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Schweizerische Depeschenagentur
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Norbert Lindenthal
31.07.2006 19.20
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Schweizerische Depeschenagentur (kritisch)

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Norbert Lindenthal

Stellungnahme der Schweizerischen Depeschenagentur zu den Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung

Zusammenfassend: Wir beschränken die Detailkritik wie gewünscht auf die Empfehlungen des Rates zu den Bereichen Getrennt-/Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung. Wir stellen jedoch ausdrücklich fest, dass alle Bereiche, auch diejenigen, die von den politischen Organen faktenwidrig als "unstrittig" bezeichnet worden sind, der Überarbeitung bedürfen. Die Empfehlungen des Rates führen nach Ansicht der SDA zu einer Verbesserung; sie sind aber ungenügend.

Generell zur Neuregelung

Zu überprüfen sind auch Laut-Buchstaben-Zuordnung, Bindestrichschreibung und Gross-/Kleinschreibung. Bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung geht es um die unnötige Veränderung gewohnter Wortbilder aufgrund von volksetymologischen Ableitungen (Quäntchen usw.), wiederbelebten, längst verblichenen Beziehungen (behände usw.), willkürlich heraus gepickten Stammschreibungen (Stängel usw.), aufgrund der pedantischen Dreikonsonantenregel (Schifffahrt), der in der Schweiz zurückhaltender gehandhabten Eindeutschung (Communique ist für uns nicht "alte", sondern einzig mögliche Schreibung) und (ausserhalb der Schweiz) der Rückkehr zur nachweislich fehlerträchtigeren Heyseschen s-Schreibung.

Bei der Schreibung mit Bindestrich geht es um die Verschlechterung der Systematik (herkömmlich: 19jährig, 32stel, 2fach, 90er, 90mal; neu: 19-jährig, 32stel, 2fach/2-fach, 90er, 90-mal) und die wegen der Dreikonsonantenregel eingeführten Behelfsschreibungen wie Schiff-Fahrt.

Die Gross-/Kleinschreibung wird vom Rat zwar nochmals überprüft und voraussichtlich revidiert, jedoch nur in einem begrenzten Teilbereich (Recht haben/rechthaben usw., Du/du in Briefen, Grossschreibung fester Begriffe wie Erste Hilfe, Schreibung von Pronomina, Kardinalzahlen und unbestimmten Zahladjektiven). Es gibt jedoch weitere strittige Teilbereiche, deren sich der Rat annehmen müsste: heute Abend/Freitagabend, im Voraus, des Weiteren, auf dem Laufenden, das 8-Fache, Ultima Ratio usw. Die Forderung, substantivische Bestandteile in solchen aus romanischen Sprachen sowie Latein und Griechisch stammenden Fügungen gross zu schreiben, steht in krassem Widerspruch zum Anspruch, die Schreibung für den Anfängerschreiber zu vereinfachen. Kein Schüler ist imstande, die Wortart in solchen Fügungen mit Sicherheit zu bestimmen.

Durch die verschiedenen Revisionen ist ein Flickwerk entstanden, bei dem kaum mehr etwas zueinanderpasst. Die dadurch entstandene Verunsicherung (mehr Getrennt- und Grossschreibung, mehr ä, aber wo?) führt auch in unserem Dienst täglich zu Übergeneralisierungen (Ernst nehmen, Offside verdächtig, Sinn entstellend, hinweg setzen, sicher stellen, dabei zu bleiben, zurück zu geben, zwischen durch, entgegen gebracht, hat sich dagegen gestellt, wer Schuld ist, Beides, Einiges, Zeit seines Lebens, so viel ich weiss usw.; im Dienst sind bereits 38mal Aufwändungen und vereinzelt auch schon notwändig, auswändig, inwändig zu finden). Nur ein Teil davon kann mit einer (option al angewendeten) Computer-Rechtschreibprüfung aufgefangen werden.

Übersehen wird offenbar auch, dass die massive Vermehrung der Variantenschreibung, so willkommen die dadurch ermöglichte Wiederzulassung herkömmlicher Schreibweisen ist, für Verlage und Nachrichtenagenturen kostentreibend wirkt. Die Variantenschreibung zwingt sie, Hausorthographien zu erstellen und zu pflegen. Das Ergebnis werden unterschiedliche Regelungen sein, die den Austausch von Dokumenten erschweren. Dazu kommen kostspielige Hinundherkorrekturen

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wegen unterschiedlicher persönlicher Präferenzen. Variantenschreibung erschwert zudem die maschinelle Textverarbeitung (etwa bei Recherchen).

