausgebreitet.
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Sigmar Salzburg
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