Professionell Schreibende wollen den Lesern ihre Texte möglichst eindeutig und in ihrer ganzen Differenziertheit übermitteln. Sie erwarten von der Rechtschreibung, dass sie dem Sprachgebrauch folgt, der Sprache angemessen ist, die bestehenden Möglichkeiten zur Bedeutungsdifferenzierung bewahrt, dass sie grammatisch und etymologisch richtig ist, dass die Lesefreundlichkeit Vorrang vor der Schreibvereinfachung hat, dass auch ästhetische Kriterien beachtet werden und insbesondere, dass keine gewohnten Wortbilder ohne Not, d.h. ohne Vorteilsgewinn, verändert werden. Alle diese Erwartungen werden von der Neuregelung aufs gründlichste enttäuscht.

Die Neuregelung versucht, das Schreiben für den Anfänger – auch wenn es zu Lasten der Lesefreundlichkeit geht – zu vereinfachen, damit Schüler weniger Fehler machen. Offenbar wird jedoch sogar dieses – aus Sicht der professionell Schreibenden wegen der damit einhergehenden Leseerschwernis falsche – Ziel verfehlt. Nach jüngsten Untersuchungen und Erfahrungen an Schulen machen auch Schüler (genau wie unsere Journalisten) nicht weniger, sondern mehr Fehler, weil die Rechtschreibung nicht einfacher, sondern komplizierter und unsystematischer geworden ist. Dadurch und durch die mangelnde Akzeptanz der Neuregelung ist die Einheitlichkeit der Rechtschreibung wahrscheinlich auf Jahre hinaus verloren, was gemäss Auftrag an die aufgelöste Zwischenstaatliche Kommission und nachher an den Rat unter allen Umständen hätte vermieden werden sollen.

Das heisst, die Neuregelung hat die Lesefreundlichkeit und die Einheitlichkeit der Rechtschreibung beschädigt, ohne das Ziel einer geringeren Fehleranfälligkeit zu erreichen. Zusammen mit dem gigantischen, wohl in die Milliarden Franken gehenden Aufwand, der dafür betrieben worden ist und weiter betrieben wird, ergibt sich ein höchst unvorteilhafter Befund. Das Fiasko könnte in der Tat kaum grösser sein.

Es wird immer offensichtlicher, dass der Königsweg aus der verfahrenen Situation der Abbruch der Neuregelung und auf der gesicherten Grundlage der herkömmlichen, bewährten Rechtschreibung die Neuformulierung der Regeln und die Eliminierung der beanstandeten Überregulierungen wäre. Schul- und Wörterbücher sind durch die Revisionen ohnehin bereits wieder überholt. Wir bedauern ausserordentlich, dass dieser Weg offensichtlich nur deshalb nicht in Frage kommt, weil unter allen Umständen das Eingeständnis eines Fehlers vermieden werden soll.

Die Neuformulierung der Regeln könnte durchaus dem Rat statt dem Duden übertragen werden. (Die Zerschlagung seines Monopols war ja offensichtlich in Deutschland und Österreich das Hauptziel einer Gruppe von Reformern, während die EDK weiterhin den Duden als Richtlinie akzeptiert.) Der Rat müsste aber aus Fachleuten bestehen und entsprechend der Verhältnisse in der Sprachgemeinschaft, die die Neuregelung bekanntlich mehrheitlich ablehnt, zusammengesetzt werden. Zurzeit besteht er grossmehrheitlich aus Reformbefürwortern. Vollends unverständlich ist dabei die Zusammensetzung der Schweizer Delegation. Anders als Deutschland entsendet die Schweiz die Mitglieder der aufgelösten Zwischenstaatlichen Kommission (und deren Schüler!) in den Rat, obwohl ebendiese Kommission durch ihr Unvermögen, einen konsensfähigen Vorschlag zustande zu bringen, ein neues korrigierendes Gremium erst nötig gemacht hat (auszunehmen von dieser Kritik ist Dr. Hauck, der namentlich der reformierten Getrennt-/Zusammenschreibung immer kritisch gegenübergestanden hat). Man hätte erwarten können, dass der zunächst nicht besetzte neunte Sitz einem ausgewiesenen Kritiker der Neuregelung zugewiesen worden wäre. Statt dessen ging er schliesslich an einen weiteren Schüler der Mitglieder der aufgelösten Kommission. Dieses Vorgehen widerspricht zutiefst schweizerischem Demokratieverständnis .

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Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung

Im folgenden nennen wir nur die auffälligsten Punkte. Daneben gibt es zahlreiche weitere, die zu kritisieren sind.

Zur Getrennt-/Zusammenschreibung

Ohne revidiertes Wörterverzeichnis ist eine abschliessende Beurteilung dieses Bereichs nicht möglich.

§ 33

E: Die Liste der untrennbaren Zusammensetzungen enthält Ganz- und Halbzusammensetzungen; auf den Unterschied (Einfügung der Partikeln ge und zu: danksagen, dankgesagt, dankzusagen) sollte aufmerksam gemacht werden. Weitere solche Fälle sind das in der Einleitung aufgeführte bergsteigen sowie die nicht aufgeführten notlanden, hohnlachen, hohnsprechen u.a. Weitere untrennbare Ganzzusammensetzungen sind fachsimpeln, haushalten, ratschlagen, wetterleuchten. (Es fällt auf, dass die Neuregelung staubsaugen von den Halb- zu den Ganzzusammensetzungen und haushalten von den trennbaren zu den untrennbaren Ganzzusammensetzungen verschoben hat. Das scheint uns akzeptabel.) In beiden Fällen, Ganz- und Halbzusammensetzungen, sind Fügungen vorgesehen, die auch als Wortgruppen geschrieben werden können: bei den Ganzzusammensetzungen Gewähr leisten und Staub saugen (und Haus halten, falls das beibehalten werden soll), bei den Halbzusammensetzungen Hohn lachen und Hohn sprechen. lobpreisen ist eine Mischform, da zwei Partizipformen erlaubt sind (falls das beibehalten werden soll): gelobpreist und lobgepriesen. Dagegen gibt es brustschwimmen, delfinschwimmen, marathonlaufen in zusammengesetzter Form nur als Infinitive. Auch auf diese Unterschiede sollte aufmerksam gemacht werden.

Erwähnung verdienten ausserdem Spezialfälle wie bausparen (nur Infinitiv und bauzusparen) und sandstrahlen (nur Infinitiv und Partizip 11, mit zwei Formen: gesandstrahlt, fachspr. sandgestrahlt).

§ 34

(1.2) Eines der Lieblingsbeispiele des Vorsitzenden, auseinandersetzen (sich mit etwas auseinandersetzen)/auseinander setzen (die Schüler auseinander setzen), fällt diesem Abschnitt zum Opfer. Das Wort wird aufgrund des Betonungskriteriums in beiden Bedeutungen zusammengeschrieben. Das scheint uns akzeptabel, auch wenn argumentiert werden könnte, dass das Betonungskriterium hier zugunsten einer Unterscheidungsschreibung zu ignorieren sei (wie es auch in den Verbindungen Verb + Verb, z.B. sitzenbleiben/sitzen bleiben, geschieht).

EI: Zu begrüssen ist, dass bei Verbindungen Adverb + Verb die Betonung als erstes Kriterium für den Entscheid getrennt/zusammen genannt wird (z.B. wiedersehen/wieder s§l.hen). Das gleiche wäre auch bei Verbindungen Adjektiv + Verb nötig (freisprechenlfrei spr§l.chen).

E2: Hier wird nur gesagt, dass dar- das a abwerfen kann, aber nicht, welche Wirkung dies auf die Getrennt-/Zusammenschreibung haben soll. Offenbar wird insinuiert, dass dann zusammengeschrieben wird. Das stimmt aber nicht. Es gibt sowohl Fälle von Zusammenschreibung mit erhaltenem a (darangehen, daranmachen, daransetzen, dareinmischen, darüberfahren, darüber-

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machen, darüberstehen, darumkommen, darunterfallen, darunterliegen u.a.) als auch Fälle von Getrenntschreibung mit abgeworfenem a: (sich nichts) daraus machen und draus machen.

(2.2) Das von der Arbeitsgruppe eingeführte Beispiel verlorengehen hätte das Plenum auf keinen Fall streichen sollen. Partizipien werden im Regelwerk unter Adjektiven abgehandelt (als Zweitglied in § 36). Partizipien sind aber (auch) Verben. Damit werden manche die Schreibweise von 4. ableiten, um so mehr als dort von "verbalem" erstem Bestandteil und nicht von "Infinitiven" die Rede ist ("Verbindungen mit einem verbalen ersten Bestandteil"). In 4. ist aber vom Rat der Alternativvorschlag E7 der Arbeitsgruppe abgelehnt worden, womit die Verbindungen mit -gehen und -lernen weggefallen sind. Das wird zum Schluss führen, dass verlorengehen getrennt geschrieben werden muss.

Man hätte in (2.2) vielmehr darauf verweisen müssen, dass unter adjektivischen Bestandteilen auch Partizipien gemeint sind. Ausser verlorengehen hätten dann auch die Beispiele gefangennehmen und gefangenhalten aufgeführt werden sollen.

Auch das Beispiel übrigbleiben (Google-Fundstellen: 440k) ist zu Unrecht gestrichen worden. Es sollten vor allem häufig vorkommende Beispiele angeführt werden; vollquatschen (7k) gehört sicher nicht dazu und ist zu Recht gestrichen worden, aber z.B. nahestehen (280k) und (unter 4. E7) stehenbleiben (485k).

Es sollten hier und in E6 zur Erläuterung je eine finite Form und zweites Partizip oder Infinitiv mit zu aufgeführt werden.

Jetzt wird unterschieden nach "resultativ" (dann sind beide Schreibweisen zulässig) und "idiomatisiert" (dann gilt nur die Zusammenschreibung). Das wird in der Praxis nicht funktionieren; die Schreiber werden sich an die Freistellungsregel E5 halten und in allen Fällen schreiben, wie ihnen beliebt. Die beiden Regeln sind damit unnötig. Besser wäre, das Betonungskriterium für die Schreibung beizuziehen.

(3): Die Liste behauptet weiterhin, leid sei ein ehemaliges "Substantiv", was offensichtlich falsch ist (Schweizer fühlen das noch gut in dasch e leidi Sach). Die obligatorische Zusammenschreibung von leidtun, d.h. das Verbot der bisher üblichen Schreibweise leid tun, für deren Beibehaltung sich auch die EDK ausgesprochen hat, ist abzulehnen. Dasselbe gilt für nottun.

Aus herkömmlich gut tun, leid tun, not tun, leid sein, not sein machte die Reform gut tun, Leid tun, Not tun, leid sein, Not sein. Der Rat korrigiert zu gut tun, leidtun, nottun, leid sein, Not sein. Kommentar überflüssig.

Warum Eis, Kopf, Stand, Teil ihre Eigenschaft als selbständige Substantive verloren haben sollen, ist nicht einsichtig. Dazu würde eher das in (1.3) genannte überhand gehören.

E6: Die zu begrüssende Wiedereinführung der Zusammenschreibung, aber Beibehaltung der Getrenntschreibung bei Acht geben, Acht haben, Halt machen, Mass halten führt dazu, dass sowohl ich gebe Acht wie ich gebe acht, ich habe Acht/acht, ich mache Halt/halt, ich halte Mass/mass richtig ist. Das kommt einer weiteren Vermehrung der unerwünschten Variantenschreibung gleich. Gleiches gilt für kennen lernen/kennenlernen (4), wo einzig die Zusammen schreibung gerechtfertigt ist (wie von der Arbeitsgruppe vorgeschlagen). Vor der Reform waren diese Fälle eindeutig geregelt (zusammengeschrieben) .

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Nicht (mehr) berücksichtigt sind Schreibweisen wie hofhalten, maschineschreiben, probefahren, radfahren u.a. Das scheint zu kurz gegriffen. Die Sprachgemeinschaft wird diese Wörter voraussichtlich weiterhin bevorzugt zusammenschreiben, so dass innert Kürze eine weitere Anpassung der Regeln nötig ist, wenn wirklich, wie immer wieder betont, dem Sprachgebrauch gefolgt wird.

(4) Die Regel für Verbindungen Verb + Verb hätte offener formuliert werden sollen. In dieser Regel hätte man einfach bestimmen sollen, dass bei übertragener Bedeutung Zusammenschreibung möglich (aus Sicht der SDA besser: vorgeschrieben) ist. Die Beschränkung auf Verbindungen mit -bleiben und -lassen (auch wenn sie wie im Alternativvorschlag mit -gehen und -lernen ergänzt würden) ist unnötig und schlecht zu vermitteln. Man hätte einfach und offener in einem E-Abschnitt erklären können, dass dies vor allem Verbindungen auf -bleiben, -gehen, -lassen und -lernen betrifft.

Die Regel hätte ausserdem durch mögliche Zusammenschreibung bei scheinbar analogen Konstruktionen erweitert und damit geöffnet werden sollen. Bei kennen lernen handelt es sich ja weniger um eine "übertragene" Bedeutung als um eine von anderen Verbindungen mit -lernen unterschiedliche Konstruktion (bei lesen lernen lernt man das Lesen, bei kennen lernen aber nicht das Kennen). Es ist diese unterschiedliche Konstruktion, die die Tendenz zur Zusammenschreibung erklärt.

Ähnlich bei spazierengehen. An spazierengehen und kennenlernen wurde wahrscheinlich bei der Formulierung der (abgelehnten) alternativen E7 gedacht. Es gibt aber weitere Beispiele wie badengehen, wo tatsächlich übertragene Bedeutung vorliegt. Deren Nichtbeachtung wurde dem Duden vorgeworfen und als Argument für die Beseitigung des Kriteriums "übertragene Bedeutung" verwendet.

Zur Rettung der offenbar aufgrund des Usus besonders erwünschten Möglichkeit der Zusammenschreibung von kennen lernen wurde es von der (abgelehnten) alternativen einfach in die nicht alternative E7 verschoben. Aus den erwähnten Gründen (keine übertragene Bedeutung) ist dies allerdings ein fragwürdiger Schachzug.

Alle zwingend getrennt geschriebenen Verbindungen mit Verben, werden in § 36 (Verbindungen mit Adjektiven) (2.1) konterkariert, wo die partizipiale Form dann doch auch wieder zusammengeschrieben werden kann: spazierengegangen, badengegangen, gefangengenommen.

§ 36

Der Paragraph (wie auch § 39) fällt durch eine massive Vermehrung der unerwünschten Variantenschreibung auf.

(2.3) nicht öffentlich und nichtöffentlich sind nicht völlig deckungsgleich.

Zu vielen durch die Neuregelung entstandenen Ungereimtheiten wie Zusammensetzungen mit hoch-, tief- und wohl-, ferner eine Zeit lang und eine Hand voll (schweizerdt. Hampfle!), zu klassebildenden Verbindungen wie fleischfressend, metallverabeitend (vormals E4 der Arbeitsgruppe) sowie zu Doppelpartikelverben wie wiederherrichten usw. äussern sich die Empfehlungen überhaupt nicht.

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Redaktionelles:

In § 33(3) sollte, wie an andern Orten, die Betonung durch Unterstreichung angegeben werden: durchbrechen usw.

In der Einleitung zu § 34 "Partikeln, Adjektive, Substantive oder Verben können als Verbzusatz mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur in den Infinitiven, den Partizipien sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen" sollte "nur" gestrichen werden. "Nur" insinuiert, dass man die Zusammensetzungen ansonsten getrennt schreibt, obwohl man sie zusammenschreiben könnte. Man kann sie aber gar nicht zusammenschreiben, da sie in den andern Situationen ja in DistanzsteIlung stehen (z.B. ich setze mich damit auseinander).

Es fehlt ausserdem das Komma nach Partikeln.

Zu begrüssen ist, dass in der Schlussredaktion selbstständig zu selbständig geändert wurde. Zu begrüssen ist ferner der Ersatz der offensichtlich falschen Beispiele bereit erklären und klein beigeben in (2.3) durch dingfest machen und schachmatt setzen.

Es erstaunt, dass in § 34 E7 der verpönte Begriff "übertragene Bedeutung" nun doch wieder auftaucht und nicht wie in (2.2) das neutralere "neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung" gewählt wird.

Zur Zeichensetzung

Die Nachrichtenagenturen haben die Möglichkeit, das Komma bei erweiterten Infinitiv- und Adjektiv- bzw. verkürzten Partizipialgruppen wegzulassen, von Anfang an mit gutem Grund nicht benutzt, weil die Weglassung zu einer Leseerschwernis, wenn nicht zu Sinnentstellungen führen würde. Sie behalten auch das Komma vor und/oder bei, wenn diese gleichrangige Hauptsätze verbinden, obwohl gelegentlich argumentiert wird, es werde damit die Reihenbildungsregel verletzt, bei der das Komma durch und/oder ersetzt wird.

Zu begrüssen ist, dass der Rat das Komma vor erweiterten Infinitivgruppen wieder obligatorisch macht. Der Rat hätte einen Schritt weitergehen und das gleiche auch für mit und/oder verbundene gleichrangige Hauptsätze vorsehen sollen. Die möglichen Folgen einer Weglassung des Kommas zeigt das in § 73 des amtlichen Regelwerks angeführte Beispiel Ich fotografierte die Berge und meine Frau lag in der Sonne. Ebenso bei Adjektivgruppen (in § 76): Sie suchte den etwas ungenauen Stadtplan in der Hand ein Straßenschild. Es ist inakzeptabel, dass der Rat diese Unzulänglichkeiten nicht korrigiert hat.

Als pedantisch abzulehnen ist das von der Neuregelung eingeführte Komma nach Frage- oder Ausrufezeichen (" Wo bist du? ", fragte sie). Solche längst überwundenen Pedanterien sollten nicht wiederbelebt werden (die Dreikonsonantenregel und selbstständig atmen den gleichen Geist). Der Rat hätte dies korrigieren müssen.

Abzulehnen ist auch die (optionale) Neuregelung der Apostrophschreibung: Carlo 's Taverne, Ohm 'sches Gesetz. Die Zulassung des Apostrophs in solchen Fügungen wird unweigerlich zu Übergeneralisierungen führen (Vater's Auto). Die herkömmliche Regelung (Ohmsches Gesetz, ohmscher Widerstand) war besser (auch was die Gross-/Kleinschreibung solcher Fügungen betrifft). Der Rat hätte auch dies korrigieren sollen.

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Zur Worttrennung

Nachrichtenagenturen verwenden in ihren Diensten normalerweise keine Silbentrennung. Sie betrifft sie am Rande aber trotzdem, weil sie auch andere Dokumente herstellen (Broschüren, Websites, Geschäftsbericht usw.). Deshalb und weil die Silbentrennung ein illustratives Beispiel für die verfehlte Neuregelung ist, folgen einige Bemerkungen dazu.

Zunächst ist festzustellen, dass eine Schreib vereinfachung für Schüler in diesem Bereich ins Leere stösst. Denn die Notwendigkeit, Wörter zu trennen, ergibt sich hauptsächlich im Blocksatz, d.h. für Zeitungen mit ihren schmalen Spalten und für den Büchersatz, wo allzu unterschiedlich grosse Wortzwischenräume zu vermeiden sind. Schüler kommen kaum in die Lage, Wörter trennen zu müssen, und wenn doch, höchstens bei langen zusammengesetzten Wörtern, deren Trennung keinerlei Schwierigkeiten bereitet. In diesem Bereich kann also uneingeschränkt der Lesefreundlichkeit der Vorzug gegeben werden. Das betont auch der Rat mit seinen bis zum Überdruss zitierten Beispielen Urin:stinkt und AnaZ:phabet (bei denen es freilich gar keine Änderung gibt; sie bleiben weiterhin erlaubt, sie sollen bloss wie schon bisher vermieden werden).

Ein krasses Beispiel für das genaue Gegenteil, die Schreibvereinfachung auf Kosten der Lesefreundlichkeit, ist die Neuregelung der ck- Trennung. An anderer Stelle des Regelwerks wird erklärt, ein kurzer Vokal werde durch Verdoppelung des folgenden Konsonantenbuchstabens gekennzeichnet (Hütte), bei k ausnahmsweise (offensichtlich aus ästhetischen Gründen) durch ck statt kk. Es ist deshalb logisch, dass bei der Trennung nach Sprechsilben ck wieder in kk aufgelöst wird (Zuk:ker). Bei einer Trennung Zu:cker stellt sich der Leser am Ende der Zeile auf einen langen Vokal ein und muss dann beim Weiterlesen gedanklich umstellen. Der Hinweis der Neuregelung, ck werde neu wie ch, sch, ph usw. behandelt, ist abwegig, da ch ein völlig anderer Fall ist. Wir haben erwartet, dass der Rat diesen offensichtlichen Fehler korrigiert.

§ 108 gehört vor § 107. Man trennt zuerst nach Zusammensetzungen und dann nach Silben.

Zu begrüssen ist, dass der Rat voll:enden nun zu den Wörtern mit erkennbarem Präfix zählt.

Unverständlich ist anderseits, dass dies für hinauf, heran, darum, warum nicht gelten soll und damit die Trennungen hi:nauf, he:ran, da:rum, wa:rum weiterhin zugelassen werden. Das gleiche gilt für inte:ressant. Diese Trennungen stören den Lesefluss, da der Leser keine sinnvolle Hypothese für die Fortsetzung des Wortes auf der nächsten Zeile bilden kann. Einzig bei häufig gebrauchten Fremdwörtern (Hekt:ar/Hek:tar, Chir:urg/Chi:rurg, Päd:agoge/Pä:dagoge) ist eine Zulassung der Trennung nach Sprechsilben zur Not akzeptabel, obwohl man argumentieren könnte, dass die Kenntnis ihrer Zusammensetzung dem zuzumuten ist, der sie verwendet. Jedenfalls sollte mindestens eine Vorzugstrennung angegeben werden, damit der Ratsuchende im Wörterbuch die Zusammensetzung nachschlagen kann. Schüler verwenden solche Wörter kaum und kommen, wenn doch, nicht in die Lage, sie trennen zu müssen. Aber auch professionell Schreibende kommen damit kaum mehr in Berührung, da die Worttrennung heute in der Regel ohnehin vom Computer übernommen wird (dabei gibt es weniger Fehler bei der theoretisch endlichen Liste der Fremdwörter als bei der offenen Liste von Zusammensetzungen, deren Grundwort mit Vokal beginnt:

Volks:etymologie wird die Mehrzahl der Computer Volkse:tymologie und Zeilen:ende als Zeile:nende trennen, jedenfalls solange die Wörter nicht im Ausnahmelexikon des Silbentrennprogramms aufgenommen sind). Die Zulassung dieser nichtmorphologischen Trennungen ist damit vollkommen unnötig und hätte korrigiert werden sollen.

Hingenommen werden kann zur Not die Beibehaltung der Trennung von st. Sie führt allerdings zu unästhetischen Wortbildern und, zusammen mit der ebenfalls unerwünschten Trennungsmöglichkeit

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von Verbindungen mit bund r sowie von gn in Fremdwörtern (bib:lisch), zu neuen Risiken sinnentstellender Trennungen (Kast:rat, Frust:ration). Erfahrungen in Schulen zeigen überdies, dass die herkömmliche Regel überaus einfach zu erlernen ist. Die Neuregelung ist also unnötig.

Dass der Rat den Unfug von abgetrennten Einzelbuchstaben (A:bend) rückgängig gemacht hat, ist zu begrüssen.

Die Markierung der Worttrennung nach den neuen Regeln hat laut Dudenredaktion einen Drittel aller Kosten der Reformumstellung verursacht. Angesichts des Umstands, dass die Worttrennung für Schüler weitgehend irrelevant ist und die Neuregelung insgesamt keine Verbesserung, sondern bloss eine massive Vermehrung der Varianten gebracht hat, von denen die meisten zu einer Leseerschwernis führen, ist die Neuregelung Lehrstück für eine gigantische Missachtung der Verhältnismässigkeit.

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Die Empfehlungen des Rates zur Getrennt-/Zusammenschreibung, zur Zeichensetzung und zur Worttrennung stellen eine Verbesserung im Vergleich zur Neuregelung dar, nämlich in Richtung der herkömmlichen Rechtschreibung. Sie erreichen dies in vielen Fällen jedoch bloss durch eine Zulassung von Varianten und bleiben insgesamt trotzdem weit hinter dem Notwendigen zurück. Sie sind deshalb, aber auch wegen ihrer inneren Widersprüche im höchsten Masse enttäuschend und abzulehnen. Die herkömmliche Rechtschreibung ist der Neuregelung damit weiterhin klar überlegen. Namentlich für professionell Schreibende bedeutet die Neuregelung auch nach Berücksichtigung der Empfehlungen des Rates eine massive Verschlechterung. Es stimmt zwar de iure, dass die Neuregelung nur für die Schulen gilt und alle andern schreiben können, wie es ihnen beliebt. Professionell Schreibende und ihre Verlage werden durch den "amtlichen" Charakter der Neuregelung aber de facto gezwungen, die "Schülerorthographie" zu verwenden.

Die unerhört kurze Anhörungsfrist erlaubte keine wirklich in die Tiefe gehende Analyse. Die Bedeutung des Themas erfordert eine sprachwissenschaftliche Überprüfung ohne Zeitdruck.

Bern, 5. Januar 2006

Schweizerische Depeschenagentur AG

Arbeitsgruppe deutsche Rechtschreibung

Peter Müller (Leitung), Beat Glur, Roderick von Kauffungen

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